Das Chaos in Bewegung einfangen

Ivo Mahlknecht: In der figurativen Malerei erzählt man unweigerlich eine Geschichte, die man mehr oder weniger persönlich interpretieren kann. Bei den geometrischen Farbkästchen schließt man das aus.
Ivo Mahlknecht ist der Künstler, der Anfang der 1990er Jahre über Nacht eine erfolgreiche Karriere als neoexpressionistischer Maler abbrach, um fortan im Stile der Alten Meister Velasquez, Rembrandt und Vermeer zu malen. Jetzt vollzieht er eine neue Wendung hin zu geometrisch-mathematischen Welten. Zu sehen im Steghof, Naturns.
Tageszeitung: Ivo Mahlknecht war mal ein junger wilder Farbfeldmaler, danach ein Virtuose altmeisterlicher Malkunst, jetzt malt er farbige Kästchen. Was ist passiert?
Ivo Mahlknecht: Die Kästchen sind eine mathematische Spielerei. Ich habe zufällig im Internet einen Artikel gefunden, der die dogmatischen physikalischen Gesetze auf den Kopf stellt. Ich habe ihn mit der Hand abgeschrieben, weil der Drucker nicht funktionierte. Später war der Text nicht mehr auffindbar.
Was stand in dem Artikel und warum hat er Sie dazu gebracht, farbige Kästchen zu malen?
Es geht um „Harmonische Frequenzen`“. Das sind Schwingungsmuster, die zur Erzeugung einer „Stehenden Welle“ innerhalb eines Mediums erforderlich sind. Es sind Punkte energetischer Konzentration. Wenn man zwei Steine in einen Teich wirft, erzeugen sie Kreise, welche dort, wo sie aufeinandertreffen, eine skalare Welle bilden, energetische Kraftfelder, auch als Knoten bekannt. Diese Wellen reagieren untereinander in einem Medium, das Äther genannt wird. Äther (lat. Quintessenz – das fünfte Element – indisch Prana, chinesisch Chi ) ist aus dem Periodensystem entfernt und durch Seltene Erden ersetzt worden. Äther erschafft Materie durch Verdichtung und nicht umgekehrt. Ein Kohlenstoffmolekül wird, wenn es schneller als Licht reist, nicht zu Antimaterie, sondern zu einer Frequenz. Zur Kästchenmalerei hat mich die Berechnungsform gebracht. Diese geht immer von einem Quadrat aus und bezieht sich auf die Basiszahl 12. Hierbei gibt es keine Null, die kleinste Zahl ist 1 und die höchste Zahl ist 12.
Sind die farbigen Kästchen, die ein bisschen wie große Pixel ausschauen, demnach Umsetzungen von mathematischen Gesetzmäßigkeiten im Zwölfersystem ins Bildliche?
Ja, man könnte sie als Pixel bezeichnen, nur ist ihre Anordnung eine andere. Sie ergeben sich in der mathematischen Sequenz der Zahlenreihe: 3,6,9, die immer in Beziehung steht mit 1,2,4,8,7,5. Es ist die Kombination beider als Ganzes und sie stehen nicht im Gleichgewicht. Es ist die Summe beider als Ganzes, die den Energiefluss bestimmt.
Die farbliche Anordnung der Kästchen scheint zunächst willkürlich zu sein, aber man hat doch das Gefühl, dass sie für etwas Präzises stehen. Wofür?
Die Auswahl der Farbgebung ist willkürlich, fast schon gewürfelt. Jeder Grundton kann eine harmonische Sequenz bestimmen. Die einzelnen Farbflächen leben von den ihnen angrenzenden Farben, die sich durch diese Zahlenreihenfolge, sei es senkrecht sowie waagrecht, ergeben. Manchmal sind diese Zahlenreihen auch gedreht oder verdoppelt.
Formal handelt es sich bei den Bildern um große Quadrate aus vielen Quadraten, die eine reine und abstrakte Ganzheitlichkeit vermitteln. In welchen Welten bewegen Sie sich beim Malen dieser Bilder?
Ich bewege mich in einer Welt von Farbtönen, lauten und leisen, hellen und dunklen, den Resonanzen, Spannungen und Beziehungen gleich wie in der figurativen Malweise. In meiner Ausstellung sind auch aus der Renaissance entlehnte klassische Porträts mit verschiedenen Attributen zu sehen, die zeitgleich mit den Farbtafeln entstanden sind. Es gibt keinen Unterschied zwischen ihnen, bis auf die Bewegung.
Zwischen den streng geometrisch angeordneten Farbkästchen und altmeisterlich figurativer Malweise mit einer erkennbaren Ikonographie besteht für Sie bis auf die Pinselbewegung also kein oder nur ein gradueller Unterschied?
Der Unterschied ist, dass man in der figurativen Malerei unweigerlich eine Geschichte erzählt, die man mehr oder weniger persönlich interpretieren kann. Bei den geometrischen Farbkästchen schließt man das aus.
Ein nach einem geometrischen Code gemaltes Bild hört auf, Fenster im Sinne der Renaissance-Malerei zu sein. Aber sind man damit persönlich interpretierbare Geschichten wirklich ausgeschlossen? Unser Denken formt doch alles, sogar eine weiße Fläche, in eine Geschichte um.
Man muss nicht immer denken.

Malerei von Ivo Mahlknecht: Ich bewege mich in einer Welt von Farbtönen, lauten und leisen, hellen und dunklen, den Resonanzen, Spannungen und Beziehungen gleich wie in der figurativen Malweise.
Warum ist es Ihnen so wichtig, das Subjektive auszuschließen oder zu verhindern?
Ganz im Gegenteil. In meinem künstlerischen Schaffen war ich meistens ein Geschichtenerzähler und habe die Inhalte übertragen und beeinflusst. In dieser zum Großteil konzeptuellen Arbeit funktionieren die Werke eher wie ein Spiegel für die Betrachter, ich kenne ihre Geschichten nicht.
Der Blick auf diese oszillierenden Bilder lässt sich nicht fokussieren, er wandert unabschließbar in alle Richtungen. Darin kann man einen Bezug zum und eine Konfrontation mit dem uns umgebenden Chaos erkennen. Das Chaos malerisch reduzieren –
Die Chaostheorie kann man vergleichen mit einer Münze in der Luft. Sie hat konstant zwei Seiten, doch erst wenn die Münze auf den Boden fällt, wird eine Seite sichtbar. So ähnlich ist es mit meiner Malerei: genau das Chaos in der Bewegung einfangen.
Muss man das alles wissen, um diese Bilder zu verstehen?
Man muss das Bewusstsein dafür haben und ich glaube, daran führt kein Weg vorbei.
Zum Malakt selbst: Arbeiten Sie mit Lineal und Raster?
Es sind Ölbilder und ich habe einige hundert Meter Klebestreifen verbraucht.
Erfolgt der Farbauftrag in Schichten?
Ja, der Farbauftrag erfolgt in Schichten, mit verschiedenen Untermalungen. Wenn sie auch nicht ersichtlich sind, so sind sie dennoch spürbar.
Ihre Ausstellung im Steghof trägt den Titel Ivo Mahlknecht und dazu eine mathematische Formel. Was bedeutet sie?
Die mathematische Formel befasst sich mit Gravitation. Ein Begriff, den Newton salonfähig gemacht hat, aber man wusste schon vorher, dass ein Apfel zu Boden fällt, wahrscheinlich unter einem anderen Begriff. Die Berechnung der Gravitation findet auch in Einsteins Relativitätstheorie ihren Eingang,-durch die Krümmung des Raumes und der Lichtgeschwindigkeit als Konstante. Nur, Licht ermüdet, ebenso wie die Lichtquelle, durch elektromagnetische Frequenzen verzerrt oder abgelenkt wird. Es gibt keine Konstante, auch nicht im Vakuum, das nur theoretisch existiert. Und auch das Bewusstsein als Energiequelle beeinflusst den Elektronenfluss, was oft genug bewiesen wurde. Diese Formel ist keine wissenschaftliche Formel, die wissenschaftliche Formel lautet anders. Aber gerade deshalb hat mich diese Formel in ihrer Kühnheit fasziniert.
Führende Maler der Renaissance wie Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer waren auch exzellente Mathematiker und Symmetrie, Proportionen und Perspektiven waren stets gleichermaßen mathematische wie künstlerische Fragen. Sehen Sie sich in dieser Tradition?
Ich habe in der (Schul-)Mathematik keine Resonanz gefunden ( eins und eins war für mich nicht immer zwei).In Physik war ich besser und sie interessiert mich heute noch. Die strenge Bildgestaltung der Renaissance ist natürlich immer inspirierend, aber die Aufhebung dieser Gesetze und ihre Farbigkeit im Barock faszinieren mich noch heute.
Kann die Malerei etwas zur Mathematik, Physik oder Philosophie beitragen?
Die Malerei ist in ihrer Ausdrucksweise sicher die umfassendste Mitteilungsform von Gedanken, Ideen und Bewusstsein. Nicht umsonst setzte sie Leonardo da Vinci an die erste Stelle.
Üblicherweise wird eher die offene Form der Zeichnung mit Denken assoziiert. Denkt Farbe?
Farbe denkt nicht, es wäre auch der Weg zu lang. Sie wirkt ganzheitlich und unmittelbar. Die Energie des Bildes und die Energie des Betrachters treffen sich.
Wer oder was ist, bzw. tut der Maler, wenn die Komposition der Bilder durch mathematische Berechnungen bestimmt ist? Ist der dann ein neutrales Subjekt, jemand, der Bilder in konzeptueller Strenge sich aus sich selbst erschaffen lässt, im Sinne von „Nicht ich, sondern ein Code malt“?
Nicht alle Regeln bestimmt der Code. Z.B. die Wahl der Farben, die Mischung der Farben, die Anordnung und die unterteilte Einbringung des Codes.
Rechnen, das Bilder produziert. Machen das heute nicht die Computer und die Künstliche Intelligenz?
Ja, aber sie arbeitet noch sehr unbeholfen und oberflächlich. An den Händen und an den Haaren findet man die meisten Schwachpunkte. Natürlich braucht es ein geübtes Auge, um es zu erkennen. Was nicht heißen soll, dass sie sich nicht perfektionieren wird. Wie man jedoch technisch an der „Aura“ des Werkes feilen wird, bleibt mir ein Rätsel.
Horizontale, Vertikale, rechte Winkel, farbige Quadrate und Rechtecke – da denkt man unwillkürlich an Mondrian, der darin universelle Symbole gesehen hat. „Zur Horizontale, zur Vertikale gelangen, das wäre alles“, lautet seine berühmte Formulierung. Was hat ihre Kästchenmalerei mit Mondrian gemeinsam?
Der Schwerpunkt Mondrians liegt in seinen Kompositionen, nicht an der Farbe. Und auch die Kompositionen waren sehr einseitig, gemessen an einer Geometrie, denen Ideen zu Grunde liegen. Seine Farbwahl war begrenzt (die drei Hauptfarben: schwarz, weiß und grau). Ich glaube, das Konzept „weniger ist mehr“ wird hier fehlinterpretiert. Ich persönlich schätze mehr die Fülle.
Die großen Abstrakten waren alle Asketen, Spiritualisten, von Grund auf religiös. Sie auch?
Nein, ich bin den Religionen nicht verbunden. Meiner Meinung nach dienen Religionen nicht dem freien Denken. Ich denke eher humanistisch: Prüfe alles, glaube nichts.
In einem früheren Gespräch haben Sie gesagt, dass Sie sich über Nacht von der frühen expressiven Malerei abgewandt haben, weil Sie das Gefühl hatten, sich nur mehr zu wiederholen. Ist das jetzt wieder der Fall?
Ja , das ist wieder der Fall.
Warum Malerei heute? Ist sie noch der Mühe wert?
Ja, es ist Kunst.
Interview: Heinrich Schwazer
Zur Person
Ivo Mahlknecht, in Meran geboren in Tramin lebend, studierte an der Akademie von Florenz. In den 1980er Jahren experimentierte er im Stil der Neuen Wilden mit neoexpressionistischer Malerei. Anfang der 1990er Jahre wandte er sich in einem radikalen Bruch davon ab und begann im Stile der Alten Meister Velasquez, Rembrandt, Vermeer und anderen Landschaften, Pflanzen, Wasser und Stillleben zu malen, um die Sinnlichkeit und symbolische Kraft der Malerei zurück zu gewinnen.
Die Ausstellung
Termin: Ivo Mahlknechts Ausstellung im Steghof Naturns wird am 2. Mai um 18.00 Uhr eröffnet. Bis 11. Mai. www.steghof.com
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