„Warum hört keiner zu?“
Der Südtiroler Corona-Erklärer Bernd Gänsbacher kokettiert mit einer Kandidatur (für die Grünen), obwohl der Wahlkampf 2018 für ihn eine große Ernüchterung war. Und obwohl er den Landtag als Club der Handy-Spieler erlebt.
TAGESZEITUNG Online: Herr Professor, Sie kandidieren diesmal für die Grünen für den Landtag?
Bernd Gänsbacher: Ich bin noch unentschlossen, ich bin am Überlegen. Mir schwirren die verschiedensten Gedanken durch den Kopf: Ich habe das Recht zu kandidieren, und die Menschen haben das Recht, mich zu wählen. Aber, wie gesagt, ich habe noch nicht entschieden.
Wenn, dann treten Sie für die Grünen an?
Ich habe keine Eile, ich bin mit mehreren Parteien im Gespräch, um zu verstehen, mit wem eine Zusammenarbeit möglich wäre. Ich werde mir die Sache auch gut überlegen, weil der Wahlkampf 2018 war für mich eine große Ernüchterung.
Sie sind 2018 für die SVP angetreten und haben mit 4.243 Stimmen den Sprung in den Landtag nicht geschafft …
Der Wahlkampf war sehr ernüchternd. Ich habe damals gedacht, dass man in einem Wahlkampf im Team und für ein gemeinsames Ziel arbeitet. Aber im Wahlkampf hatte ich dann ganz wenig Kontakt zu den anderen Kandidaten … Noch schlimmer waren für mich die Wahlveranstaltungen.
Warum?
Ich dachte, dort hat man Kontakt zu den Wählern. In Wirklichkeit sind zu den Versammlungen fünf oder zehn Leute gekommen, und das waren alles SVP-Funktionäre. Was soll ich denen erzählen? Ich hätte mir nie gedacht, dass ich so etwas erleben würde. Dasselbe gilt für die Diskussionskultur im Südtiroler Landtag …
Inwiefern?
Wenn ich sehe, dass bei den Wortmeldungen der Opposition niemand zuhört und die Leute mit ihrem Handy spielen oder auf ihrem Computer herumtippen, dann frage ich mich schon: Warum hört denn da keiner zu? Ich war und bin in vielen internationalen Gremien tätig, dort herrscht eine ganz andere Diskussionskultur.
Zurück zu Ihrer Kandidatur im Jahr 2018: Hat Sie die SVP allein gelassen?
Ja, ich hatte nicht eine Sekunde das Gefühl, dass die SVP will, dass ich gewählt werde.
Ehrlich?
Ja, ich habe dann auch – weil es mich interessiert hat – nachgeschaut, wie viel Geld die Partei für meinen Wahlkampf ausgegeben hat. Wissen Sie wieviel?
Sie werden es uns verraten …
0 Euro! Nicht einen einzigen Euro. Für andere Kandidaten, die auf 1.000 Stimmen gekommen sind, hat die Partei 1.800 oder 2.000 Euro ausgegeben. Für mich 0 Euro! Das ist der Beweis, dass man gar nicht wollte, dass ich gewählt werde. Der SVP war ich gleichgültig.
Was stellen Sie sich im Falle einer Kandidatur im Herbst vor?
Wenn ich mich für eine Kandidatur entscheiden sollte, dann muss das ein Team sein, ich muss spüren, dass man gemeinsam für Ideen kämpft. Und ich muss mich mit den anderen Mitgliedern des Teams auch intellektuell auseinandersetzen können. Ein zweiter Grund, der für eine Kandidatur spricht: Es wäre sehr wünschenswert, dass neue Köpfe ins Hohe Haus reinkommen. Mir fällt diesbezüglich der Spruch von Einstein ein: Es ist eine Form des Wahnsinns zu glauben, dass sich etwas ändert, wenn man alles beim Alten lässt. Genau so ist es auch in der Politik: Wenn man immer dieselben Köpfe in den Landtag wählt, dann hat man auch immer dieselbe Landschaft von Problemen. Sprich: Es wird sich nichts ändern.
Welche Partei kommt für Sie für eine Kandidatur in Frage? Nur die Grünen? Das Team K?
Ich rede mit allen und mein Vorteil ist: Ich muss nicht kandidieren. Und ich bin niemandem etwas schuldig.
Wann werden Sie eine Entscheidung treffen?
Wahrscheinlich spät. Mich reißt es, wie gesagt, hin und her. Ich brauche die Politik nicht. Und ich weiß, dass die Politik frustrierend sein kann, insbesondere die Rolle der Opposition, die nichts zu sagen hat. Zu anderen Aspekten wie den Freunden im Edelweiß brauche ich Ihnen ja nichts zu erklären. Ich bin ein ganz anderes Diskussionsniveau gewohnt. Ich bin Diskussionen gewohnt, wo die Leute einander zuhören, wo Argumente auf den Tisch gebracht und abgewogen werden. So ein Niveau, wie es im Südtiroler Landtag herrscht, habe ich noch nirgendwo erlebt.
Interview: Artur Oberhofer
Kommentare (70)
Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen
Du musst dich EINLOGGEN um die Kommentare zu lesen.