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„Manche sparen beim Essen“

Foto: LPA/Claudia Corrent

Immer mehr Senioren stehen vor unsicheren Renten, drohender Altersarmut und wachsendem Pflegebedarf. Stephan Vieider, Fachsekretär der ASGB-Rentner, über die wachsenden Sorgen der älteren Bevölkerung.

TAGESZEITUNG: Herr Vieider, am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, stand das Thema soziale Gerechtigkeit im Mittelpunkt. Wie schätzen Sie in diesem Zusammenhang die aktuelle Rentensituation in Südtirol ein?

Stephan Vieider: Das Grundproblem ist, dass die Lebenshaltungskosten in Südtirol deutlich höher sind als im restlichen Italien. Die Kaufkraft der Mindestrente – die von Sizilien bis zum Brenner gleich ist – reicht hier bei Weitem nicht aus. Rentnerinnen und Rentner können sich in Südtirol für denselben Betrag rund 30 bis 40 Prozent weniger leisten als in anderen Regionen. Viele Mindestrentner sind deshalb verzweifelt: Sie können ihre laufenden Ausgaben für Energie, Heizung oder Lebensmittel kaum noch decken.

Was bedeutet das für die Betroffenen?

Betroffene fangen an, zu sparen – oft sogar bei den Lebensmitteln. Es handelt sich um eine Generation, die in der Nachkriegszeit aufgewachsen ist und es gewohnt ist, zu verzichten. Das führt oft dazu, dass viele ältere Menschen gar nicht erst versuchen, Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen – obwohl es diese durchaus gibt. Der Zugang dazu ist jedoch häufig zu bürokratisch, zu komplex und insbesondere für alleinstehende Senioren schwer zu bewältigen. Viele schämen sich auch und verzichten deshalb lieber. Die Folge: Sie sparen bei grundlegenden Dingen wie Lebensmitteln, essen ungesund oder zu wenig, nehmen nicht mehr am sozialen Leben teil, können sich keine warme Wohnung mehr leisten und sitzen im Winter mit mehreren Decken in ungeheizten Räumen. Es ist trauriges Zeugnis für ein so reiches Land wie Südtirol. Eine gute Sozialpolitik muss auch die Schwächsten in der Gesellschaft mitnehmen.

Gibt es eine wachsende Gefahr vor Altersarmut?

Ja, die Auswirkungen sind bereits jetzt spürbar. Ein deutliches Zeichen dafür ist die steigende Zahl an Menschen, die sich an die Schuldnerberatung wenden – und dieser Trend wird sich fortsetzen, wenn wir nicht umdenken. Die Rentenfonds geraten unter Druck, immer weniger zahlen ein, gleichzeitig sinkt die Geburtenrate. In 20 bis 30 Jahren wird sich diese Entwicklung also noch deutlich verschärfen. Umso wichtiger ist es, dass sich gerade junge Arbeitnehmer frühzeitig ein zweites finanzielles Standbein aufbauen, um der drohenden Altersarmut von morgen vorzubeugen.

Welche konkreten Forderungen stellen Sie in diesem Zusammenhang an die Politik?

Ich glaube, mit einem Landeshaushalt von rund acht Milliarden Euro müsste es möglich sein, eine gerechtere Verteilung zugunsten der sozial Schwächeren vorzunehmen. Die Bedürftigkeit der älteren Generation betrifft viele Bereiche gleichzeitig – das ist klassische Querschnittspolitik, bei der alle Ressorts an einem Strang ziehen müssen und nicht alles auf die Sozialpolitik abgewälzt werden kann. Entscheidend ist nämlich auch die Lohnpolitik: Wenn die Lebenshaltungskosten so hoch sind wie in Südtirol, braucht es Löhne, die es den Menschen ermöglichen, ohne ständige Unterstützungsmaßnahmen über die Runden zu kommen. Wir tragen diese Empfängerpolitik nicht mehr mit, und auch die Verteilung schafft derzeit mehr Ungerechtigkeit, als dass sie den Bedürftigen unter die Arme greift. Nur wer entsprechend verdient, kann auch in einen Rentenfonds einzahlen, von dem sich im Alter leben lässt.

Wie steht es um die Pflege und die Gesundheitsversorgung in Südtirol?

Im Bereich der wohnortnahen Betreuung, Altersheime und Pflegeinrichtungen sind wir in Südtirol schon deutlich besser aufgestellt als in vielen anderen Regionen. Dennoch bleibt vor allem für die ältere Generation das Problem der langen Wartezeiten. Wenn jemand gesundheitliche Probleme hat, verschärft sich die Situation dadurch noch weiter. Dieses Problem betrifft jedoch alle. Wir leiden nach wie vor unter der Gesundheitspolitik der letzten Jahrzehnte, in denen jeder nur seine eigene Suppe gekocht hat, anstatt eine einheitliche Vorgehensweise zu verfolgen. Vor allem im digitalen Bereich wurde vieles versäumt.

Gibt es genug Unterstützung für pflegebedürftige Rentner und deren Familien?

Es wird niemals ausreichen, dass allein öffentliche Institutionen wie Krankenhäuser, Altersheime, Sprengeldienste und Sozialdienste die Bedürfnisse in der Pflege und Gesundheitsversorgung abdecken können. Es braucht ein Umdenken in der Gesellschaft, zum Beispiel im Bereich der Nachbarschaftshilfe. Angesichts des Fachkräftemangels und des fortschreitenden Geburtenrückgangs wird uns dieses Problem in den kommenden Jahren noch deutlich stärker betreffen. Andernfalls wird es uns nicht gelingen, die ältere Bevölkerung angemessen zu betreuen. Die Pflege wird immer länger und komplexer werden – und das bei gleichzeitigem Mangel an qualifiziertem Personal.

Finden ältere Menschen in der Politik genügend Gehör?

In den Sonntagsreden der Politik auf Landes- und Gemeindeebene wird immer wieder betont, wie wichtig es ist, dass die ältere Bevölkerung – die den Wohlstand unseres Landes mit aufgebaut hat – auch eine altersgerechte Versorgung verdient. Das klingt zwar schön, doch leider werden oft leere Versprechungen und Ankündigungen gemacht. Wir wünschen uns deshalb von der Politik mehr Mut, endlich Entscheidungen zu treffen, die denen zugute kommen, die es wirklich benötigen.

Interview: Sylvie Debelyak

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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