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Roulette der Liebe

Patrizia Pfeifer und Horst Herrmann: „Bis dass der Tod uns scheidet, du hast es versprochen!“ (Fotos: Tiberio Sorvillo)

Torsten Schilling inszeniert in der Carambolage die Uraufführung von Heinrich Schwazers Siegerstück beim Autorenwettbewerb des Südtiroler Theaterverbandes „Das Eine und das Andere. Geschichten vom Lieben und Sterben“.

von Pia Ogrizek

„Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren“, singt die österreichische Band „Viech“, und zu ihrem melancholischen Beat schlagen die Herzen in diesem Stück. Ein Stück, das keine durchgehende Geschichte erzählt, sondern acht Miniaturen, acht Momentaufnahmen, acht Geschichten zu einem Geschichtenmosaik vom Lieben und vom Sterben fügt. Nicht eine ganze Welt, sondern kurz auf- und verleuchtende Welten bringt Heinrich Schwazers Siegerstück beim Autorenwettbewerb des Südtiroler Theaterverbandes „Das Eine und das Andere. Geschichten vom Lieben und Sterben“ auf die Bühne.

Acht von insgesamt 12 Episoden aus dem Siegertext hat Regisseur Torsten Schilling für die Uraufführung in der Bozner Carambolage ausgewählt. Vier SchauspielerInnen – Liz Marmsoler, Patrizia Pfeifer, Hans-Jürgen Bertram und Horst Herrmann – schlüpfen in eine Vielzahl von Rollen, kommen paarweise auf die Bühne, nur die letzte Szene ist ein Monolog.

Was spielen sie? Ein sterbendes Leben? Ein lebendes Sterben? Jedenfalls rauscht das Leben – auf der Bühne wie in Wirklichkeit – als Film an uns vorbei. Es beginnt mit einer schnellen Folge von Bildern, die wandfüllend auf den Bühnenhintergrund projiziert werden. Sie zeigen Hunderte Schnappschüsse von meist älteren Einzelpersonen, Gruppen und Paaren, die einmal mehr, einmal weniger glücklich wirken. Diese Aneinanderreihung von anonymen Fotos passt zur Musik, deren melancholische und lebensnahe Texte die Tragikomödie unserer Existenz, oder was wir dafür halten, widerspiegelt. Während ältere Paare, die Eltern oder Großeltern unserer Erinnerung sein könnten, den Zuschauern Einblick in intime Momente ihres Liebeslebens geben, wird der Bilderstrom allmählich langsamer, dann kommt er, begleitet vom Geräusch einer Roulettekugel, scheinbar zufällig wie ein Bingo-Spielautomat zum Stehen. Das letzte Bild wird „geframt“ und zeigt die Person, die auf die Bühne kommt. Das Bild verschwindet, die Bühne (Kerstin Kahl hat sie eingerichtet) ist tiefschwarz, kein Lichtstrahl ist zuviel, nur ein viereckiger Kasten, der von Szene zu Szene eine andere Funktion (Grabmal, Restauranttisch, Ehebett oder Wohnungstür) bekommt, dient als Requisit.

Schillings Regieidee, die einzelnen Geschichten nicht einfach aneinanderzureihen, sondern durch die Bilderflut ineinander gleiten zu lassen, gibt ihnen einen gemeinsamen Raum. Jedes Gesicht ist eine Geschichte, jeder Song eine Story, am Ende hat man hunderte Geschichten gesehen.

Liz Marmsoler und Hans-Jürgen Bertram: Heilige wollen immer nur Geld.

 

 

Der rote Faden, der die Geschichten zusammenhält, ist die unsterbliche Sehnsucht nach Liebe in jeder Lebenslage und die Frage: Wovon reden wir, wenn wir von Liebe reden? Einmal sind es eine Witwe und ein Witwer, die sich am Grab ihrer durch Freitod aus dem Leben geschiedenen Ehepartner offenbaren. Schonungslos gestehen sie sich ein, in Lebenslügen verstrickt gewesen zu sein. „Egoistisches Arschloch!“ schreit Liz Marmsoler wütend ihrem Gatten ins Grab hinterher, weil er sie zwingt, von nun an als Lügnerin zu leben, um nicht als Witwe eines Selbstmörders geächtet zu werden. „Ich habe meine Frau nie angelogen. Erst ihr Tod macht mich zum Lügner“ sekundiert der von Hans-Jürgen Bertram dargestellte Mann.

Eine Frau kann nicht mehr mit ihrem Mann schlafen, weil er ein Fleischesser ist und sie den Tod in sich herumspazieren fühlt, wenn er in ihr ist. „Wenn du in mir bist, höre ich all die toten Lämmer, die Schweinchen, die Hühnchen, die Kälbchen, die Kühe, ich spüre das ganze tote Fleisch in mir, das du gegessen hast. Totes kaltes Fleisch schiebt sich in mich hinein. Ich spüre den Tod in mir herumgehen“, sagt die Frau (Patrizia Pfeifer). Dann wieder sind es einsame Herzen, die sich über soziale Medien anzunähern versuchen und im wirklichen Leben aneinander vorbeireden: Hans Jürgen Bertram und Horst Herrmann mimen ein romantisches Date, das komischer nicht sein könnte.

Mit Humor kann man dem Tod ins Auge blicken und das Leben erträglicher machen. Wehmut und Witz liegen eng beieinander, der alltägliche Wahnsinn der Liebe. Schillings Inszenierung und die Dialoge nehmen den Geschichten ihre existenzialistische Schwere und verwandeln sie in eine melancholische Komik. Das Dramatische wird leicht, das Lächerliche ernst. Die Figuren sind nie lächerlich, sondern menschlich und sympathisch. Manchmal erinnern die Texte an den tragikomischen Dürrenmatt, dann wieder schwingt Wiener Galgenhumor mit. Skurrile Begebenheiten, aus dem wirklichen Leben gegriffen, wie die betagte Stalkerin, die eine Muttergottesstatue zerschmettert, weil die ihrem Schlagersängeridol das Leben nicht gerettet hat: In dieser Rolle brilliert Liz Marmsoler förmlich. Ebenso wenn sie als Frauchen-Witwe ihrem geliebten Hund auf den Hundefriedhof folgen will, statt ins Familiengrab und so nebenbei eine Lebensmüde rettet.

Der Zuschauer fühlt sich ertappt in kindischen Verhaltensmustern, wenn er Horst Herrmann und Patrizia Pfeifer in den Rollen eines gescheiterten Ehepaars zuschaut, die einander durch die verschlossene Wohnungstür längst vergessene und gebrochene Ehegelübde erneuern, um nicht einsam zu sterben. „Bis dass der Tod uns scheidet, du hast es versprochen!“, jammert sie als reuige Ehebrecherin durch die Tür, um ihn zu überzeugen, sie zur Sterbehilfe zu begleiten, weil irgendein „Krebsarschloch“ sie sowieso umbringen wird. Obwohl sie wie Hartz-4-Typen ausschauen, Verlierer wie die Sieger solche Menschen von oben herab nennen – sie in ihren Wahnsinnsleggings (Kostüme Sieglinde Michaeler und Walter Granuzzo) und er auf seiner Bierkiste -, hat ihr dem Vergangenen nachlieben und dem Sterben entgegenleben eine durch nichts zu brechende Würde. Und das letzte Wort gehört einem Stein.

Eine große schauspielerische Herausforderung für alle vier Darsteller, mit Bravour gemeistert und bei der Premiere mit langem Applaus belohnt.

Zu sehen ist das Stück noch bis 21. Mai in der Carambolage in Bozen. www.caramabolage.org

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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