„Hätte jederzeit flüchten können“
Die Staatsanwaltschaft beantragt für den 38-Jährigen, der im vergangenen Sommer eine 16-Jährige entführt und vergewaltigt haben soll, sechs Jahre Haft. Sein Verteidiger einen Freispruch.
von Thomas Vikoler
Ein untersetzter Mann wird von Gefängniswärtern in den Gerichtssaal B des Bozner Landesgerichts geführt: Vorverhandlung zu einem Fall, der im vergangenen Sommer in Südtirol für großes Aufsehen sorgte.
Eine 16-Jährige, die 24 Stunden von zuhause abgängig war, berichtete ihren Eltern, sie sei von einem Mann, der sie an einer Bushaltestelle mitgenommen hatte, durch das Trinken aus einer Wasserflasche betäubt, 24 Stunden lang festgehalten und in dessen Wohnung vergewaltigt worden.
Der mutmaßliche Täter, ein 38-Jähriger aus Apulien, der in Bozen lebt und in einem Krankenhaus arbeitete, wurde von der Polizei rasch identifiziert und verhaftet. Das mutmaßliche Opfer dagegen im Rahmen eines Beweissicherungsverfahrens am Landesgericht befragt.
Die Staatsanwaltschaft beantragte wegen eindeutiger Beweislage ein Hauptverfahren ohne Vorverhandlung.
Weil sich der Beschuldigte für ein verkürztes Verfahren entschied, fand am Mittwoch am Landesgericht die Vorverhandlung vor Richterin Elsa Vesco statt.
Die Staatsanwaltschaft beantragte sechs Jahre Haft (inklusive Haftreduzierung wegen des verkürzten Verfahrens) für den 38-Jährigen, der seit einem Dreivierteljahr in Trient in U-Haft sitzt. Und zwar wegen erschwerter sexueller Gewalt gegen eine Minderjährige und die Weitergabe von Drogen an eine solche.
Den Vorwurf der Freiheitsberaubung hatte die Anklage fallengelassen.
Attilio Triggiani, der aus Bari angereiste Verteidiger des Mannes, forderte dagegen einen Freispruch zu allen Vorhaltungen.
Er sprach von „einvernehmlichem Sex“ zwischen seinem Mandanten und der 16-Jährigen, wies auf „Widersprüche“ in deren Aussagen hin, und bestritt entschieden, sie sei durch ein Betäubungsmittel gefügig gemacht worden.
Tatsächlich ergab ein nachträgliches toxologisches Gutachten, dass die junge Frau keine Schlaf- oder Betäubungsmittel eingenommen hatte. Jedenfalls ließen sich keine Spuren davon in ihrem Magen nachweisen.
Bei einer Hausdurchsuchung in der Bozner Wohnung des Tatverdächtigen wurde dagegen eine Wasserflasche mit Spuren eines Beruhigungsmittels sichergestellt.
Laut Verteidiger Triggiani sei dies alles andere als ein Beweis für eine Betäubung der 16-Jährigen durch den 38-Jährigen. Dieser, so der Anwalt, leide unter Panikattacken.
Die junge Frau war im August 2024 an einer Bushaltestelle in dessen Auto eingestiegen, um gemeinsam zu einer Techno-Party in Trient zu fahren. Bei ihrer Einvernahme berichtete sie, mit dem Mann ein McDonald’s-Restaurant besucht und in einem Park in Trient Marihuana gekauft zu haben. Dann ging’s zur Rave-Party.
Die Nacht verbrachte die junge Frau mit dem Mann in dessen Bozner Wohnung. Gegen ihren Willen und mit Sex, wie sie zu Protokoll gab.
Der Verteidiger argumentiert dagegen, dass sein Mandant von der jungen Frau über ihr tatsächliches Alter in die Irre geführt worden sei. Bei der Rekonstruktion seiner Google-Suche fanden die Ermittler für jenen Abend Suchanfragen zum Thema Sex mit Minderjährigen. Dabei ist nach dem italienischen Strafrecht Sex eines Volljährigen mit einer Person über 16 Jahren erlaubt, allerdings nicht ohne Einvernehmen und schon gar nicht mit Einsatz von Betäubungsmitteln. Genau das wirft die Staatsanwaltschaft dem aus Apulien stammenden Mann vor.
Verteidiger Triggiani behauptete in seinem Plädoyer, dass die junge Frau zu keinem Zeitpunkt in der Gewalt seines Mandanten gewesen sei.
Die 16-Jährige habe jederzeit flüchten oder Hilfe holen können, etwa beim Besuch des McDonald’s und als ein Essensbote Sushi in die Wohnung in Bozen brachte. Und am Tag nach der gemeinsamen Nacht habe der 38-Jährige die 16-Jährige in die Nähe der elterlichen Wohnung gefahren.
Richterin Vesco vertagte die Verhandlung auf den 2. Juli, wenn das Urteil zu diesem Fall ergehen soll. Bis dahin bleibt der Tatverdächtige in U-Haft.
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