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Vorgezogener Herbst

Mitten im Sommer verlieren die Bäume in Südtirol ihr Blattwerk. Fachmann Valentin Lobis erklärt, was es damit auf sich hat. 

Tageszeitung: Herr Lobis, wir sind im Juli und dennoch werfen viele Laubbäume bereits ihr Kleid ab. Vor allem im städtischen Raum schaut es teilweise recht herbstlich aus. Wie sehr leidet der Baumbestand unter der anhaltenden Trockenheit?

Valentin Lobis: Es gibt immer wieder einmal sehr trockene Jahre. Früher kamen Trockenperioden jedoch in großen Abständen vor, zuletzt häufen sie sich. Denken wir an die Trockenjahre 2003, 2018 und 2019. Die jetzige Situation ist auch wieder sehr außergewöhnlich. Es fehlt der Niederschlag, und das seit vielen Monaten. Darunter leidet die Natur, die dann Strategien entwickelt um zu überleben.

Diese wären?

Bäume brauchen Wasser um zu existieren. Sie müssen für die Fotosynthese permanent tanspirieren. Das Wasser wird über das Wurzelsystem aufgenommen und über die Blätter wieder abgegeben, wo es verdunstet. Wenn das Wasser zu fest im Boden gebunden ist oder überhaupt keines oder nur wenig mehr vorhanden ist, dann leidet der Baum und reagiert.

In welcher Form?

Das ist je nach Baumart unterschiedlich. Im mediterranen Raum hat sich die Natur an wenig Niederschlag angepasst. Hier finden wir beispielsweise Gewächse mit wachsbeschichteten Blättern, andere wiederum rollen ihre Blätter ein, um den Wasserverlust zu minimieren. Bei uns finden wir dieses Phänomen auch, z.B. beim Zürgelbaum. Andere Laubbäume wie die Birke, die Linde und der Ahornbaum reduzieren dagegen die Blattmasse und werfen das Laub vorzeitig ab. Deshalb hat man derzeit auch den Eindruck eines vorgezogenen Herbsts.

Führt dies zu langfristigen Schäden oder stecken die Bäume das weg?

Das hängt von der Dauer und Häufigkeit der Trockenheit ab. Regnet es hintereinander in mehreren Jahren zu wenig, dann gehen die Bäume ein, weil sie keine Möglichkeit haben im Frühjahr Knospen zu bilden. Bäume entwickeln die Knospen bis Juni. Wenn es im Sommer und Herbst nicht oder zu wenig regnet, dann starten sie bereits mit Trockenstress in den Frühjahr. Diese Trockenheit wirkt sich schließlich auch auf die Widerstandsfähigkeit des Baums aus. Er wird anfälliger für Krankheiten und Insekten wie z.B. den Borkenkäfer.

Gibt es einen Unterschied zwischen Wald und Stadt?

Ja. Im Wald liegt in trockengefährdeten Gebieten zumeist ein forstwirtschaftliches Problem vor. Es wurden hier vornehmlich Fichten gepflanzt, und zwar auch in Lagen, wo sie nicht hingehören. Dabei reagieren gerade Fichten sehr empfindlich auf Wassermangel. Daher mein Aufruf: Die Forstverwaltung muss mehr Vielfalt in die Wälder bringen.

Und in den Städten?

Hier ist die Umgebung eine andere als im Wald. In der Stadt gepflanzte Bäume haben weniger Erde zur Verfügung und die Hitze des Asphalts strahlt ab.

Welche Bäume leiden am meisten unter der Trockenheit?

Auffallend ist, dass die Birke stark auf den Klimawandel reagiert, was uns Experten überrascht. Die Birke ist nämlich ein Pionierbaum und geht auch an sehr mageren Plätzen von allein auf. Sie wird aus dem städtischen Grün wohl verschwinden. Auch dem Bergahorn setzt der Klimawandel zu, während der Spitzahorn weniger Probleme damit hat. Mediterrane Pflanzen hingegen sind recht resistent.

Braucht es ein Umdenken bei den Pflanzungen?

Auf jeden Fall. Es gibt allerdings nicht den Idealbaum, den man überall setzen sollte. Das macht auch keinen Sinn, da sonst lediglich Monokulturen entstehen. Aber es werden sich sicherlich mediterrane Bäume durchsetzen, da sie bereits genetisch bedingt besser mit Trockenheit umgehen können. Klimafit sind auch drei heimische Laubbaumarten, und zwar die Flaumeiche, die Hopfenbuche und die Mannaesche. Sie sind sehr trockenresistent. Man sollte ihnen in Zukunft bei Neupflanzungen den Vorzug einräumen. Geeignet ist zudem auch die Zeder. Andere Bäume hingegen wird es in 30 – 40 Jahren im urbanen Raum nicht mehr geben, wie beispielsweise den Bergahorn, der einen frischen Standort braucht.

Werden sich die in Mitleidenschaft gezogenen Bäume heuer wieder erholen?

Dafür bräuchte es tagelange Regenfälle. Einige Gewitter reichen nicht aus, weil die Niederschläge nicht einsickern und abfließen, vor allem in Hanglagen und in der Stadt mit ihren Gullys und ihrem Kanalsystem.

Interview: Karin Gamper

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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