Du befindest dich hier: Home » News » Der Plan B(aumgartner)

Der Plan B(aumgartner)

Abschaffung des Nachtfahrverbotes, eine dritte vollwertige Autobahnspur von Bozen südwärts und eine Korridormaut, mit der die Lärmschutzmaßnahmen finanziert werden: So würde der Transportunternehmer Thomas Baumgartner das Transitproblem lösen.

TAGESZEITUNG Online: Herr Baumgartner, mit welcher Lösung des Transitproblems könnte man alle Seiten zufriedenstellen?

Thomas Baumgartner: Das ist eine schwierige Frage. Alle Seiten zufrieden zu stellen, ist sehr schwer. Auf der einen Seite ist die Brennerachse eine lebenswichtige Verbindung für die Wirtschaft mit Mittel- und Nordeuropa. Sie müssen bedenken, dass Italien 60 Prozent seines Handelsaustauschs – Erdöl und Rohöl nicht mitgezählt – über den Brenner abwickelt. Über 60 Prozent der Waren müssen also über die Alpen importiert und exportiert werden. Weil die Alpenübergänge nun einmal numerisch reduziert und durch die Alpenkonvention festgefahren sind, gibt es keine Möglichkeit, die Verkehre mehr aufzufächern. Der Weg über den Brenner ist für die allermeisten Exporte der direkteste Weg. Es ist vor diesem Hintergrund verständlich, dass die italienische Wirtschaft ein Interesse daran hat, die Handelsbeziehungen aufrechtzuerhalten. Davon hängt ja auch der Lebensstandard ab, den alle erhalten wollen. Niemand will, dass wir in die Rezession gehen.

Das sind die Erfordernisse der Wirtschaft …

Ja, und auf der anderen Seite gibt es die völlig legitimen Interessen der Anrainer, die möglichst wenig Verkehr hätten. Niemand hat es gern, wenn vor seinem Haus der Verkehr vorbeirollt. Dennoch muss man irgendwie versuchen, die Interessen beider Seiten unter einen Hut zu bringen.

Wie sähe denn ein möglicher Kompromiss aus?

Das Dümmste, was es gibt, ist das Nachtfahrverbot, gekoppelt mit der Nachtmaut, die ja doppelt so hoch ist wie die Maut untertags. Natürlich versucht jeder die verdoppelte Maut zu vermeiden. Hinzu kommt dann noch das Samstagvormittag-Fahrverbot für Lkw. Aufgrund dieser Einschränkungen konzentriert sich der Lkw-Verkehr auf die Tagesstunden unter der Woche…

Foto: 123RF.com

Wenn man derzeit am Vormittag auf der Brennerautobahn unterwegs ist, gibt es auf beiden Spuren kilometerlange Lkw-Kolonnen, der Pkw-Verkehr muss dann über nur eine Spur abgewickelt werden …

Eben! Das ist die Konsequenz dieser Verbote, wegen dieser Verbote ist der Verkehr in der Früh am stärksten. Von Norden her staut sich der Verkehr, weil die Lkw aufgrund des Nachtfahrverbotes in der Früh um 05.00 Uhr alle losfahren, zwischen 07.00 und 09.00 Uhr kommt dann noch der Pendlerverkehr dazu. Deswegen ist die Brennerautobahn untertags immer verstopft, und in Sterzing wird wild geparkt, weil der Parkplatz der Sadobre hoffnungslos überfüllt ist …

Was tun und nicht verbieten?

Die einzige Lösung ist: das Nachtfahrverbot und doppelte Nachtmaut abschaffen! Es ist ja absurd, dass man eine Struktur, die eh schon belastet ist, nur zur Hälfte nutzen kann. Obendrein macht die derzeitige Regelung auch umweltpolitisch keinen Sinn. Denn wir haben, erstens, ständige Staus, durch dieses ständige Stop and Go ist die Umweltbelastung viel höher.

Um eine Abschaffung des Nachtfahrverbots führt keine vernünftige Lösung herum?

Eher nicht. Wenn wir das Nachtfahrverbot und die doppelte Nachtmaut abschaffen, erübrigt sich das Dosiersystem in Kufstein, und wir hätten die Staus in Bayern nicht mehr, das Verkehrsausmaß wäre erträglich. Denn Sie müssen bedenken: In Deutschland gibt es Autobahnen, auf denen 5 Millionen Lkw pro Jahr verkehren, über den Brenner fahren rund 2,5 Millionen Lkw. Sie können bei der A 22 oder beim ASTAT nachfragen, südlich von Bozen und auf der MeBo gibt es mehr Verkehr als auf der Autobahn am Brenner.

Die Autobahn zu Corona-Zeiten

Damit wird die Situation auf der A 22 nicht besser …

Ja, aber es gibt eine Faustregel: Wenn das Bruttosozialprodukt um ein Prozent steigt, dann steigt der Verkehr um das Dreifache. Je höher der Lebensstandard, desto mehr Waren werden transportiert und desto mehr steigt der Individualverkehr. Wir brauchen unbedingt die dritte vollwertige Autobahnspur von Bozen südwärts. Nur in eine dynamische zu investieren wäre Flickwerk wie der Ausbau der Pustertaler Straße und vergeudetes Geld.

Schöne Aussichten …

Wir wollen keine Rezession, wir wollen keinen Stillstand. Italien lebt vom Import und vom Export, die Auswirkungen sind: mehr Verkehr! Wir können das drehen, wie wir wollen. Wir können uns nicht davon abkoppeln und sagen: wir wirtschaften regional. Südtirol produziert 10 Prozent aller europäischen Äpfel. Wollen wir die alle selbst essen?

Also halten auch Sie die Forderungen von Verkehrsminister Matteo Salvini, der sagt: zuerst schaffen wir die Verbote ab, dann reden wir weiter, für berechtigt?

Ja, Salvini hat Recht. Sämtliche Verbote, die Tirol und Österreich eingeführt haben, verstoßen gegen die Bestimmungen des freien Warenverkehrs und gegen EU-Recht. Österreich hat ja bereits eine Verurteilung bekommen, eine zweite Verurteilung haben sie sich durch den sogenannten Luft-Hunderter …

… darunter versteht man das Immissionsschutz-Gesetz Luft mit den variablen Tempolimits und mit dem Ziel, den Schafstoffausstoß zu reduzieren …

Richtig. Mit diesem Luft-Hunderter hat man sich vor einer zweiten Verurteilung gerettet. Aber: Durch die massive Umrüstung der Lkw-Flotten auf Euro-6-Motoren gibt es im Inntal seit drei, vier Jahren keine Überschreitungen der Schadstoffwerte mehr. Also fehlt für den Luft-Hunderter die gesetzliche Grundlage. 

Sie glauben, die Österreicher lassen sich biegen?

Wir wollen niemanden biegen. Wie alle Mitgliedsstaaten muss auch Österreich sich an den Rechtsstaat halten, erst dann kann man sich an einen gemeinsamen Tisch setzen und schauen, ob man gemeinsam Lösungen findet. Österreich ist immer einseitig vorgeprescht. Und die Konsequenz ist – um nur ein Beispiel zu nennen –, dass es in Bayern täglich 60 bis 70 Kilometer lange Staus gibt, die die Polizei mit sechs Streifen abfahren muss. Fahrer und Fahrerinnen können nicht einmal aussteigen, um ihre Bedürfnisse zu erledigen. Das ist ja paradox und unsinnig. Den Österreichern fehlt die Menschlichkeit …

Foto: lvh

Das wird man in Innsbruck und in Wien aber nicht gerne hören …

Das mag schon sein, aber Salvini hat Recht: Zuerst müssen die Verbote weg, und dann müssen Deutschland, Österreich und Italien sich mit der EU zusammensetzen und eine Lösung finden. Ich bin nämlich der festen Überzeugung, dass die Abschaffung des Nachtfahrverbotes kein großes Problem wäre, das Nachtfahrverbot ist ein Tabuthema, das herumgeistert, aber die Bevölkerung hat längst verstanden, dass heute die Bahn lauter ist als der Lkw. Natürlich, wenn man direkt neben der Autobahn wohnt, ist das nicht angenehm. Andreas Schatzer …

… der Präsident des Gemeindenverbandes …

… hat Salvini gefragt, die 60 Meter Bannstreifen längs der Autobahn, wo man nicht bauen darf, zu verkleinern. Das hat mich schon sehr gewundert.

Sie glauben, also, dass man mit der Abschaffung des Nachtfahrverbotes das Transitproblem lösen könnte?

Es braucht noch andere Lösungen. Wir sagen nicht, dass das sektorale Fahrverbot abgeschafft werden muss, es muss anders gestaltet werden, indem es, beispielsweise, nur für die langen Transporte greift. Auch müssen sämtliche Beschränkungen, die Österreich einführt, auch für die österreichischen Frächter und für den Ziel- und Quellverkehr, also den hausgemachten Verkehr von Tirol gelten, ansonsten sind die Bestimmungen diskriminierend. Wir wären auch für eine Korridor-Maut, wenn die Gelder, die daraus lukriert werden, dann in Lärmschutz- oder Einhausungsprojekte investiert werden. Ich könnte mir auch eine differenzierte Maut vorstellen: höhere Maut zu Stoßzeiten, niedrigere Maut in der Zeit, wo wir weniger Verkehr haben. Es gäbe verschiedene Lösungsansätze …

Beim Salvini-Besuch ist wieder einmal sichtbar geworden, dass LH Arno Kompatscher in der Transitfrage zwischen zwei Stühlen sitzt …

Arno Kompatscher

Kompatscher und mit ihm die SVP haben das Problem des Wipptals, wo sie immer weniger Zuspruch bekommen. Die Wipptaler sind vom Verkehr auch am meisten betroffen. Andererseits habe ich aufmerksam zugehört, was der Bürgermeister der Gemeinde Brenner …

… Martin Alber …

… beim Treffen mit Salvini gesagt hat. Alber hat gesagt, dass seine Gemeinde drei Probleme habe: die Schiene, die Autobahn und die Staatsstraße. Den größten Lärm verursache die Eisenbahn. Und weil – ich zitiere immer den Bürgermeister Alber – die Autobahn ständig blockiert und verstopft sei, fahren die Autos auf die Staatsstraße ab, so dass auch dort ständig Staus entstünden. Das heißt im Umkehrschluss: Ein flüssiger Verkehr würde die Anrainer im Wipptal weniger stören als die ständigen Staus.

Können Sie LH Kompatscher verstehen, wenn er die Freunde im Vaterland nicht enttäuschen will?

Natürlich ist er in einer schwierigen Situation, er will es sich mit bestimmten Wählerschichten nicht vertun. Ich kann ihn verstehen, er muss ja für die ganze Bevölkerung da sein. Andererseits muss man sagen, dass die ganzen Verbote ja nichts gebracht haben. Der Verkehr ist weiter jedes Jahr gestiegen. Und wenn die Lkw nachts nicht fahren, bedeutet das ja nicht weniger Verkehr, sondern der Verkehr konzentriert sich dann halt auf den Tag.

Mit einer Korridor-Maut könnten Sie leben?

Wir Frächter könnten damit leben, das Problem entstünde für die Wirtschaft, weil zusätzliche Kosten entstehen, die die Wirtschaft an die Verbraucher weiterreichen bzw. abwälzen muss.

Sie sehen also noch immer kein Licht am Ende des Tunnels?

Das Nachtfahrverbot, die doppelte Nachtmaut und das Samstagvormittag-Fahrverbot bringen nur Nachteile und müssen abgeschafft werden. Und dann kann man sich an einen Tisch setzen.

Was sagen Sie zu Kompatschers Slot-Lösung?

Man kann darüber reden, aber ich wage jetzt schon zu behaupten: Diese Lösung ist zu kompliziert und technisch nicht umsetzbar und müsste wennschon für alle Verkehrsteilnehmer gelten. Wir kommen also immer wieder zu dem einen Punkt zurück: Österreich muss einen Schritt setzen. Wenn nicht, dann werden es die Richter sein, die eine Entscheidung treffen. Vielleicht ist es genau das, was unsere Politiker wollen …

Nämlich: Lassen wir ein Gericht entscheiden, dann muss ich, der Politiker, nicht die unpopuläre Entscheidung treffen?

So könnte es sein. 

 

Foto: Leonhard Angerer

Glauben Sie wirklich, dass Österreich einen Schritt zurück macht?

Eher nicht, denn die Tiroler Politik, die Tiroler Wahlkämpfe waren ja immer auf diesem einen Thema aufgebaut. Mit der Politik: Wir machen Beschränkungen für die Nachbarn und lassen den hausgemachten Verkehr draußen, wurde in Tirol ja immer Politik gemacht. Der Beweis, dass die Politik der Österreicher und Tiroler populistisch ist, aber de facto nichts bringt, ist der, dass die Zahl der Speditionsunternehmen in Tirol zunimmt, bei uns in der Region nehmen sie stark ab.

Kommt die Lösung mit dem Brennerbasis-Tunnel?

Den Brennerbasis-Tunnel braucht es, um den Zuwachs an Verkehr aufzufangen. Bereits jetzt laufen knapp 30 Prozent der Transporte auf der Schiene, das sind 15 Millionen Tonnen pro Jahr. Zum Vergleich: Durch den ultramodernen Gotthard-Tunnel laufen auch nur 16 Millionen Tonnen, praktisch gleich viel wie über die alte Brenner-Schiene. Der klassische Eisenbahnverkehr nimmt ab, der unbegleitete kombinierte Verkehr der Frächter auf der Schiene steigt. Die Eisenbahn steigt gleich viel wie der Güterverkehr.

Mit dem BBT würden dann …

Wir dürfen nicht glauben, dass der Straßen-Güterverkehr weg ist, wenn der Tunnel gebaut ist. Wir haben berechnet: Mit der zu erwartenden Steigerung der Transportgüter werden wir 2035 oder 2040, also wenn der BBT fertig ist, 50 Prozent Schiene und 50 Prozent Straße haben. Das heißt, dass auf der Autobahn immer noch 2,5 Millionen Lkw bleiben, zuzüglich muss die Eisenbahn ihre Kapazitäten um über 200 Prozent steigern, was nicht einfach ist.

Interview: Artur Oberhofer

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (17)

Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen

  • steve

    Abschaffung des Nachtfahrverbots für Elektro-LKW: weniger Lärm, keine Abgase!

    Salvini wird wohl von Katar, den Russen und Eni finanziert: für die ist die Elektrifizierung das Werk des Teufels!

  • pippo

    Abschaffung des Nachtfahrverbotes kommt nicht in Frage !!!!!!
    Gruß aus dem verkehrsgeplagten Eisacktal.

  • hoihoi

    Bitte a seine eigen Fahrer sagen , Geschwindigkeitsbegrenzung von Lkw’s auf Brennerautobahn Süd – und Nordwärts ein zuhalten als auch auf der MEBO , soweit ich informiert bin heißt dieses Limit nicht 90kmh , danke

    Ist heute über Gps von der Firma leicht zu prüfen ….

  • hoihoi

    Nicht zu vergessen das Lkw Überholverbot welches nicht eingehalten wir auch von seinen Fahrern ….

  • andreas

    Baumgartner hat es gut erklärt, warum spätestens nächstes Jahr sich die Tiroler ihr Nachtfahrverbot abschminken können.
    Alle die dagegen sind, können ja einen Vorschlag machen, wie man sonst die Güter über die Alpen bringt.

    Und wer meint, dass der Transport generell eingeschränkt werden muss, kann ja gerne damit beginnen und auf die Hälfte seines Krempels und Lebensmittel verzichten.

    • george

      ‚andreas‘, aus deinen Kommentaren lese ich heraus, dass du immer von den anderen forderst sich einzuschränken. Du selber willst nicht auf deinen Luxus verzichten und deinen „Krempel“ einschränken.
      Immer nach dem Prinzip gemäß der Bitte an den hl. Forian, wenn dann das Haus des Nachbarn anzuzünden.

  • sigmundkripp

    Also bei der Korridormaut scheint es Einigkeit zu geben! Sie muss nur hoch genug sein! z.B. 2 €/km zwischen Rosenheim und Verona. Dann wird der Transport zwar teurer, da hat Baumgartner Recht. Aber das führt zu einer Auslese der transportierten Waren: Billiger Schrott und Müll werden dann eher wegfallen, als teurere Lebensmittel oder Industrieprodukte.
    Die Bezugnahme auf die 5 Mio LKW/Tag auf deutschen Autobahnen zeigt aber, wohin Baumgartner wirklich denkt: Er läßt LKWs fahren, je mehr, desto besser. Fur IHN.

  • hallihallo

    die strecke verona-rosenheim würde sich ja bestens für ein zukunftprojekt eignen, wenn die lkw-s eh nicht abnehmen.
    oberstromleitung auf der rechten spur und nur elektro-lkws. wird in skandinavien auch schon getestet. für das abrollgeräusch der reifen, welches wahrscheinlich schon jetzt lautet ist als die motoren, weiß ich leider keinen vorschlag.

  • steve

    Wenn du schon vom Fach nichts verstehst, bring dir zimindest ein bisschen Bildung bei, wenn du hier mitdiskutieren willst!

  • dn

    Die Frachter verdienen eh viel zu viel.

  • vinschgermarille

    So so ,den Österreichern fehlt also die Menschlichkeit…..selten so einen Blödsinn gelesen.
    Hier geht es um reine wirtschaftliche Interessen , mein Mitleid mit den Frächtern hält sich in Grenzen .Dann schon eher mit den Anwohnern im Inntal und im Eisacktal.Seit den 70ern heißt es der ,LKW Verkehr muß auf die Schiene.Passiert ist seitdem so gut wie gar gar nichts.
    Zu Salvini sagt man am besten gar nichts , der Mann ist ein Schwätzer und bei Bedarf auch Hetzer.

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen