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Zivilcourage

Arnold Tribus

Lehrerinnen sollten ihren Schülern den Wert der Meinungsfreiheit lehren – und sich hinter der Anonymität verstecken. Ein Leitartikel von Arnold Tribus.

Vor einigen Tagen hat RAI Südtirol mit einem dramatischen Interview zweier Lehrkräfte auf die unhaltbare Situation an Südtirols Schulen aufmerksam gemacht. Das Gespräch war derart zu Herzen gehend, dramatisch eben, dass sich die blaue Abgeordnete Ulli Mair entsetzt zu einer Stellungnahme hinreißen ließ, gegen die verantwortungslose Politik, die nichts für unsere Schulen übrig hat, die Lehrer und Professoren nicht unterstützt, im Regen stehen lässt. Totales Versagen der Landespolitik und natürlich des Landesrates.

Nun kann man mit vielen Klagen des Lehrer-Duos einverstanden sein, so dramatisch sei es aber nicht, sagte mir eine altgediente Lehrerin, die schon viel mitgemacht hat an der Schule und trotzdem noch mit viel Engagement immer nach Lösungen sucht und für die Schülerinnen da ist, die problematisch sind. Dass man in gewissen Klassen in Bozen den Kindern nicht mehr einen normalen Unterricht bieten kann, weil die Anzahl der Schülerinnen italienischer Muttersprache und jener mit Migrationshintergrund die Anzahl unserer Kinder übersteigt, schmerzt sie, da habe man zu lange weggeschaut und die Lehrerinnen allein gelassen. Und eine Besserung sei nicht in Sicht. Und es stimmt auch, dass den Schulen alles aufgeladen wird, was die Familien und die Gesellschaft nicht imstande sind zu geben. Die Schule soll alles zurechtbiegen, soll mit schwierigen Schülern fertig werden, ob sie nun verhaltensgestört sind, gewalttätig oder Drogen nehmen. Aus der Bildungsanstalt ist eine Erziehungsanstalt geworden.

Was mich aber entsetzt hat, war weniger der Inhalt der Aussagen der beiden Lehrerinnen, ich habe den Appell „Schule in Not“ der 1.000 Lehrkräfte gelesen, mich hat entsetzt, dass die beiden Lehrer ihren Protest anonym vom Stapel ließen. Der Text wurde von zwei RAI-Sprechern, rezitiert, wie im Theater, als fiktives Interview. Die Identität wurde verschwiegen, weil, so die RAI, die Lehrkräfte sonst Repressalien zu fürchten haben.

Ein schwerwiegender Vorwurf! Ja, leben wir denn in einem Land, in dem eine Lehrerin nicht mehr frei ihre Meinung sagen darf, weil sie negative Folgen fürchten muss? Leben wir denn in einer Diktatur, wo die Meinungsfreiheit mit Füßen getreten wird? Herrschen im freien Land Südtirol Zustände wie im Russland des Diktators Wladimir Putin? Es ist für das Land, aber vor allem für die Schulbehörde, aber auch für den zuständigen Landesrat schlimm, mit einem derartigen Vorwurf konfrontiert zu werden. Und man hat das als ganz normal und selbstverständlich hingenommen.

Es ist aber in Zeiten der sozialen Medien leider Mode geworden, dass man Steine wirft und sich dann hinter der Anonymität versteckt, hinter Phantasienamen, Nicknames. Wer nicht den Mut hat, mit seinem Namen und mit seinem Gesicht zu seiner Meinung zu stehen, bleibt eben anonym. Diese Unkultur ist weit verbreitet und hat auch wesentlich zur Vergiftung des politischen Klimas beigetragen, jeder Idiot darf Personen angreifen und beleidigen.

Es ist aber tragisch, wenn diese Unkultur nun auch auf die Schule übergreift und Lehrkräfte nicht mehr den Mut haben, offen zu ihren Meinungen zu stehen, die durchaus öffentlich vertretbar sind, die Teil einer öffentlichen Debatte sind, weshalb sich niemand verstecken muss.

Dabei sollten gerade Lehrerinnen ihren Schülerinnen den Wert der Meinungsfreiheit lehren, der eine Demokratie kennzeichnet. Wir leben in einem freien Land, in dem jeder seine Meinung sagen kann. Trotzdem klagen viele Menschen, dass sie ihre Meinung nicht mehr offen sagen können, dass es eine Meinungsdiktatur gäbe.

Was diesen anonymen Lehrerinnen aber fehlt, das ist ein weiterer Wert, den sie ihren Schülerinnen lehren sollten: Zivilcourage, den Bürgermut, das mutige Verhalten anderen Menschen gegenüber und das Aufzeigen von Missständen.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (12)

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  • pingoballino1955

    Die prekäre Situation alleine sagt schon alles zu diesem Thema. Still sein,nicht auffallen,sonst kommt Achammer!

  • andreas

    Wohl eher befürchten sie die Reaktionen im persönlichen Umfeld, die Kollegen und die in den sozialen Medien, als berufliche Konsequenzen, da sie dann ev. im Blickfeld der Öffentlichkeit stehen würden und die Schule sich dann gar nicht trauen würde, großartig etwas zu unternehmen.

    • summer1

      Da sieht man, dass du zu allen Themen eine Meinung hast, aber bei diesem Thema überhaupt keinen blassen Schimmer.

      • pingoballino1955

        Das stimmt ,ich meine Andreas,scheint überall und alles zu wissen,er sollte sich zurückhalten,wo ER KEINE AHNUNG HAT!!!!

        • andreas1234567

          Hallo @pingoballino1955,

          muss ich meinem Namensvetter beipflichten und dem Leitartikel widersprechen, die besagten Lehrkräfte wollen/müssen eben nach dem Interview wieder an ihren Arbeitsplatz und haben dann dort den Zwist mit Lehrerkollegen welche die genannten Missstände durch rosarote Inklusionsbrillen sehen auszufechten.
          Hinter diesen rosaroten Brillen stehen meinungsstarke Netzwerke welche wiederum Strassenkämpfer für das Gute aufstacheln, es ist keine Ausnahme dann an der Hausfassade oder am Automobil sachbeschädigende Grüsse vorzufinden, in D funktioniert das so und nennt sich „Hausbesuch“.

          Zudem müssen sie eben wieder vor diese Schulklasse treten und da kann man nur viel Spass wünschen wenn die Anonymität nicht gewahrt wird.

          In D gibt es die Redewendung „sag die Wahrheit wenn du gute Laufschuhe hast“ und in Südtirol etabliert sich diese Kultur gerade ebenfalls.

          Auf Wiedersehen in Südtirol

  • leser2020

    Den Kindern und Jugendlichen mag es an vielem fehlen, aber ganz sicher nicht an Meinungsfreiheit. Die sagen Ihre Meinung auch wenn sie ab und zu besser still wären und einfach mal das tun würden, was ihnen gesagt wird. Ist das Problem die Anonymität der beiden Lehrerinnen oder das, was in den Schulen abläuft? Kommen die Namen der Jugendlichen in die Zeitung, die den Schulbus mit Steinen beworfen haben, die die Schule in Leifers mit den Feuerlöschern verwüstet haben, die in Meran die Schule unter Wasser gesetzt haben, die die Kinder mit dem Kuh-Teaser bedroht haben?

  • artimar

    Es war ein verzweifelter Hilferuf der schon seit langem auf sich gestellten und überforderten Lehrkräfte im Classroom-Management.
    Arno Tribus, was den Lehrkräften fehlt, sind konkrete Hilfen und richtig, damit sie in der Öffentlichkeit nicht nur anonym Missstände benennen können/dürfen, eine Änderung des Dienstrechts.

  • enfo

    Bravo Tribus!!!
    Da spricht eine Berufscharte von Missständen und versucht dies öffentlich zu machen, dass endlich reagiert wird und Sie haben nichts besseres zu tun als draufzuschlagen. Anscheinend haben Sie das Problem nicht begriffen oder wo man hier ansetzen müsste. Ganz bestimmt nicht mit einer Zivilcourage Kritik.
    Typisch Medien halt heutzutage. Anstatt das Problem anzusprechen, suchen sie eines wo keines ist.
    Schlimmer als fehlende Zivilcourage ist diese ständige Besserwisserei und dieses hypermorlische Getue, Herr Baerbock, sorry Tribus.

  • foerschtna

    Ja, lieber Herr Tribus. So weit ist es in Westeuropa, und damit auch in Südtirol, mittlerweile gekommen: Man hat Angst, seine Meinung, falls sie, egal zu welchem Thema, dem offiziellen (Regierungs-)Narrativ widerspricht, öffentlich zu äußern, da man sonst riskiert, diffamiert, ausgegrenzt, und in eine gewisse Ecke gestellt zu werden. Und daran seid ihr Medien leider auch nicht ganz unschuldig. Aber auch irgendwie verständlich. Man beißt die Hand, die einen füttert, und dafür natürlich eine halbwegs konforme Berichterstattung erwartet, halt nicht gerne.

  • enfo

    Herr Tribus, je öfter ich Ihren Kommentar lese, desto mehr würde ich Sie bitten nichmals darüber nachzudenken was Sie da überhaupt geschrieben haben. In freundlichen Worten: löschen Sie bitte diesen Kommentar, denn er lässt Sie wirklich nicht gerade seriös aussehen.

  • placeboeffekt

    „ Dabei sollten gerade Lehrerinnen ihren Schülerinnen den Wert der Meinungsfreiheit lehren, der eine Demokratie kennzeichnet“

    Das klingt sehr nobel und ein bisschen blauäugig
    Lehrer sollten ihren Schülern aber auch nicht verheimlichen welche Folgen eine allzu freie Meinungsäußerung für Beruf Familie und Karriere bedeuten kann

    Eine wirkliche Meinungsfreiheit genießt der , welcher in diesem Sinne mit den Konsequenzen problemlos leben kann

    Dieses Privileg ist hier aber wenigen zu Teil

  • na12

    Schlechtes Gehalt und omertà gehören zusammen. Dass das ein Herr Tribus nicht begreift..

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