Vokal herrlich ausgestattet

Andrè Schuen und Daniel Heide: Lyrische Kantilene und eine in allen Registern ebenmäßigen Stimme
Der noch sehr junge, aber international bereits erfolgreiche Gadertaler Bariton Andrè Schuen feierte im vollbesetzten Saal des Konservatoriums, kongenial begleitet von Daniel Heide, einen umjubelten Auftritt mit Liedern von Franz Schubert und Gustav Mahler
Von Hubert Stuppner
Wenn es um das deutsche Kunstlied geht, werden Schubert und Mahler in einem Atemzug als die verwandten und charakterlich sehr verschiedenen Dioskuren authentischer österreichischer Liedtradition genannt. Dies in Bezug auf Wien und der habsburgischen Peripherie, insbesondere auch, was ihren autodidaktischen Bildungsweg abseits von Tradition und Akademie betrifft: zwei Genies, die dem musikalischen Weltgeist deutscher Prägung zuwiderhandelten, indem sie ihre Originalität aus Naturlaut und Volkstum speisten. Beide waren sie darüber hinaus Wehleidige und nach echter Wiener Wesensart Zerrissene. Mahler sogar mehr als Schubert. Beide zehrten überdies vom Einfall als Kompositionsgrundlage und waren weit weniger dem kontrapunktischen „Sitzfleisch“ zugetan, das Thomas Mann im „Doktor Faustus“ als das spezifisch Deutsche beschrieb. Dieser Kult des „Einfalls“ als Kriterium von Qualität ist aber gleichzeitig auch der Unterschied zwischen beiden. Während „Einfälle“ Schubert bei Tag und bei Nacht erschienen, tat sich Mahler mit diesen äußerst schwer: Das Komponieren ging ihm erst dann leicht von der Hand, wenn er in einem engen Komponierhäuschen zur Ruhe kam und regressiv in das Unbewusste hinabstieg. Erst an diesem Ort kam der Geist über ihn und gab ihm die Einfälle, die uns bis heute in den Bann ziehen.
Als ich den durchwegs „Mezza voce“- Mahler-Interpretationen des noch sehr jungen, aber bereits international erfolgreichen Gadertaler Baritons Andrè Schuen lauschte, dachte ich mir, wie originell und persönlich. So ähnlich muss wohl Mahlers Stimme geklungen haben, als er sich in dem jeweiligen Komponierhäuschen diese Lieder, leise falsettierend, vorsang und sich der Rührung hingab.
Ich kenne nicht die Gründe, die André Schuen und seinen kongenialen Begleiter Daniel Heide im Konzertverein am Sonntag im Konservatorium zu diesem interpretations-Konzept bewegten. Einer Interpretation, die diese Lieder abseits von den ausgetretenen Pfaden der Mahler-Tradition extrem stilisieren und psychologisieren. In den „Liedern eines Fahrenden Gesellen“ – dem höchst persönlichen Liebesprotokoll eines in Liebe zur blonden und blauäugigen Sängerin Johanna Richter entflammten und unter den Visionen von „Augen wie Sternlein und Blümlein blau und Messern in der Brust“ leidenden „Jungen Werthers“ – gewann der junge, bereits weltweit bühnenerfahrene und vokal herrlich ausgestattete Schuen das Publikum im Nu.
Dieses Konzept eines der Oper verwandten charmierenden und sentimental interpretierenden Gesangstils wirft in Schuberts Liedern jedoch Fragen auf. Die Freiheit der Interpretation, die Mahler dem Sänger erlaubt, ist bei Schubert kraft seiner klassischen an Beethoven und dem Wiener Lied angelehnten Tradition, begrenzt. Schuberts Lieder sind der klassisch strukturierten und periodisierten „Holden Kunst“ gewidmet, wo hingegen das spätromantische Lied von Mahler im Ausdruck fassungslos, vehement, herzzerreißend ist. Ist Mahlers Komposition mehr mit der literarisch-„sentimentalischen“ Dimension verwandt, ist die Schuberts „naive Dichtung“. Und da wo Mahlers Prosodie diskursiv ist, ist Schubert streng syntaktisch. Als der junge Richard Strauss anlässlich der Generalprobe seiner Jugendsymphonie den zufällig anwesenden Johannes Brahms um seine Meinung fragte, antwortete dieser: „Junger Mann, sehen Sie sich die Periodenbildung bei Schubert an: 4+4 Takte und alles symmetrisch“. Was ihm Richard Strauss, der Wagnerianer war, nie verziehen hat.
Ich hoffe, dass man mir meine Bedenken zu Schuberts Interpretationen nicht nachträgt. Schuberts regelmäßig gebaute Lieder, nach Texten, die sich reimen, vertragen kein Deuten und Dehnen, geraten durch Anhalten und Anschieben und vor allem durch den allzu verhaltenen Tonfluss, der auch die Textverständlichkeit stört, aus dem Gleichgewicht. Im Übrigen ist dieses strenge Sich-Reimen-und-Drehen bereits in den Texten angelegt, am deutlichsten im Goetheschen „Musensohn“: „Durch Feld und Wald zu schweifen, mein Liedchen wegzupfeifen,…und nach dem Takte reget, und nach dem Maß beweget sich alles an mir fort…Denn wie ich bei der Linde das junge Völkchen finde, sogleich erreg ich sie. Der stumpfe Bursche bläht sich, das steife Mädchen dreht sich nach meiner Melodie.“ In der traditionellen Schubertschen Lied-Interpretation ist dieses bis heute unumstritten.
Mit den „Fünf Liedern nach Gedichten von Friedrich Rückert“ war das bestens aufeinander abgestimmte Gesangs – und Klavier Duo wieder zurück mit Mahler. Daniel Heide mit perfektem Zusammenspiel und Schuen mit seiner lyrischen Kantilene und seiner in allen Registern ebenmäßigen Stimme. Andrè Schuen, liest man, kam über das Cello zum Gesang. Daraus kann man Schlüsse ziehen. Gilt nämlich die Geige von all den instrumentalen Instrumenten als dem Herzen am nächsten, so ist das Cello, in Bauches Nähe, dem Zwerchfell, dem Organ der Atmung, zuzuordnen. Musik, die uns nahe geht, hat die richtige Atmung, hat Bauchgefühl und entspricht dem, was die Franzosen als die „Voix humaine“ bezeichnen. Vom Cello zur Baritonstimme, die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Sängerkarriere.
Das zahlreiche Publikum erklatschte noch drei Zugaben: zwei Lieder von Mahler und Richard Strauss und ein heimisches, ladinisches.
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