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„Es war wie eine Bombe“

Allein im Bezirk Bozen leben 372 Menschen mit Autismus‐Spektrum‐Störungen, alle unter 21 Jahren. Eltern wollen nun eine Selbsthilfegruppe gründen.

Gleich kommt das Highlight. Der Schleudervorgang, wenn die Zentrifuge startet und mit der enormen Geschwindigkeit von 1600 Umdrehungen pro Minute das Wasser aus der Wäsche presst.

Gebannt sitzt Oliver vor der Waschmaschine und beobachtet den Waschvorgang. Das gleichmäßige Drehen der Trommel scheint ihn zu beruhigen. „Schon als Kleinkind war er fasziniert von allen Dingen, die sich drehen. Besonders von Spielzeug wie Finger‐ oder Handkreisel. Und von der Waschmaschine“, erzählt Carine Louvier.

Oliver ist der Sohn der 49jährigen Boznerin. In wenigen Tagen wird er 15.

Er wirkt wie ein schüchterner Heranwachsender. Ein Junge in der Oberschule, an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Es wird wohl wenige Personen geben, die die Waschsalons von Bozen so gut kennen wie er.

Oliver ist Autist. Autismus ist eine Entwicklungsstörung. Deshalb „ticken“ Autisten anders. Autistische Kinder und Erwachsene erleben die Welt völlig anders als Menschen ohne Autismus. Sie verstehen meistens nicht, was in einem anderen Menschen vorgeht, können Mimik und andere subtile Signale des Gegenübers meist nicht lesen. Das erschwert die Beziehungen zu anderen Menschen sehr.

An sich ist Autismus kein seltenes Phänomen. Man geht von einer Häufigkeit von etwa 1 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. In Südtirol gibt es 650 Menschen mit einer Autismus‐Diagnose (laut verfügbaren Daten des Jahres 2019). Es sind mehr Jungen als Mädchen betroffen.

Allein im Bezirk Bozen gibt es 372 Betroffene unter 21 Jahren. Eine Autismus‐Spektrum‐Störung gilt als unheilbar. Es ist aber durchaus möglich, die damit verbundenen Defizite positiv zu beeinflussen.

Wird der Autismus frühzeitig erkannt, ist es für die Betroffenen mit therapeutischer Hilfe möglich, sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden und ein gutes, eigenständiges Leben zu führen.

Foto: 123rf

Carine Louvier und ihr Mann Marco haben sich viel mit dem Thema Autismus beschäftigt. Oliver war 5 als sie die endgültige Diagnose „Autismus“ bekamen.

„Es war wie eine Bombe“, erinnert sich Carine: „Es war wirklich ein gewaltiger Schock, denn uns war sofort klar: das bleibt. Ein ganzes Leben lang.“ Die kleine Familie musste reagieren. Geeignete Therapien, Fördermöglichkeiten mussten gesucht und gefunden werden. Das sagt sich leicht, dahinter steckt aber viel Arbeit und Hartnäckigkeit. Das ist bis heute so und wird sich nicht ändern.

Der Umgang mit einem autistischen Kind stellt die Eltern, Geschwister und alle Bezugspersonen vor eine große Herausforderung. Es ist es ohne Frage fordernd und anstrengend. Viel Kraft, Geduld und Optimismus sind nötig. Wichtig ist, sich die nötige Unterstützung zu holen, um die eigenen Batterien wieder aufzuladen. Deshalb möchte Carine nun in Bozen eine Selbsthilfegruppe für Eltern von autistischen Kindern gründen. „Es ist wichtig, anderen Familien zu begegnen, die dieselben Erfahrungen und Probleme haben. Dadurch fühlt man sich weniger isoliert. Auch bietet eine solche Gruppe die Möglichkeit, Strategien für spezifische Probleme zu erörtern, Meinungen und Informationen auszutauschen“, sagt Carine Louvier.

Solche Elterntreffs sind ein guter Ort, um sich gegenseitig auszutauschen und zu helfen. Geplant sind monatliche Treffen. Das erste Treffen für interessierte Eltern findet am 12. April um 20 Uhr in Bozen statt.

Weitere Informationen unter Tel. 328 4179199, [email protected].

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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