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„Menschliche Nähe anbieten“

Renate Rottensteiner (Foto: Caritas)

Renate Rottensteiner, Leiterin der Caritas Hospizbewegung, über die Ausbildung von Freiwilligen. Welche Voraussetzungen es braucht. Und ob die Nachfrage nach Begleitung steigt.

TAGESZEITUNG Online: Frau Rottensteiner, vor Kurzem haben 8 Männer und 26 Frauen ihre Ausbildung als Freiwillige in der Hospizbewegung abgeschlossen. Ist dieses Angebot stets von Frauen dominiert?

Renate Rottensteiner: Die Care-Arbeit ist immer noch von Frauen dominiert. Aber wir haben in der Hospizbewegung, die es mittlerweile seit 27 Jahren gibt, auch sehr engagierte Männer. Die Herangehensweise an die Aufgabe der Begleitung ist bei ihnen eine andere. Das ist für beide Seiten, Männer und Frauen, sehr wertvoll, weil sie neue Perspektiven gewinnen.

Die Ausgebildeten sind jetzt in der Lage, schwer kranke und sterbende Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu begleiten. Was wurde in der Ausbildung konkret vermittelt?

Im Praktikum werden erste Erfahrungen gesammelt. Die Teilnehmer der Ausbildung werden regelmäßig durch Supervision und durch die einmal im Monat stattfindenden Gruppentreffen begleitet. Die theoretische Ausbildung erfolgt nach dem Celler-Modell. In diesem Modell wird die eigene Trauer reflektiert und es erfolgt eine intensive Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens – auch des eigenen. Daneben wird Gesprächsführung vermittelt und psychologisches sowie soziales Wissen über Bedürfnisse von Menschen in ihrer letzten Lebensphase oder bei Krankheit.

Warum hat sich die Caritas für das Celler-Modell entschieden?

Das Celler-Modell, das wir seit 2015 verwenden, ist wissenschaftlich fundiert, hat sich international gut bewährt und ist explizit auch für Ehrenamtliche erstellt worden. Mit diesem Modell wird vor allem die eigene Persönlichkeit in den Blick genommen. Es erfolgt eine Reflexionen des Ichs. Nur wer klar sich selber gegenüber ist, kann gut auf einen anderen Menschen zugehen und bleibt doch klar in der eigenen Rolle.

Welche Voraussetzungen sollte man für die Ausbildung in der Hospizbewegung der Caritas mitbringen?

Es beginnt mit Liebe zu Menschen. Man sollte bereit sein, sich den herausfordernden Themen von anderen Menschen zu stellen. Natürlich braucht es dafür eine gewisse Zeit und regelmäßige Dienste nach der Ausbildung. Man sollte auch bereit sein, an sich zu arbeiten und sich in der eigenen Trauerarbeit zu reflektieren.

Neben der Begleitung von Kranken und Sterbenden gehört die Begleitung der Angehörigen zu den Aufgaben der frisch Ausgebildeten. Welche Bedürfnisse haben die Angehörigen und wie können die Begleiter hier helfen?

In erster Linie durch ihre bloße Anwesenheit und menschliche Zuwendung. Sie sind da, um Fragen zu beantworten und menschliche Nähe anzubieten. Für die Angehörigen braucht es oftmals lediglich eine haltende Hand oder jemanden, der einem sagt, dass die mit der Trauer eintretenden Gefühle in Ordnung und normal sind. Trauer ist ein Sammelsurium von vielen Gefühlen und Gedanken und kein geradliniger Prozess, den es zu absolvieren gilt. Manchmal haben die Angehörigen auch ganz praktische, organisatorische Fragen und brauchen konkrete Anweisungen.

Wie wird der Kontakt mit einem Freiwilligen der Caritas-Hospizbewegung hergestellt?

Nach Kontaktaufnahme mit der Caritas-Hospizbewegung führt die Bezirkskoordination das Erstgespräch. Auch die Zusammenarbeit mit den Institutionen läuft über die Koordinatoren vor Ort, die die Rahmenbedingungen mit dem jeweiligen Dienst klären. Danach werden die Freiwilligen entsprechend eingesetzt. Die Koordinatoren übernehmen also die Aufgabe der Organisation im Vorfeld, damit die Freiwilligen sich dann nur mehr um die Menschen kümmern können.

Die Betroffenen und Angehörigen befinden sich in einem sehr intimen Moment und einer verletzlichen Situation. Wird der Dienst der Freiwilligen häufig in Anspruch genommen?

Wir erleben grundsätzlich, dass die Nachfrage nach Begleitung steigt – vielleicht auch weil die Hilflosigkeit steigt, denn beim Thema Sterben handelt es sich noch immer um ein Tabuthema. Aber im Krisenmoment gibt es doch das Gefühl, jemanden zu brauchen. Mit der Tabuisierung hat sich ein wenig die Meinung eingebürgert, es bräuchte in einer Krisensituation einen Experten. Wir bei der Caritas-Hospizbewegung aber vertreten die Meinung, dass es in solchen Momenten vor allem Menschen braucht. Das Sterben ist eine natürliche Lebensphase – wenn auch die letzte. Wir wollen einfach füreinander da sein. Je mehr dieser Dienst der Begleitung bekannt ist, umso mehr wagen es die Menschen in ihrem Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht auch, danach zu fragen. Denn diese Gefühle können nur mit menschlichem Dasein überwunden werden. Wenn auf eine Situation mit Empathie eingegangen wird, gehen schlussendlich alle Beteiligten positiv gestärkt aus ihr hervor. Sollte es dennoch einmal nicht so sein, dann erfolgt eine Rückmeldung an die Koordination, um einen anderen Begleiter zu suchen. Das ist Teil des Prozesses und Freiheit der Betroffenen.

Interview: Sandra Fresenius

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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