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„Versuchsanstalt fürs Wahre und Originelle“

Hubert Stuppner, Gründer und Leiter des Festivals Zeitgenössischer Musik: Während bei der Gründung des Festivals vor 48 Jahren nur 2 Südtiroler „zeitgenössisch“ unterwegs waren, hat heute allein der Südtiroler Künstlerbund 30 Mitglieder, die konsonant oder atonal, eklektisch oder radikal, strukturalistisch oder improvisatorisch komponieren.

Vor 48 Jahren gründete Hubert Stuppner das Festival Zeitgenössischer Musik. Über 300 Uraufführungen hat es seither in den Konzertsaal gebracht. Die überaus lebendige Szene zeitgenössischer Musik in Südtirol ist ihm zu verdanken.

Gegründet vor 48 Jahren in der Phase des kulturellen Aufbruchs in Südtirol, steuert das Festival Zeitgenössischer Musik im nächsten Jahr auf die 2024 fällige 50-Jahr-Ausgabe zu. Es hat eine wechselhafte Geschichte hinter sich. In den Siebziger Jahren neugierig beargwöhnt, aber vom konservativen Landesrat Zelger niemals in Frage gestellt, ging der Geldsegen, der in den Achtziger und Neunziger Jahren die staatstragenden einheimischen Institutionen beglückte, spurlos an ihm vorüber. Die Förderung der kreativen musikalischen Potentiale wurde damals mehr mit Mitten des zentralen Kultur-Ministeriums vorangebracht als mit lokalen Zuwendungen. In diesem gewissen Abseits erinnerte man sich oft an die exklusiven „Musikalischen Privataufführungen“ Schönbergs in Wien nach dem Ersten Weltkrieg, in denen unter Ausschluss der Öffentlichkeit durch 170 österreichischen Erstaufführungen moderne Musikgeschichte geschrieben wurde.

Gesellschaftlich und psychologisch ist das Misstrauen dem Unerhörten gegenüber durchaus verständlich, denn Neue Musik ist nicht, wie oft behauptet, die Musik der Zukunft. Sie befasst sich ausschließlich mit Gegenwart, bezaubert, beschwört oder verstört die Menschen hier und jetzt. Neue Musik verweigert nämlich das Gefühl von Besitz und Beständigkeit, das sehr wohl die unsterblichen Meisterwerke der Vergangenheit vermitteln. Im Übrigen hält die Avantgarde, die ruhelos unterwegs ist, nichts von Zeitlosigkeit und wo sie diese reklamiert, ist sie unglaubwürdig. Schönberg war überzeugt, mit der Erfindung der Zwölftonmusik „die Vorherrschaft der deutschen Musik für alle Zeiten gesichert zu haben“ und hat sich geirrt. Stockhausen hat anlässlich der Aufführung seiner „Stimmung“ in Bozen von sich gegeben, dass „dieses Werk nun für die nächsten tausend Jahre gerüstet“ sei. Auch er hat sich geirrt. Die Achillesverse jeder Avantgarde ist deren Kurzlebigkeit. Dazu kommt, dass heute niemand mehr genau weiß, wer stilistisch recht hat.

Dies sind die Bedingungen, mit denen dieses exklusive Südtiroler Festival auch 2023 zu rechnen haben wird. Eine Konzertreihe, die es im Lauf der Jahre – in Kooperation mit „Windkraft“ und dem Südtiroler Künstlerbund – auf über 300 Uraufführungen gebracht hat. Dieses Festival hat sich inzwischen auf die Verhältnisse eingestellt und überbrückt beispielsweise die Abwesenheit von Rezensenten mit „präventiver Kritik“, indem es die Stücke schon Tage vor dem Konzert auseinandernimmt und dem Publikum mitteilt, was es zu hören bekommt. Die Beharrlichkeit hat sich gelohnt, denn während bei der Gründung des Festivals vor 48 Jahren nur 2 Südtiroler „zeitgenössisch“ unterwegs waren, hat heute allein der Südtiroler Künstlerbund 30 Mitglieder, die konsonant oder atonal, eklektisch oder radikal, strukturalistisch oder improvisatorisch komponieren. Diese Vielfalt gilt es, wie in einer  „Versuchsanstalt fürs Wahre und Originelle“ weiter zu stimulieren und zu fördern. (Hubert Stuppner)

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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