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„Keinen Pfifferling wert“

Enttäuscht, zornig, frustriert: In Südtirol ist der Anteil der Nicht-Wähler so hoch wie in keiner anderen norditalienischen Region. Was sind die Ursachen der Wahlmüdigkeit und Politikverdrossenheit? 

von Matthias Kofler

Manfred Mayr hat es nicht leicht: Der Kurtiniger Bürgermeister tritt zum ersten Mal bei einer Parlamentswahl an. Im Gegensatz zu seinen Mitstreitern verfügt Mayr weder über einen Amtsbonus noch über die notwendige landesweite Bekanntheit. Um diesen Nachteil wettzumachen und in der Wählergunst zuzulegen, setzt der SVP-Kandidat, der im Senatswahlkreis Bozen-Unterland antritt, auf die sozialen Netzwerke.

Am Mittwoch wurde auf der Facebookseite der SVP ein Wahlvideo gepostet, wo Mayr seine wichtigsten Aufgaben in Rom auflistet. Die Kommentare, die unter dem Video zu lesen sind, dürften den „Newcomer“ nicht gerade optimistisch stimmen. Willi B. schreibt: „Olle lei vurpsrechn… und konr an Pfifferling wert. olle lei af ihmine Geldbeitl schaugn. s Volk interessiert de olle nicht, ausr vor die Wahlen.“ Irmgard R. giftet: „Um Bär und Wolf kümmern, daß i net loch.“ Günther F. schlägt in dieselbe Kerbe: „Wer glaubt wird selig.“ Am härtesten geht Se Re mit dem Unterlandler ins Gericht: „Zuerst amol Tatn wellmer segn und nur gienmer wähln es Versager ollezom.“

Mayr ist bei weitem nicht der Einzige, der in den sozialen Medien den „Volkszorn“ abbekommt. Edith K. wünscht sich Julia Unterberger auf den Scheiterhaufen („I hon heint scheiterhaufn gmocht“). Monika H. spielt auf die Judas-Erzählung an und schlägt für die Meranerin „30 Silberlinge als Lohn“ vor.

Noch nie war die Politikverdrossenheit so groß wie im Vorfeld der heurigen Parlamentswahlen. Grünen-Fraktionssprecherin Brigitte Foppa, die durchs Land tourt, um Flyer für ihre Kandidaten zu verteilen, berichtet: „Ich habe noch nie so oft die Antwort erhalten: ,Nichts gegen Sie, aber ich werde nicht wählen gehen.‘“ Die Menschen sagten, sie seien „stuff von der Politik“, man könne nur noch „zwischen Pest und Cholera wählen“. „Ihr (gemeint sind die PolitikerInnen) seid eh alles nur Falotten“, bekommt die Grüne immer wieder zu hören. Viele WählerInnen sind enttäuscht, wütend, haben resigniert.

Laut Umfragen könnte die Wahlbeteiligung in Italien auf 65 Prozent sinken – es wäre der niedrigste Wert in der Nachkriegsgeschichte. Südtirol hatte traditionell immer eine der höchsten Wahlbeteiligung im Stiefelstaat. Doch bei den Parlamentswahlen 2018 hat sich das Blatt gewendet: Zur Wahl gingen nur noch 69 Prozent der SüdtirolerInnen (ein Minus von 13 Prozent gegenüber 2013). Damit hatte die Autonome Provinz eine der niedrigsten Wahlbeteiligungen in Italien aufzuweisen. Nur im Süden war das Desinteresse an den Wahlen noch größer, der nationale Schnitt lag bei 73 Prozent. Dieses Mal könnten es noch weniger sein, befürchten viele Experten.

Was sind die Gründe für die große Politikverdrossenheit? Ein Faktor dürfte das Wahlgesetz sein, das die WählerInnen davor abschreckt, zur Wahl zu gehen. Einerseits, weil es zu kompliziert ist und andererseits, weil der Wahlausgang schon vorprogrammiert scheint. Die SVP wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens fünf der sechs Sitze abräumen. Ein Spitzenexponent der Südtiroler Lega empfiehlt der Meraner Kandidatin Unterberger: „Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich mich zwei Wochen an den Strand legen. Denn mit jedem öffentlichen Auftritt könnte sie sich nur schaden.“

Brigitte Foppa

Wahlenthaltung als Denkzettel? Die in der politischen Bildung tätige Brigitte Foppa meint, dass die Politik anfangen müsse, sich selbst zu hinterfragen. Viel zu oft erwecke man den Eindruck, die Politik sei ein „mit sich selbst beschäftigtes Spiel“. Die ständigen Skandale, in denen die Mehrheitspartei verwickelt ist, tragen mit Sicherheit nicht dazu bei, das Vertrauen in die politischen Institutionen zu steigern. Auch die Debatte um die Politiker-Privilegien (steuerfreie Funktionszulagen, automatischer Inflationsausgleich usw.) wird von den Abgeordneten durch unkluge Entscheidungen immer wieder befeuert.

Laut Istat rangieren die politischen Parteien in der Vertrauens-Skandale von 1 bis 10 mit einem Wert von 3,3 auf dem letzten Platz. Zum Vergleich: Die Feuerwehr kommt auf einen Wert von 8,1. Laut dem Istituto Cattaneo geben 34 Prozent der Nicht-Wähler an, der Wahl als Zeichen des Protests und des Misstrauens gegenüber der politischen Klasse fernzubleiben. Im europäischen Vergleich weist Italien nach wie vor eine der höchsten Wahlbeteiligungen auf, ähnlich jener in Deutschland. Doch seit dem Beginn der Zweiten Republik und dem Niedergang der in den Tangentopoli-Skandal verwickelten Parteien geht der Anteil der WählerInnen sukzessive zurück. Experten erklären sich dies auch mit den zunehmenden sozialen Spannungen: BürgerInnen, die mit ihrem Einkommen nicht über die Runden kommen – eine Gruppe, die immer größer wird – tendiert eher dazu, nicht zur Wahl zu gehen.

Auch das Hoffnungsträger-Phänomen macht der italienischen Politik seit Jahrzehnten zu schaffen. Silvio Berlusconi, Matteo Renzi, Matteo Salvini und Beppe Grillo sind nur einige Beispiele von Politikern, die bei Wahlen eine breite Zustimmung erhalten haben, ihre Versprechungen anschließend aber nicht einlösen konnten. Auch das sorgt für Frust und Resignation. Giorgia Meloni könnte sich in diese Liste nahtlos einreihen. Brigitte Foppa appelliert an ihre Zunftgenossen, einen gemeinsamen Reformprozess einzuleiten: „Wir müssen uns kontinuierlich hinterfragen, den Kontakt zur Bevölkerung wieder aufbauen und auf den Boden der Realität zurückkommen. Denn es bringt nichts, nach jeder Wahl, zu der weniger Menschen hingehen, bittere Krokodilstränen zu vergießen“, so die Grüne.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (16)

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  • andreas

    Vallazza – nix passiert
    Sad – intriganter Haufen
    Lohnerhöhung Regionalrat – kassieren auch die Grünen
    Seilbahn Tiers – vor der Haustür eines Hoteliers und vom Steuerzahler finanziert, danke LH
    Festivals des LH mit Millionen Kosten
    Rentenvorauszahlungen
    Subventionen der Hoteliere ohne Notwendigkeit
    Subventionen für E-Auto Käufer, welche sich 30.000 – 50.000 Euros Karren leisten können
    Caramaschi, welcher Fahrer von älteren Autos aus der Stadt aussperren will
    Grüne in Bozen, welche Parkplätze in der Industriezone BZ abbauen, um die Leute die dort arbeiten zu schikanieren.

    Und das ist jetzt nur ein kleiner Teil, wo die Politiker durchaus Luft nach oben hätten, incl. Foppa.
    Das Ansehen der Politiker ist unter aller S… und das durchaus berechtigt.

    • steve

      Es ist schon ein Skandal wenn E Autos geförderdert werden und nicht stinkende Harleys und der schlimme Bozner Bürgermeistet nimmt sich noch heraus auf die Bozner Luftqualität zu achten!

      Ach Andreas bist du a kindischer Laggl!

      • andreas

        Jedes produzierte Auto ist umweltschädlicher, als einen Altwagen weiter zu nutzen, klingt komisch, ist aber so. 😉
        Nebenbei ist es nicht Aufgabe der Südtiroler Landesregierung, Tesla oder VW zu subventionieren und u.a. schon gar nicht mit Geld von Leuten, welche sich solche Autos nicht leisten können.

        Caramaschi scheint die Stadt rollatorgerecht, für sich und seine Kumpels umbauen zu wollen.
        Sein Unsinn mit der Tram konnte ja verhindert werden, der Slalomlauf in der Drususstraße leider nicht.
        Und wie dämlich muss man eigentlich sein, um nicht wenigstens ein paar mehr Parkplätze am Bahnhof zu lassen, damit man dort jemanden abholen kann.
        Ich kurve dann halt immer vom Bahnhof bis zur Kreisverkehr Seilbahn und zurück rum, was zwar nicht gerade im Sinne der Nachhaltigkeit, mir aber egal ist.

  • besserwisser

    alles kann man verstehen. nur die verwunderung nicht. wer nur einmal am tag die beiden „oppositionsmedien“ konsultiert, tut sich sehr schwer die mehrheitspartei zu unterstützen … und wenn man sieht was sich bei der opposition alles rumtümmelt dann wird der optimismus auch nicht größer.
    also wenn unsere gesellschaft nichts besseres hervorbringen kann dann gute nacht …

  • besserwisser

    wenn man dann in der freitagsprintausgabe noch lesen kann dass die dritte dynamische spur der a22 laut landes alfreider nachhaltig sein soll (er wohnt ja nicht da :-)) kann man wohl nur mehr lachen ….

  • foerschtna

    Nicht zu verstehen, daß so viele Menschen genug von den Politikern haben. Jetzt opfern sich diese selbstlosen Geschöpfe Tag und Nacht für uns auf, damit es uns allen besser geht, und das ist dann der Dank. Und das auch noch für einen bescheidenen Lohn, denn das sind ausnahmslos alles hochintelligente, kompetente und bestens qualifizierte Personen, die in der Privatwirtschaft ohne Probleme ein Vielfaches von ihrem Politikersalär verdienen würden. Aber was machen sie anstatt dessen ? Sie opfern sich für unser aller Wohlergehen auf und stellen ihre eigenen Ansprüche hinten an. Aber wie heißt es immer so schön ? Undank ist der Welten Lohn.

  • bettina75

    Für dieses Phänomen können die Politiker nicht das Volk verantwortlich machen!

  • artimar

    In einem Klima der individuellen Freiheit könnten die Menschen zu sehr vom Genuss der persönlichen Freiheit und von Partikularinteressen in Anspruch genommen sein. Diese Gefahr erkannte Benjamin Constant schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Das verleite sie dazu, darauf zu verzichten, an der öffentlichen Sache teilzuhaben. Ihm schwante, dass die Inhaber der Staatsmacht solchen Individualisten gerne jede Pein abnehmen würden, außer derjenigen, zu bezahlen und zu gehorchen. Und er hörte die Lenker des neuen Bevormundungsstaats sagen: Ist nicht das Glück das Ziel all eures Arbeitens und Strebens? Lasst es uns euch geben!
    Was aber wirkt in einem Staat und einer Gesellschaft, welche die größtmögliche individuelle Freiheit fördern, der Gefahr entgegen, die öffentliche Sache zu vernachlässigen?
    Ich denke, in einer offenen Gesellschaft gehört es auch zur Pflicht der staatlichen Institutionen, die Bürger an die politische Partizipation heranzuführen.

  • bernhart

    Ich habe schon des öfteren geschrieben, dass die heutigen Politiker alle nur Dchaumschläger sind, was haben sie in letzter zeit für das Normale Volk getan, ich sag es Ihnen NICHTS,
    nur grosse Worte und Versprechen, die bürger werden täglich ausgenommen wie eine Weihnachtsgans, und unsere unqualifizierten Politiker schauen zu. Die ganzen Skandale der letzten Zeit werden unter den Tisch gekehrt, so siehts aus.
    Bürger des Landes geht zur Wahl, denkt nach wer ist wählbar, wer setzt sich für normale Bürger ein, wer ist ehrlich.

  • sigo70

    Die Demokratie müsste wohl grundsätzlich reformiert werden. Es kann doch nicht sein, dass Politiker mit guter Rhetorik und der nötigen Skrupellosigkeit am erfolgreichsten sind. Fraktionszwang muss meiner Meinung nach, sowie das wechseln von Parteien im Parlament verboten werden. Das alles ist Betrug am Wähler. Die Digitalisierung muss den Bürgern dienen und würde ganz neue demokratische Möglichkeiten bieten, welche genutzt werden müssten.

  • dn

    Auch ich hab mir heute gedacht, was bräuchte es, um die Fehler, die die Demokratie hat, auszumerzen? Da bin ich aber weder schlau genug, noch genug informiert um eine brauchbare Antwort zu geben. Im Nachhinein wurmt es mich, dass ich beim Standl mit den beiden älteren und freundlichen Herren nicht für die Direkte Demokratie unterschrieben habe. Die Macht einfach an Parteien zu delegieren und sich vom Neoliberalismus überfahren zu lassen, das kann es jedenfalls nicht sein.

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