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„Meer, Träne, Schweiß, Kochsalzlösung usw.“

Greta Maria Pichler: Meine Gedichte erzählen von Begegnungen, von Konflikten, von Bewegungen, von Sicherheiten und Unsicherheiten, vom Klaren und Gewissen, vom Unruhigen, vom Ungewissen, von den Vielleichts. (Foto: L. Maran/M. Fritz)

Der „open mike“ ist der renommierteste deutsche Literatur-Nachwuchspreis. In der Sparte Lyrik hat ihn heuer die Brixnerin Greta Maria Pichler gewonnen. 

Tageszeitung: Gratulation zum Gewinn des „open mike“. 

Greta Maria Pichler: Vielen Dank, ich freue mich sehr.

Wie läuft denn der „open mike“ ab, ist das so was wie die Berliner Variante des Bachmann-Preislesens in Klagenfurt?

Der Open Mike läuft folgendermaßen ab: Personen unter 35, ohne eigenständige literarische Buchpublikation senden einen anonymisierten und unveröffentlichten Text (entweder Lyrik oder Prosa) ein. Eine Vorjury, bestehend aus Verlagslektor*innen wählt aus den ca. 500 Einsendungen  ca. 20 Texte für das Finale aus. Das Finale wird in Form einer öffentlichen Lesung ausgetragen. Die dort anwesende Jury, dieses Jahr bestehend aus Zsuzsanna Gahse, Nadja Küchenmeister und Madame Nielsen ermittelt drei Gewinner*innen. Diese formalen, aber dennoch wesentlichen Merkmale des Open Mike Wettbewerbs unterscheiden ihn maßgeblich vom Bachmannpreis in Klagenfurt bei dem beispielsweise sowohl Vorauswahl als auch die Durchführung des Wettbewerbs anders abläuft.

Wie ist denn die Stimmung beim Finale? Geht es da lautstark zu wie bei einem Poetry-Slam? 

Der Konsens bzw. Dissens des Publikums ist beim Finale durchaus spürbar, es gibt mal mehr mal weniger Applaus und Jubel.  Die Stimmung und Haltung des Publikums der gerade lesenden Person gegenüber war (diese Jahr jedenfalls) sehr respektvoll.  Schlussendlich entscheidet beim Open Mike aber die Fachjury, wer die Preise gewinnt und nicht das Publikum; ein Vergleich mit Poetry Slam macht daher, meines Erachtens, wenig Sinn.

Sie sind eine erprobte Slammerin. Haben Sie einen Text eingereicht, von dem Sie wissen, dass er auch auf der Bühne funktioniert?

Ich habe einen Text eingereicht, an dem ich viel gearbeitet habe und von dessen Qualität ich überzeugt bin. Darüber, ob er auf einer Bühne funktioniert oder nicht habe ich mir vorab keine Gedanken gemacht und dieser Aspekt ist bei so einem Literaturwettbewerb eher zweitrangig. Vorrangig geht es um die Qualität des geschriebenen Textes, ein guter Vortrag ist sicherlich von Vorteil, aber nicht ausschlaggebend.

Ausgezeichnet wurden Sie in der Sparte Lyrik für den Text „Salzwasser“. Was bringen Sie zur Sprache, worüber schreiben Sie, was bewegt Sie?

Der Zyklus Salzwasser ist ein Auszug aus einem längeren Textprojekt an dem ich gerade arbeite.  All diesen Gedichten liegt das Salzwasser zugrunde (Meer, Träne, Schweiß, Kochsalzlösung usw.), sie erzählen von Begegnungen, von Konflikten, von Bewegungen, von Sicherheiten und Unsicherheiten, vom Klaren und Gewissen,  vom Unruhigen, vom Ungewissen, von den Vielleichts.

Ein allgemeines Krisengefühl sei in den vorgelesenen Texten spürbar, sie seien konzentriert sprachkritisch und gesellschaftlich interessiert, sagt die Leiterin  des „haus für Poesie“ Katharina Schultens. Erkennen Sie sich darin wieder? 

Mein Schreiben ist an manchen Stellen mehr, an anderen weniger, gebunden an das Jetzt,  also ja.

Der „open mike“ gilt als der wichtigste deutsche Literaturnachwuchswettbewerb und als Treffpunkt von Verlegern und Lektoren. Haben Sie bereits Kontakte geschlossen?

Ich habe während des Wettbewerbs sowohl im Publikum als auch unter den Finalist*innen sehr viele interessante und sympathische Menschen kennengelernt und hoffe, dass diese geknüpften Kontakte anhalten.

Sie studieren „Sprachkunst“ an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Was genau studiert man da?

Literarisches Schreiben, wir lesen, besprechen und kritisieren eigene und fremde Texte, sprechen über Text in Zusammenhang und Austausch mit anderen Kunstformen.

Bei Gedichten werden viele Menschen reflexhaft von Schwellenangst befallen. Warum haben Sie sich für den Kontinent Lyrik entschieden?

Für die Themen, die mich gerade interessieren, scheint mir die lyrische Form passend, sie hat sich durchgesetzt. Aber ob es immer und andauernd eine bewusste Entscheidung ist, ein Gedicht zu schreiben, wenn ich mit einem neuen Text beginne, weiß ich nicht.

Lyrik gilt als das Aschenputtel und gleichzeitig als Prinzessin der Literatur.  Was sind Gedichte für Sie?

Eine Textform, die oft auf sehr wenig Raum durch präzise Auswahl und Anordnung von Wörtern auch in Hinblick auf Klang und Rhythmus, einen sehr viel größeren Raum eröffnet.

Interview: Heinrich Schwazer

Zur Person

Greta Maria Pichler, geboren 1996 in Bozen. BA der Philosophie und Sprachkunst. Jetzt MA Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Schreibt vor allem Lyrik. Veröffentlichungen u.a. in LichtungenManaròt und Triëdere. War Mitherausgeberin der JENNY und Kuratorin der Literaturpassage im MQ Wien. Derzeit Vorstandsmitglied der AutorInnenvereinigung SAAV und Mitglied des Teams von ZeLT – Europäisches Zentrum für Literatur und Übersetzung.

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