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„Die Geschichte ist knallhart“

 

Wolfgang Mitterer: Die erste ChatGPT-Oper wird schon kommen, aber mit Sicherheit nicht von Wolfgang Mitterer.

Peter Pan ist eines der abgründigsten Kinderbücher, die je geschrieben wurden. Der Osttiroler Komponist Wolfgang Mitterer hat die Geschichte des ewigen Kindes im Auftrag der Stiftung Haydn nach einem Libretto von David Pountney in eine Oper verwandelt, die von Einsamkeit, Orientierungslosigkeit und Zerbrechlichkeit der neuen „digitalen Generation“ erzählt.

Tageszeitung: Herr Mitterer, ChatGPT konfrontiert die Künstler jeglicher Couleur gegenwärtig mit der Macht der Künstlichen Intelligenz. Sie auch?

Wolfgang Mitterer: Ich habe ein bisschen damit herumprobiert, aber ich komponiere lieber selber.

Das Ding kann schiere Wunder vollbringen.

Ja, aber es kann nicht, was ich will. Beim Komponieren ist es recht praktisch, wenn es darum geht, Strukturen nach bestimmten Anweisungen herzustellen. Aber dafür kann man auch Studenten anstellen. Dann verdienen wenigstens die das Geld. Als Hilfsmittel wird es sicher weiter an Bedeutung gewinnen, aber nicht mehr. Ich möchte mir keine ChatGPT-Oper anhören. Emotionen und freche Wendungen kennt der Computer noch nicht.

Manche sehen schon den Untergang der Künstlerfigur heraufdämmern.

Ich bin da gelassen. Seit den 1980er Jahren bin ich mit Elektronik unterwegs und weiß, was damit möglich ist und was nicht.

Als Elektroniker sitzen Sie eh ständig am Computer.

So ist es. Und ich drücke lieber dem Computer meinen Geschmack auf als umgekehrt.

Manche schwören bereits darauf. Die erste ChatGPT-Oper ist nur eine Frage der Zeit.

Die wird schon kommen, aber mit Sicherheit nicht von Wolfgang Mitterer.

Warum machen die Menschen eigentlich Musik?

Weil der Mensch tanzen will, weil Musik ein Urbedürfnis ist. Leider gibt es immer weniger Musik in der Jugendkultur. Techno oder das, was in Wirtshäusern läuft, ist ja keine Musik.

Was sonst?

Das sind Klanginstallationen, ein installierter Teppich, der die Leute nicht weiter berührt.

Ein hartes Urteil.

Nein, eine Klanginstallation kann auch gut sein, nur ist es keine Musik.

Kaufhausmusik oder Aufzugmusik.

Das wäre dann die tiefste Stufe.

Peter Pan – The Dark Side: Im „digitalen Nimmerland“ (Foto: Francesco Bondi)

In der Oper „Peter Pan – The Dark Side“ geht es auch um Digitalisierung. Wendy driftet als junge Teenagerin im Griff von Social Media und Fake News in ein „digitales Nimmerland“ ab.

Das kann man herauslesen, aber letztlich geht es um Eltern-Kind-Beziehungen, um Jugendliche, wie sie miteinander umgehen, um Leben und Tod und ums Fliegen. Richtig dramatisch.

Märchenstoffe stehen oft auf Ihrer Kompositionsliste. Das tapfere Schneiderlein, Schneewittchen …

Märchenstoffe haben einen dramatischen Kern, der sich sehr gut für die Bühne eignet. Die Frage ist immer, wo fängt das Märchen an und wo hört es auf. Ein Stück von Shakespeare oder eine Mozartoper fühlt sich heute ja auch schon wie ein Märchen an.

Peter Pan kennen die meisten aus der Disney-Verfilmung. Sie auch?

Ich habe sie mir angeschaut, aber die ist vom Original von James M. Barrie ziemlich weit entfernt. Wir haben den Titel um „The Dark Side“ erweitert, damit die Leute wissen, dass es keine Oper für kleine Kinder ist. Das Libretto von David Pountney ist knallhart.

 War das Libretto ausschlaggebend, dass Sie den Kompositionsauftrag übernommen haben?

Zuerst muss mich die Geschichte interessieren, dann muss das Libretto passen, dann kann ich anfangen mit dem Vertonen. Oper ist nach wie vor die komplexeste Kunstform, weil darin die meisten Elemente zusammenkommen müssen. Sänger, Musiker, Licht, Poesie, Inszenierung und so fort.

 Wie gehen Sie eine Oper an?

In dem konkreten Fall hat das Libretto von Anfang an danach gerochen, dass die Musik etwas rhythmischer sein sollte, also nicht so Neue-Musik-mäßig mit nichts zugeben, nichts sagen, ins Ungefähre ausweichen. Ist das erst einmal entschieden, geht es los mit den Singstimmen und so fort. Ich lege mir keinen Plan zurecht, den liefert ja das Libretto. In meinem Studio sitze ich vor fünf Bildschirmen, wo ich alles gleichzeitig laufen lassen kann: Audio, Video, Mutationssoftware, Sound-Design. Auf Papier wäre das eine Schnipselei ohne Ende. Ich komponiere eine Oper wie Filmmusik.

 Das klingt, als müsste man Informatiker sein.

Als ich in den 1980er Jahren angefangen habe, musste man schon noch ein bisschen Ahnung von Programmiersprachen haben, um die Sachen überhaupt zum Laufen zu bringen. Heute sind die Programme selbsterklärend.

Angefangen haben Sie als Organist an der Kirchenorgel.

 Ich habe mit sechs Jahren in Osttirol meine ersten Messen gespielt und danach Orgel studiert. Konzertorganist wollte ich nicht werden, weil dann hätte ich mich bei den Chefitäten anstellen müssen und das habe ich nicht übers Herz gebracht. Nach einer Jazzphase bin ich zur Elektronik gekommen. Elektronische Musik ist nicht auf ein bestimmtes Segment fixiert, man kann damit durch ganz unterschiedliche Felder springen. Das kann Theater- oder Filmmusik oder was anderes sein.

 Was für Komponisten auch eine Überlebensfrage ist.

Eine reine Überlebensfrage. Entweder man geht unterrichten oder man muss sich sonst was einfallen lassen. Ich spiele immer noch viele Konzerte in Kirchen, im Stephansdom in Wien etwa oder im Herbst auf der Biennale in Venedig. Die Orgel ist der Musikcomputer des Barock, eine Riesenmaschine, die ein ganzes Orchester darstellen kann.

 Kann man mit Neuer Musik noch provozieren?

Man kann, es kommt nur darauf an, wo. Ich war jüngst im Wiener Musikverein, wo sie vor einer Mahler-Symphonie ein 20minütiges Stück mit Neuer Musik von einem französischen Komponisten gespielt haben. Da gab´s Buh-Rufe. Gott sei Dank.

 Warum Gott sei Dank?

Das sind ja Kulturbanausen, die da im Musikverein sitzen. Ich würde das nie machen. Draußen schimpfen meinetwegen, aber im Saal Buh schreien, nein.

Das Rezept, ein bisschen Neue Musik, aber nur, wenn nachher Mahler oder Beethoven kommt, funktioniert nicht wirklich.

Das ist überholt. Ich kann mich an ein Konzert in den 80er Jahren auf einem großen Jazzfestival in Deutschland erinnern. Da war die Hälfte des Publikums komplett dagegen und die andere ebenso komplett dafür. Super. Dafür ist Kultur da.

Zurück zu Peter Pan. Was erwartet uns musikalisch?

Ein sehr flottes Stück mit Elektronik und vielen Beats, das immer schneller wird und sich am Ende entspannt auflöst. Keine typische Neue Musik. Es klingt ungefähr so, wie das Plakat ausschaut.

 Interview: Heinrich Schwazer

 

Peter Pan – The Dark Side

Der Osttiroler Komponist Wolfgang Mitterer und der Librettist David Pountney bieten einen neuen und zugleich düsteren Blick auf die Geschichte des Jungen, der nie erwachsen werden wollte. Anders als in der Disney-Aneignung bietet Peter Pan – The Dark Side viele Anknüpfungspunkte an das Original von James M. Barrie. Die britisch-irische Regisseurin Daisy Evans – sie war in Trient bereits mit ihrer Silent Opera Vixen zu sehen – zeigt Wendy als junge Teenagerin im Haltegriff von Social Media und Fake News. Verführt von Peter Pan, driftet sie ab in ein „digitales Nimmerland“, in dem Realität und Fantasie verschwimmen. Es beginnt eine Geschichte im Reich der Schatten und der menschlichen Abgründe. Die musikalische Leitung obliegt Timothy Redmond.

Termine: 25. März um 20.00 Uhr und am 26. März um 17.00 Uhr im Stadttheater Bozen. Empfohlen für ein Publikum ab 16 Jahren. www.haydn.it

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