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„Feminismus ist notwendig“

Frauenmarsch in Bozen 2021 (Foto: Manuela Tessaro)

Bereits zum zweiten Mal findet am Samstag in Bozen der Frauenmarsch statt. Die 24-jährige Aktivistin Ingrid Kapeller erklärt, warum sie der Rechtsruck in Italien besorgt und es jetzt an der Zeit ist, laut zu werden.

Tageszeitung: Frau Kapeller, am Samstag findet in Südtirol der zweite Frauenmarsch statt. Warum geht man dieses Mal auf die Straße?

Ingrid Kapeller: Wir gehen noch einmal auf die Straße, weil wir im letzten Jahr keine konkreten Maßnahmen gesehen haben, welche die Gleichstellung vorangebracht haben. Die Arbeiten zum Gleichstellungsplan wurden zwar aufgenommen, aber trotzdem ist es wichtig, in allen gesellschaftlichen Bereichen noch einmal aufzuzeigen, dass es nicht reicht, nur einmal auf die Straße zu gehen. Und in Hinblick auf die aktuellen internationalen Krisen – in den USA ist das Abtreibungsrecht in Gefahr, die Proteste im Iran, der Krieg in der Ukraine, die schlechte Situation der Frauen in Afghanistan und die politische Situation in Italien, wo Frauenrechte auf der Kippe stehen – muss man einfach laut werden.

Gleichzeitig geht aber auch immer noch um die Gleichberechtigung, den Kampf gegen Diskriminierung, Gewalt an Frauen…

Ich kann als junge Frau überhaupt nicht verstehen, warum in einer aufgeklärten Welt, wo alle Fakten auf dem Tisch liegen, man wirksame Maßnahmen und Instrumente kennt, um beispielsweise den Gender Pay Gap zu reduzieren oder Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, alles so schleppend vorangeht. Ich weiß, dass es komplex ist, aber es ist einfach nicht nachvollziehbar, dass wir 2022 immer noch so hinterherhinken.

Ist es nicht ermüdend, immer wieder für die gleichen Forderungen einzutreten?

Es ist sogar extrem ermüdend, aber in Resignation zu fallen, ist einfach keine Alternative. Sollen wir einfach alles so hinnehmen? Wir müssen immer und immer wieder darauf bestehen, dass sich etwas verändert – wir können nicht weitere 136 Jahre auf die Gleichstellung warten.

Gleichzeitig schreckt der Begriff Feminismus viele Frauen ab. Warum?

Wir wissen, dass Feminismus keine komische Ideologie ist, sondern etwas, was es braucht, um soziale, politische und gesellschaftliche Teilhabe einzufordern. Patriarchale Strukturen bestimmen unser Leben und Feminismus ist deswegen einfach notwendig. Es geht nicht um die Frage: Feminismus, ja oder nein? Sondern um die Frage: Wie viel Feminismus brauchen wir? Und es braucht aktuell extrem viel.

Ingrid Kapeller

In Italien wird künftig ein neuer Wind wehen mit den Fratelli d’Italia an der Spitze. Besorgt Sie das?

Das ist extrem beunruhigend und wirklich ungut, in vielerlei Hinsicht – aber besonders aus feministischer Sicht. Dass wir eine neofaschistische Partei an der Spitze haben, sollte aber für uns alle ein Schlag in die Magengrube sein – Hass und Hetze an der Spitze können nichts Gutes sein.

Gleichzeitig dürfte Giorgia Meloni die erste weibliche Ministerpräsidentin werden…

Wer sich darüber freut, macht sich eine zu einfache Rechnung. Giorgia Meloni ist das beste Beispiel dafür, dass politische Repräsentation viele Gesichter hat und dass es nicht reicht, dass Frauen an der Spitze sind – es müssen auch Frauen sein, die Frauenthemen voranbringen. Und in diesem Zusammenhang ist mir lieber ein Mann, der Feminist ist, an der Spitze, als eine Giorgia Meloni. Die Präsenz von Frauen an der Spitze hat eine extrem wichtige Funktion, um Veränderungen anzuregen und hartnäckig bestehende Stereotype abzubauen.

Der Frauenmarsch am Samstag startet um 11 Uhr am Gerichtsplatz und zieht dann durch die Stadt. Wohin genau?

Wir werden am Gerichtsplatz starten, um dort auf die Rechtssprechung aufmerksam zu machen, die oft zugunsten der bereits Privilegierteren stattfindet und nicht zugunsten der Frauen. Dann geht es weiter bis zur Familienberatungsstelle AIED, wo es um die Selbstbestimmung des eigenen Körpers gehen soll, dann bleiben wir vor der RAI stehen, um auf die Medienberichterstattung und Sichtbarkeit von Frauen aufmerksam zu machen und dann geht es weiter über die Freiheitsstraße, vorbei am Siegesdenkmal bis vors Museion.

Wird der Frauenmarsch künftig einmal im Jahr organisiert, um auf Ungleichheiten aufmerksam zu machen?

Die Sache an zyklischen Veranstaltungen ist, dass sie irgendwann normal werden und dadurch ihre Wirkung verlieren. Wir wollen gezielt auftreten, wenn es braucht. Wir schauen der Politik und der Gesellschaft auf die Finger und werden laut, wenn es das braucht und werden alles aktivieren, um unsere Rechte zu verteidigen.

Interview: Lisi Lang

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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