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„Gefälle wird immer stärker“

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Durch die steigenden Lebenskosten geraten immer mehr Mittelstands-Familien in finanzieller Not. Das bestätigt die Schuldnerberatung der Caritas. 

Tageszeitung: Frau Priller, kam es in den letzten Wochen zu einer Zunahme der durch die Schuldnerberatung der Caritas betreuten Personen und Familien?

Petra Priller: Die steigenden Lebenshaltungskosten führen natürlich dazu, dass sich Menschen, die ein Niedrigeinkommen beziehen, arbeitslos sind oder andere finanzielle Schwierigkeiten haben, noch schwerer tun. Wir haben letztes Jahr über 1.200 Personen betreut. Davon haben insgesamt etwa 45 Prozent auch nach einer finanziellen Hilfe angefragt – es wurden also über 127.000 Euro für die Existenzsicherung unserer Klienten ausgegeben, das heißt, für Lebensmittel, Miete sowie Strom- und Gasrechnungen. Es gibt noch keine offiziellen Daten, aber es ist anzunehmen, dass es heuer sicherlich eine Steigerung geben wird.

Wer ist am meisten von finanziellen Schwierigkeiten betroffen?

Diese Belastung gilt vor allem für Familien mit einem geringen Einkommen, Rentner und Rentnerinnen mit einer Mindestpension, Alleinerziehende, kinderreiche Familien sowie Menschen mit Migrationshintergrund.

Kommen immer weniger Leute mit ihrem Gehalt beziehungsweise mit ihrer Rente ans Monatsende?

Das war vorher schon der Fall. Mit der steigenden Inflation ist es jedoch so, dass es nicht nur mehr Menschen trifft, die ohnehin schon ein geringes Einkommen haben, sondern dass sich durchaus auch Familien des Mittelstandes schwertun, über die Runden zu kommen.

Kommen die meisten Familien rechtzeitig zur Schuldnerberatung?

Leider ist es tatsächlich so, dass sehr viele Menschen erst dann kommen, wenn es schon fünf nach zwölf ist und sie bereits mit dem Kopf unter Wasser stehen. Hierbei ist es wichtig, zwischen primären und sekundären Schulden zu differenzieren. Unter den primären Schulden versteht man die Existenzsicherung, das heißt, Miete sowie Strom- oder Gasrechnungen. Wenn diese nicht bezahlt werden, riskieren Betroffene, auf der Straße zu landen. Sekundäre Schulden hingegen sind andere Forderungen, wie beispielsweise Bankkredite, Finanzierungen oder offene Rechnungen. Viele suchen teilweise zu spät um Hilfe, mit mehreren Gläubigern im Nacken. Im kostenlosen Gespräch versuchen wir als Schuldnerberatung zu verstehen, welches Einkommen die Familie hat, welche Ausgaben es zu berechnen gibt und wie viel am Monatsende übrigbleibt, um einen Schuldenplan aufstellen zu können und Schuldenregulierungen einzuleiten.

Was sind die Sorgen und Ängste der Menschen, die bei Ihnen Hilfe suchen?

Die meisten von ihnen haben ganz klar Zukunftsängste. Zwar hat nicht unbedingt jeder Angst auf der Straße zu landen, aber wenn die Preise immer weiter steigen und die Löhne nicht auch im Verhältnis dazu steigen, haben die Menschen natürlich Sorgen, wie es in Zukunft weitergehen soll.

Wie drückt sich diese Schuldenlast im Alltag aus?

Die Folgen dieses enormen finanziellen Drucks können auch gesundheitliche oder seelische Probleme sein. Oftmals ist es so, dass sich die Betroffenen sozial zurückziehen oder in der Schwarzarbeit die Lösung ihrer Probleme sehen, weil sie den Schulden ausweichen wollen. Ist der finanzielle und somit zugleich psychische Druck zu groß, kann das im schlimmsten Fall bis hin zum Suizid führen.

Glauben Sie, dass es zu einer noch stärkeren Zunahme der Armutsgefährdung hier in Südtirol kommen wird?

Wenn nicht gegengearbeitet wird und neue Maßnahmen getroffen werden, dann wird diese Differenz zwischen arm und reich sicherlich noch mehr auseinandergehen. Darüber hinaus gibt es ein Ungleichgewicht zwischen gut Verdienenden und schlecht Verdienenden, sprich zwischen Männern und Frauen, Einheimischen und Zuwanderern, Stadt und Land, Wohnungseigentümern und jenen, die in Miete sind etc. Leider wird dieses Gefälle immer stärker.

Was könnten Ihrer Meinung nach solche Maßnahmen sein?

Auf jeden Fall muss man schauen, dass die Mietpreise in Südtirol gesenkt werden, beziehungsweise dass man eine neue Mietpolitik einführt, damit sich die Menschen die Miete auch wieder leisten können. Darüber hinaus sollten mehr Sozialwohnungen bereitgestellt werden. Die Treibstoffpreise müssen langfristig gesenkt werden und man könnte auch überlegen, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel vorübergehend zu senken. Im Endeffekt müssen die Löhne und Pensionen erhöht oder die Steuern auf Löhne und Pensionen reduziert werden, sodass am Ende des Monats mehr Netto übrigbleibt und man seine Ausgaben problemlos bewältigen kann.

Interview: Sylvie Debelyak

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Kommentare (14)

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  • criticus

    Die SVP hat ja immer nur für ihre Lobbyisten (Bauern, Handwerker, Hotelbesitzer und Kaufleute) ein offenes Ohr gehabt. Aber gegen Rom dürfen jetzt ALLE zusammenhalten!

    • ostern

      @criticus
      Genaus so isch es. Die Arbeitnehmer und Rentner sind „nur“ da um die
      Geldbeutel von Bauern, Hoteliere und Politiker vollzustopfen.
      Jetzt, bei den Wahlen, sollten sie noch der SVP die Stimme geben!
      NEIN, DANKE NIEMALS!!!!

  • unglaublich

    Arbeitnehmer und Rentner müssen aufstehen und für ihre Sache AKTIV kämpfen, wenn sie nicht noch weiter noch unten dividiert werden wollen. Die Geldverteilung der Regierungspartei hat leider eine Schieflage erreicht, die man durchaus als neoliberal bezeichnen kann.

  • exodus

    @kurtohnegurt Unerhört Ihre Aussage, eine direkte Beleidigung für ehrliche Steuerzahler!!

  • tirolersepp

    Im Endeffekt müssen die Löhne und Pensionen erhöht oder die Steuern auf Löhne und Pensionen reduziert werden, sodass am Ende des Monats mehr Netto übrigbleibt und man seine Ausgaben problemlos bewältigen kann

  • andreas1234567

    Hallo nach Südtirol,

    „Bauern und Hoteliere“ wurden seit Jahrzehnten gefördert und es war nicht schlecht um Südtirol bestellt in den letzten Jahrzehnten.
    Es ist nicht das Problem von Subventionen für Schaffenskraft und Investitionen die sicher mindestens deckungsgleich in Handel und Handwerk als Steuern zurückommen.
    Das Problem ist das hirnlose rausschmeissen von den Steuern für haarsträubenden Mist, die letzten 2,5 Jahre galt die Parola „Wirtschaftsvernichtung und jeden Euro in die Hysterie, Rom verlangt es“.
    Man kann nicht die Kühe Tourismus, Handel und Landwirtschaft schlachten und gleichzeitig ein Schild aufhängen „noch mehr Milch für alle“

    Wenn die Bauern und ihr Verband schlagkräftig genug waren halbwegs schadfrei aus diesem Irrsinn zu entkommen dann ist das ein Armutszeugnis für die Verbandsbonzen von Tourismus und Handel, etwas weniger bücken, kriechen und applaudieren wären hilfreich gewesen..

    Und wenn es den Tatkräftigen und Steuerzahlern an die Substanz geht dann fallen eben weniger Wohlstandskrümel herunter, da brauchen Caritas und Konsorten nicht heulen..Haben auch mitgemacht bei dem Irrentanz wie alle anderen von der Mitleidsindustrie.
    Werden sie wohl ihre Klientel zu Feldarbeit bei den Bauern gegen Natura animieren müssen weil man Obdachlosengazetten nicht fressen kann wenn sie niemand mehr kauft.

    Auf Wiedersehen in Südtirol

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