Voraussehbarer Tod
Das Bozner Schwurgericht zertrümmert in seiner Urteilsbegründung zum Schuldspruch gegen Alexander Gruber die These der Verteidigung, Sigrid Gröber sei infolge eines Stiegensturzes verstorben.
von Thomas Vikoler
Es war ein Tod in Etappen mit einer langen Leidensphase, die am 19. Februar 2023 um 2.50 Uhr im Meraner Tappeiner-Krankenhaus endete. Die 39-jährige Sigrid Gröber aus Mühlwald wurde nach einem Herzstillstand für tot erklärt. Die Frau hatte ein Leben hinter sich, das in den letzten Jahren von Alkohol und Gewalt geprägt war. Vier Mal, zuletzt am 28. April 2021, hatte sie ihren Lebensgefährten Alexander Gruber, 56, wegen Körperverletzung angezeigt, die Anzeigen zum Teil aber wieder zurückgezogen.
Auch am Abend vor ihrem Tod wurde Gröber schwer von ihm verprügelt. Zu diesem Schluss kommt das Bozner Schwurgericht, das Gruber am 7. Februar zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren und acht Monaten wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilte.
Seine beiden Verteidigerinnen Alessandra D‘ Ignazio und Claudia Benedetti beharrten bis zuletzt auf ihrer Behauptung bzw. die ihrer Sachverständigen, wonach Gröber infolge eines Stiegensturzes verstorben war. Also ohne Fremdeinwirkung ihres Partners. Eine These, die das Schwurgericht in seiner nun vorliegenden Urteilsbegründung regelrecht zertrümmert. Die zahlreichen am Körper des Todesopfers festgestellten Verletzungen seien „keineswegs vereinbar“ mit dem behaupteten zufälligen Sturz über eine Stiege im Innenhof der Hotelfachschule Kaiserhof, insbesondere wegen ihrer Verteilung und dem Umstand, dass in der Kleidung der Toten mehrere Blutspuren gefunden wurden.
Das Gericht geht davon aus, dass mehrere Faktoren zum Tod der Frau geführt haben: Die Verletzungen, die eindeutig von Schlägen und Tritten Grubers herrührten, das lange Liegen in der Kälte, der Alkoholkonsum und mehrere Vorerkrankungen.
Vorerkrankungen, von den denen Gruber, so das Gericht, als Lebensgefährte Kenntnis haben musste. Überhaupt sei der Tod von Sigrid für ihn „voraussehbar“ gewesen, wodurch der Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge ebenfalls erfüllt sei. Er, Gruber, habe zudem seine schwer betrunkene Partnerin, wie Aufnahme von Überwachungskameras zeigen, an jenem Abend durch die Straßen von Meran geschleppt.
Bemerkenswert ist, wie das Schwurgericht den Alkoholismus des Angeklagten einschätzt: Gruber sei, wie der zweite Gerichtsgutachter Eraldo Mancioppi feststellte, kein chronischer Alkoholiker und deshalb zum Tatzeitpunkt voll zurechnungsfähig gewesen. Andererseits sei der erschwerende Umstand des Alkoholismus, wie ihn die Staatsanwaltschaft geltend machte, nicht gegeben, weil Gruber so luzide war, nach sechs Stunden Hilfe zu holen. Gegeben sind aber die erschwerenden Umstände der Partnerschaft und der verminderten Abwehrfähigkeit des Opfers.
Dem Land Südtirol, das als Nebenkläger zugelassen wurde, hat das Gericht 30.000 Euro zugesprochen: Einmal wegen der gesetzlich gestützten Kampagnen gegen Gewalt an Frauen, einmal weil Gruber als Kaiserhof-Hausmeister ein Landesangestellter ist. Die Angehörigen Gröbers, die vom Anwalt Martin Fill vertreten wurden, sollen rund 500.000 Euro an Schmerzensgeld bzw. Schadensersatz erhalten. Obwohl so gut wie feststeht, dass der Verurteilte nicht zahlungsfähig ist.
Im Herbst dürfte die Berufungsverhandlung stattfinden.
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