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Wohin geht die Reise des Jazz?

(v.l.) Max von Pretz, Stefan Festini Cucco, und Roberto Tubaro: Musik allein macht noch lange kein Festival.

Stefan Festini Cucco, Max von Pretz und Roberto Tubaro sind die neuen künstlerischen Leiter des Südtirol Jazzfestival. Nach dem überraschenden Rückzug von Klaus Widmann als Jazzpräsident übernehmen sie eines der wichtigsten und größten Südtiroler Festivals. In der 41. Ausgabe wollen sie nicht weniger als die Zukunft des Jazz erkunden.

 Tageszeitung: Beginnen wir, zugegeben wenig originell, beim Anfang. Herr von Pretz, wie sind Sie zum Jazz gekommen? 

 Max von Pretz: Meine Schwester Sabine hat mir, als ich noch fast ein Kind war, die frisch erschienene CD des Duos „Chrisalide“ (Chris Pescosta und Alex Trebo aus dem Gadertal) geschenkt. Das war mein erster richtig greifbarer Kontakt mit Improvisation in der Musik. Begeistert von dieser Art Musik zu machen, habe ich dann bald alle bekannten Swing- und Blues-Klassiker rauf und runter gehört. Durch Konzertbesuche und später eine Praktikumsstelle beim Südtirol Jazzfestival hat sich dann die wunderbare Welt des zeitgenössischen Jazz für mich aufgetan. Die Freiheit und das ständige Überraschungsmoment dieser Musik, das Brechen mit jedem vorgegebenen Schema, war für mich derart beeindruckend, dass ich heute eigentlich fast nichts anderes mehr hören kann, ohne schnell gelangweilt zu sein.

Spielen Sie selbst auch ein Instrument?

Max von Pretz: Ich kann ein bisschen Klavier spielen, fühle mich allerdings eher im Blues und Rock&Roll zu Hause. Leider reichen meine Fähigkeiten an den Tasten mit Abstand nicht für eine Karriere als Jazzer…

Wer ist Ihr absoluter Jazz-Favorit? 

Max von Pretz: Es gibt so viele tolle Musiker:innen und Bands, da kann und mag ich mich nur ungern festlegen. Ich freue mich immer sehr über neue Musik, die mich überrascht und die ich so vorher noch nie gehört habe. Deshalb variieren meine Lieblingsbands auch quasi monatlich.

Wie ging es bei Ihnen jazzmäßig los, Herr Festini Cucco?

Stefan Festini Cucco: Los ging es zu Oberschulzeiten, ich besuchte damals auch das Konservatorium und wollte ausbrechen – aus der Klassik meine ich. Ich hörte  kreuz und quer verschiedene Musikgenres und so kam ich auch zum Jazz – und dann ging es auch schon bald mit der Festival-Mitarbeit los, wo ich das Glück hatte, über die Jahre sehr viel zu entdecken: Jazz-Musik, aber auch schrille Gestalten. Das Festival war ein bunter Mix aus amerikanischen Jazzgrößen, local heroes, Manouches und Vertretern des zeitgenössischen europäischen Jazz. Als ich in Gorizia, Lissabon, Leipzig und Rio de Janeiro studierte, wohnte ich eigentlich immer mit Jazzmusikern zusammen, das war keine Absicht, aber Kontinuum. In diesen Jahren hat sich das Spektrum an Musik-Inputs nochmal erweitert, sei es durch die Einblicke in verschiedene Jazzszenen, als auch durch die kontinuierliche Mitarbeit beim Festival in Südtirol, welches neben Weihnachten ein fixer Termin für einen Abstecher in die Heimat war.

Spielen Sie selbst auch ein Instrument?

 Stefan Festini Cucco: Ich spiele Violine und ein bisschen Klavier, aber beide Instrumente ruhen seit längerem. Nach ca. 10 Jahren am Konservatorium hatte ich in den Folgejahren auch etwas Straßenmusik gemacht, in einer Jazzband gespielt und bei einem Theaterprojekt mitgewirkt. Aber dabei blieb es vorerst auch.

Wer ist Ihr absoluter Jazz-Favorit? 

Stefan Festini Cucco: Einen absoluten Favoriten habe ich nicht. Was ich seit Jahren immer wieder höre, sind verschiedene Projekte von Mark Guiliana, Jason Lindner, aber auch William Parker oder wenn’s ans Europäische geht, vorwiegend skandinavische Bands, wie beispielsweise das finnische Trio Elifantree. Was mir gefällt, hängt auch von der Situation ab, ob ich Musik “privat” höre oder ob ich für das Festival recherchiere. Musik, die ich für das Festival Programm vorschlage, höre ich bewusster, mit einem anderen Ohr.

Herr Tubaro, wie hat der Jazzvirus bei Ihnen angedockt?

  Roberto Tubaro: Der einzige Virus, der mich angedockt hat, ist jener der Musik und Kreativität im Allgemeinen. Ich muss sagen, dass ich ziemlich immun gegen Mono-Viren bin, also möchte ich nicht sagen, dass mich das Jazz-Virus tatsächlich erwischt hat. Meine Annäherung an die Jazzmusik erfolgte über den Swing, ein Genre, dem ich am meisten zugetan bin. Um 2003 hat mich ein Album von Renzo Arbore auf diese Musikrichtung gebracht und ich habe dann auch begonnen sie zu spielen. Bis ich zum Festival kam und in der Organisation tätig wurde, war ich sehr traditionell was Jazz angeht. Durch das Festival hat sich mir ein ganz neues musikalisches Universum erschlossen und heute bin ich der Überzeugung, dass das Festival auch die Verantwortung hat, den Menschen auf die Sprünge zu helfen, wenn es darum geht, den zeitgenössischen Jazz und ihre Szenen zu entdecken.

Spielen Sie selbst auch ein Instrument?

Roberto Tubaro: Seit meiner Kindheit spiele ich verschiedene Instrumente, allen voran jedoch Klavier. 2017 habe ich auch einen dreijährigen Spezialisierungskurs für Klavier am CDM – Centro Didattico MusicaTeatroDanza in Rovereto abgeschlossen. Zurzeit spiele ich in verschiedenen Bands und wirke in der Produktion von Musicals mit.

Wer ist Ihr absoluter Jazz-Favorit? 

Roberto Tubaro: Ich kann nicht sagen, dass ich einen bestimmten Jazz-Favorit habe, auch weil die Welt des Jazz so vielfältig ist, dass mein Geschmack je nach Stimmung und Moment sehr unterschiedlich sein kann. Da ich neugierig bin, versuche ich auch immer, neue Sachen zu hören, ohne mich zu sehr auf einen bestimmten Künstler zu konzentrieren. Wenn ich zuhause bin, muss ich allerdings gestehen, dass ich oft old cats wie Chet Baker, Nat King Cole oder Stan Getz von meiner Playlist spiele.

War nach dem überraschenden Rücktritt von Klaus Widmann sofort klar, dass Ihr den Job zu Dritt übernehmen werdet?

Für uns war es bereits vor einiger Zeit klar, dass Klaus das Festival weiterreichen wollte. Wir hatten somit etwas Vorlaufzeit, um uns Gedanken zu machen, aber es kristallisierte sich bald heraus, dass wir die künstlerische Leitung zu dritt machen wollen.  Beim Festival arbeiten wir seit vielen Jahren als eingespieltes Team zusammen, es hat uns somit sehr gefreut, im selben Team auch die Festivalleitung zu übernehmen.

Wer macht in Zukunft was und wie bringt man drei Geschmäcker ohne gröbere Spannungen unter einen Festivalhut? 

Die künstlerische Leitung machen wir zu dritt, um die Festival Produktion kümmern sich Max und Roberto. Zudem ist Stefan Präsident, Roberto Vizepräsident, während Max sich wie bisher um die Geschäftsführung kümmert. Wir haben für die kommende Festivalausgabe unser erstes eigenes Musikprogramm zusammengestellt. In den letzten Jahren haben wir Klaus beim Programm hin und wieder unter die Arme gegriffen, wobei das Große jedoch immer er machte. Als wir drei dieses Jahr begonnen haben, Bands und Projekte auszuwählen, ging das meistens recht geschmeidig über die Bühne. Wir haben eine sehr ähnliche Vision, was die Musik angeht, die beim Festival auf die Bühnen soll.

Klaus Widmann hat das Festival in den 1990er Jahren vor dem Untergang gerettet und über die Jahre ein Entdeckerfestival daraus gemacht. Mit welcher Idee geht Ihr die Programmgestaltung an?

Die Künstlerische Vision von Klaus teilen wir und in Zukunft wollen wir auf dieses Erbe bauen. Die Ausrichtung und der Entdeckergeist bleibt also bestehen. Das Südtirol Jazzfestival hat sich im Laufe der Jahrzehnte zu einer Besonderheit in der europäischen Festival-Welt entwickelt und das soll es auch weiterhin sein.

 Stars waren nie Klaus Widmanns Ding. Er setzte auf Eigenproduktionen, die nicht bei jedem beliebigen Festival zu hören sind. Geht es diesen Weg weiter? 

Ja, sicher, denn genau das zeichnet das Südtirol Jazzfestival aus und das soll auch so bleiben. Das Festival bietet neben spannender Musik an großteils unkonventionellen Konzert-Orten nicht nur dem lokalen Publikum eine Horizonterweiterung in Sachen Musik, sondern ist auch ein Magnet für Fachpublikum und andere Veranstalter der europäischen Jazzszene. Auch die Vernetzung von jungen Künstler:innen und die Entstehung neuer Projekte während der Festivalzeit ist uns ein großes Anliegen, das auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird.

Eine profunde Abneigung gegen den Mainstream kennzeichnet Euer erstes Programm. Ist das ein Erbe von Klaus Widmann und was ist im Jazz überhaupt Mainstream?

Als „Mainstream“ könnte man im Jazz einen bestimmten Stil oder Ansatz bezeichnen, der sich an traditionellen Jazzelementen, -strukturen und Improvisationstechniken orientiert. Mainstreamiger Jazz lässt sich häufig von den klassischen Jazzstilen des frühen bis mittleren 20. Jahrhunderts inspirieren, wie Swing, Bebop und Cool Jazz. Häufig erklingt dabei das Standard-Jazz Repertoire oder Abweichungen davon, darunter auch Kompositionen von berühmten Jazzkomponisten. Die Instrumentierung im Mainstream-Jazz besteht in der Regel aus einer Rhythmusgruppe (Klavier, Bass, Schlagzeug) und Frontline-Instrumenten wie Saxophon, Trompete und Posaune.  Mehr als eine Abneigung gegen Mainstream-Jazz haben wir eine Vorliebe für zeitgenössischen, experimentellen und schwer definierbaren Jazz. Die junge Generation von Jazzmusiker:innen möchte ihre Musik oft nicht in Kategorien packen, auch wenn in ihrer Musik ganz klar Elemente des Jazz, wie beispielsweise freie Improvisation, durchdringen. Genau diese Projekte und Musiker:innen, die den Begriff “Jazz” dekonstruieren, möchten wir weiterhin entdecken und dem Festival-Publikum präsentieren.

Klaus setzte Länderschwerpunkte, das erste von Euch geplante Festival will nicht weniger als die Zukunft des Jazz erkunden. Klingt kühn, zumal ja niemand weiß, wohin die Reise geht.

Wir wollten uns dieses erste Jahr nicht auf ein Land oder eine Region konzentrieren, sondern uns von der Musik „treiben” lassen. Ob wir in Zukunft wieder Länder- oder Themenschwerpunkte setzen werden, bleibt vorerst ein Geheimnis. Ein Merkmal des Jazz ist die ständige Weiterentwicklung und Neuerfindung. Unser Ziel ist es, diese neuen Entwicklungen zu entdecken und dem Publikum zu präsentieren, aber auch als Festival aktiv zu diesen neuen Entwicklungen beizutragen, indem wir Raum geben, Neues zu schaffen und den Musiker:innen einen Begegnungsort bieten.

Eines der Merkmale des Jazzfestivals ist, dass es kapillar das ganze Land abdecken will, was aber mit einem enormen logistischen Aufwand verbunden ist. Bleibt es dabei? 

Ja, der Aufwand ist enorm, aber eine unserer Devisen ist, Musik zu den Menschen zu bringen sowie die Menschen durch unsere Konzerte an Orte zu bringen, die sie sonst nicht besuchen würden. Teil der Festival-Idee ist auch, das ganze Land im Jazz zu vereinen und das ist den logistischen Aufwand definitiv wert.

Angesagt sind Bands und Solisten, die Pop, Rock, Punk, Hip-Hop, Noise, Folk und Zeitgenössisches in ihre Musik integrieren. Gibt es Jazzpuristen in der jungen Szene schlicht nicht mehr?

 Doch, die gibt es und wir haben auch welche eingeladen. Dennoch sind sie bei unserem Festival die Minderheit, das stimmt. Aber das hat mehr damit zu tun, dass uns Ausschweifungen in andere Genres reizen. Im Übrigen gibt es Vermischungen im Jazz wie auch in anderen Musikkulturen seit eh und je. Das macht den Jazz auch so dynamisch, im Sinne, dass er stets neue Elemente in sich aufnimmt und diese weiterverarbeitet – vor allem in Europa erleben wir diesbezüglich gerade glorreiche Zeiten.

Jede neue künstlerische Leitung will und muss sich von der vorherigen abnabeln. Geht das bei einem Übervater wie Klaus Widmann überhaupt? 

Mit der künstlerischen Ausrichtung und dem Festival-Profil unter der Leitung von Klaus haben wir uns immer identifiziert, es bedarf somit keiner radikalen Veränderung, sondern einer Entfaltung. Wir werden den Programmfokus auf jungen, stilistisch entgrenzten europäischen Jazz beibehalten und das Festivalformat weiterentwickeln. Die Szene ist im dauernden Wandel und es entstehen immer mehr neue, spannende Projekte, die wir auf dem Festival präsentieren werden. Beim Festivalformat wird es in Zukunft aber auch die eine oder andere Änderung und Neuheit geben.

Ein gutes Festival erkennt man an der Festivalatmosphäre. Es muss swingen. Ist das die wahre Herausforderung? 

Die Musik allein macht noch lange kein Festival, das ist klar. Ein Festival ist ein gesellschaftliches Ereignis, wo Menschen zusammenkommen, soziale Beziehungen pflegen oder auch neue eingehen, sich eine Auszeit nehmen, neue Eindrücke gewinnen und womöglich ihren Horizont erweitern, etwas erfahren. Eine gute Festival Atmosphäre begünstigt all das und ist eine der Daseinsberechtigungen von Kulturveranstaltungen und wir setzen alles daran, dass das gelingt.

Interview: Heinrich Schwazer

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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