„Lage ist ernst“
Gewaltige Murenabgänge und Überschwemmungen – das droht Südtirol, wenn der Borkenkäfer nicht bekämpft wird, warnt der Forstwissenschaftler Ralf Petercord.
Herr Petercord, Sie sind im Ministerium für Landwirtschaft in Nordrhein-Westfalen tätig. Dort kämpft man bereits seit längerem mit dem Borkenkäfer. Wie ist die Situation dort?
Ralf Petercord: Die Fichtenwälder machen bei uns rund 30 Prozent aus. Von denen haben wir rund die Hälfte durch den Borkenkäfer verloren, das bedeutet wir haben einen Vorratsverlust von 60 Prozent, weil die Alt- und Mittelbestände gestorben sind. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Liquidität der Waldbesitzer. Die Befallsdynamik ist aktuell etwas abnehmend, aber es wird nach wie vor rund fünf Millionen Festmeter Schadholz geben. Im Jahr 2019 hatten wir 15,5 Millionen Festmeter Schadholz. Das ist mehr als das fünffache unseres Jahreseinschlages. Die Abnahme ist auch damit zu erklären, dass es kaum Fichtenbestände gibt. Der Borkenkäfer frisst nahezu alles auf. Um die Restbestände kämpfen wir aber.
Sie konnten sich nun ein eindringliches Bild vom Borkenkäfer in Südtirol machen. Wie ernst ist die Lage?
Die Lage ist sehr sehr ernst. Sie werden intensive Anstrengungen machen müssen, um die noch intakten Wälder zu halten. In Teilen sind diese noch vorhanden, es gibt aber auch Wälder, wo man den Kampf bereits verloren hat. Dort stellt sich die Frage, welche Aufarbeitung man noch macht. Südtirol muss eine Flächen-Priorisierung durchführen und den Waldumbau schnell und intensiv angehen.
Was ist unter einem Waldumbau zu verstehen?
Südtirol wird ein neues Waldbild bekommen. Es wird künftig einen jüngeren Wald geben, man wird vielleicht auch mit einem Vorwald – also mit Baumarten, die man vorher nicht als Hauptbaumarten betrachtet hat – arbeiten. Ich sehe hier vor allem eine große Bedeutung in der Tanne. Wie der Wald von morgen aussehen wird, weiß niemand. Der Klimawandel wird zu einem anderen Waldaufbau führen. Welcher Baum im Jahr 2100 wächst, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass er jünger sein wird. Ich hoffe außerdem, dass wir noch einheimische Baumarten haben werden. In den Schutzwäldern ist außerdem eine Dauerbewaldung notwendig, was sehr anspruchsvoll ist. Die Natur kann uns unterstützen, wird aber zu langsam sein, um sich an den Klimawandel anzupassen.
Der Wald in Südtirol steht also sozusagen vor einer Revolution?
Auf jeden Fall. Man muss nun bereit sein, diese Veränderung anzunehmen, man muss daran arbeiten. Ein einzelner kann das nicht schaffen, es ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Man darf die Waldbesitzer nicht alleine lassen. Man muss den Waldumbau bereits jetzt – auch in Flächen, die noch nicht geschädigt sind – vorantreiben.
Südtirol unterscheidet sich aber deutlich von NRW. In Südtirol macht man sich vor allem wegen des Schutzwaldes Sorgen. Wie akut ist die Gefahr für den Menschen, wenn man hier nicht eingreift?
Wie akut die Gefahr derzeit ist, ist unklar. Wer sich aber an die dramatische Flut im letzten Jahr in Nordrhein-Westfalen mit 187 Toten erinnert, kann sich vorstellen was passiert. Selbst in meiner Heimatstadt sind fünf Menschen gestorben, obwohl man dort nicht mit Überschwemmungen rechnen muss. Ein Starkniederschlag, der am Südrand der Alpen hängen bleibt und 24 Stunden dableibt, wird zu dramatischen Folgen führen. Ich möchte mir die Murenabgänge, die entstehen könnten, gar nicht vorstellen. Wie akut das ist, weiß man nicht: Wir in NRW waren nicht vorbereitet, die Menschen die gestorben sind, haben sich falsch verhalten. Sie haben sich vielleicht in Kellerräume eingesperrt, haben sich das Spektakel im Freien angeschaut oder sich schlicht überarbeitet. Ich behaupte, in Südtirol gilt dasselbe. Das Akute kann schneller kommen, als man es sich vorstellt. Wenn es keinen Schutzwald gibt, ist es jedenfalls viel wahrscheinlicher, dass die Gefahr vor solchen Katastrophen akut wird. Im Klimawandel werden Extreme extremer. Schutzwälder spielen daher eine wichtige Rolle.
Teile der Schutzwälder in Südtirol sind wohl nicht mehr zu retten. Kann man solche Naturkatastrophen rechtzeitig verhindern?
Teilweise schon, allerdings nicht durch eine Umwaldung, sondern durch technische Verbauungen. Diese sind aber teuer, aufwendig und können nicht überall gemacht werden. Die technische Verbauung anstelle eines Schutzwaldes kostet pro Hektar zwischen 100.000 und 300.000 Euro. Das heißt, in den Erhalt des Schutzwaldes zu investieren, zahlt sich aus. Ein Schutzwald funktioniert dauerhaft, während man technische Verbauungen immer wieder erneuern muss. Diese Werthaftigkeit des Schutzwaldes muss in der Bevölkerung ankommen. Die Waldbesitzer, die Schutzwald besitzen, leisten eine wichtige Aufgabe. Schutzwald ist Daseinsvorsorge.
Wird Ihrer Ansicht nach genügend getan, um den Schutzwald in Südtirol zu bewahren?
Was ich bisher gesehen und gehört habe, hat mich beeindruckt. Die Forstverwaltung hat das Problem klar erkannt und arbeitet auch daran. Insgesamt gesehen ist der Erfolg nicht so, wie man ihn sich gewünscht hat. Was den Waldumbau betrifft, sind wir in ganz Mitteleuropa nicht vorbereitet. Wir sind überrascht, wie schnell der Klimawandel zuschlägt. Wir hatten die Borkenkäfer-Gradation auf den Plan, aber nicht für das Jahr 2018. Wir hatten damit gerechnet, dass das 2050 der Fall ist. Die Dynamik des Klimawandels wird enorm unterschätzt. Ich habe mir beispielsweise mittlerweile 50 Sandsäcke gekauft, um mich vor weiteren Überflutungen zu schützen. Man muss sich also anpassen, das gilt sowohl für Privatpersonen als auch für den Wald. Man hat aktuell zwar einen schönen Fichtenbestand, aber dieser wird sterben, weshalb man ihn umbauen muss.
Eigentlich ist klar, was zu tun ist: Das Schadholz muss möglichst schnell entfernt werden, um die weitere Verbreitung des Borkenkäfers zu verhindern. Die Waldbesitzer bleiben aber meistens auf hohen Mehrkosten sitzen. Wie kann man die Aufarbeitung dennoch fördern?
Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Menschen, die in diese Richtung aktiv werden, müssen finanziell unterstützt werden, die zielgerichtet sein muss. Man muss sich gut überlegen, was man fördert. Ich würde beispielsweise einen Zusammenschluss fördern. Man könnte auch das Pflanzen der richtigen Baumarten fördern oder sogar eine Hubschrauberbringung komplett finanzieren, falls diese nötig ist und ein Wald dadurch noch gerettet werden kann. Wenn Maßnahmen für die Situation passen, müssen diese auch gefördert werden. Sprich: Man muss sich auf das Ziel fokussieren, das ist von fall zu fall unterschiedlich.
Kann das in Südtirol noch gelingen?
Ich denke schon. Wir in NRW sind auf die Nase gefallen, in Südtirol ist die Ausgangssituation anders. Die Zeit ist knapp, man muss konzentriert mit der Arbeit beginnen und man hat bereits jetzt rund 500 Hektar Wald verloren. Man muss also jetzt die richtigen Entscheidungen treffen und schlau fördern. Man muss auf Belohnung setzen. Wichtig ist, dass man Schuldzuweisungen und Vorwürfe vermeidet. Man muss Probleme erkennen und dann richtig fördern. Das bringt nur Frustration mit sich.
Interview: Markus Rufin
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Kommentare (2)
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nobodyistperfect
Leider versagen die zuständigen Ämter vollständig, abwarten statt handeln heißt dort die Devise.
dn
Das Ebner’sche Panikorchester spielt: Peter und der Wolf und Försters Albtraum (muss erst vertont werden).