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4.300 Nächtigungen

Norbert Pescosta, Verena von Aufschnaiter, Sigrid Bracchetti, Magdalena Amonn, Martina Schullian, Paul Tschigg, Wolfgang Aumer, Birgit Bragagna, Christian Anderlan

Fast ein halbes Jahr lang haben 137 Freiwillige aus ganz Südtirol 35 obdachlosen Menschen in Bozen ein warmes Bett im kalten Winter geschenkt.

Sie haben im Dormizil 172 Nacht- und Frühstücksdienste geleistet. 4.300 Nächtigungen wurden insgesamt gezählt. Am 10. November 2021 hat das Nachtquartier für obdachlose Menschen in der Rittner Straße 25 in Bozen seine Tür erstmals geöffnet und sie am 1. Mai vorerst geschlossen.

Manche obdachlosen Menschen waren die gesamte Zeit über im Dormizil zu Gast, andere nur wenige Wochen. In den drei Stockwerken des Gebäudes, das die Haselsteiner Familien-Privatstiftung dem Verein housing first bozen EO für 30 Jahre kostenlos bereitgestellt hat, ist Platz für 25 Menschen. Das Haus war ständig voll belegt. Fast täglich haben weitere obdachlose Menschen um Aufnahme angefragt, weil es für sie keine menschenwürdigen Nachtschlafstätten in der Stadt gibt.

Südtirols Zivilgesellschaft hat gezeigt, was mit Ausdauer und Zusammenhalt möglich ist: obdachlose Menschen am Rand der Gesellschaft in die Mitte der Stadt zu holen und ihnen in einer kleinstrukturierten Einrichtung auf Augenhöhe zu begegnen. Dank einer Gönnerfamilie können jetzt acht der obdachlosen Menschen den Sommer über in zwei Privatwohnungen überbrücken, andere haben Arbeit und Unterkunft gefunden, einige werden auf die Straße zurückkehren. Eine Kleinwohnung des WOBI kann ebenfalls einem obdachlosen Mann zur Verfügung gestellt werden. Dormizil wird im Herbst erneut aufsperren. Ab Frühjahr 2023 wird das Haus in Kleinwohnungen umgebaut, die wohnungs- und obdachlosen Menschen langfristig zur Verfügung gestellt werden sollen.

 

Verena von Aufschnaiter, Christian Anderlan, Sigrid Bracchetti, Paul Tschigg (Foto: Peter Viehweider)

35 wohnungs- und obdachlose Menschen haben in den vergangenen fast sechs Monaten im privat geführten Dormizil gelebt. Manche waren seit dem ersten Öffnungstag dort, andere haben Arbeit und Unterkunft gefunden und sind aus-, manche in andere Städte weitergezogen. Gestern wurde das Nachtquartier für obdachlose Menschen vorerst geschlossen. Die Vereinsmitglieder Magdalena Amonn, Paul Tschigg, Christian Anderlan, Sigrid Bracchetti, Norbert Pescosta, Wolfgang Aumer, Martina Schullian, Helmuth Niedermayr, Verena von Aufschnaiter und Birgit Bragagna Spornberger bedanken sich bei allen Freiwilligen, die das Nachtquartier Abend für Abend aufgesperrt, den Menschen zugehört, Tee gekocht und Snacks zur Verfügung gestellt haben. Sie haben im Dormizil geschlafen, am Morgen Frühstück gemacht, die Gäste verabschiedet und den Frühstücksraum gereinigt.

Die Arbeit im Hintergrund war enorm. Vor allem Paul Tschigg, Christian Anderlan, Sigrid Bracchetti und Verena von Aufschnaiter haben sich eingebracht, um Lebensmittel-Nachschub zu organisieren, die Gäste zum Putzen zu motivieren, sie zum Dienst für Abhängigkeitserkrankungen (D.f.A) oder zu HANDS zu begleiten, sie bei der Regulierung ihrer Papiere zu unterstützen und mit ihnen Arbeit zu suchen.

Magdalena Amonn ist Vereinsvorsitzende des vor eineinhalb Jahren gegründeten Vereins Housing First EO: Ursprünglich sei geplant gewesen, das Gebäude so schnell wie möglich umzubauen, um den obdachlosen Menschen in Kleinwohnungen dauerhaften Wohnraum zu ermöglichen, erklärt sie. Da aber noch bürokratische Hürden aus dem Weg geräumt werden müssen, die Gespräche mit den Architekt*innen in vollem Gang sind und Sponsoren und Förderer*innen für den Umbau gesucht werden müssen, habe der Verein entschieden, das Haus im Herbst erneut als Nachtquartier aufzusperren. Der Umbau soll im Frühjahr 2023 starten.

Vor wenigen Wochen ist eine Familie an den Verein herangetreten und hat angeboten, zwei Privatwohnungen ein halbes Jahr lang zur Verfügung zu stellen und so acht Gäste des Dormizil zu überbrücken.

Zusätzlich hat der Verein Housing First EO mit dem WOBI, dem Institut für den sozialen Wohnbau einen Vertrag abgeschlossen. Dadurch ist es möglich, einem obdachlosen Mann aus dem Dormizil seit gestern eine Mietwohnung zur Verfügung zu stellen. Weitere WOBI-Wohnungen werden angestrebt.

Sowohl die Privatwohnungen der Gönnerfamilie als auch die WOBI-Wohnung seien Probeläufe für die künftige Zweckbestimmung des Gebäudes in der Rittner Straße Housing first-Konzept, erklärt der Vizevorsitzende des Vereins Paul Tschigg.

Während im Dormizil jede Nacht Freiwillige übernachtet und die Verantwortung für den Ablauf übernommen haben, werden in den beiden Wohnungen der Gönnerfamilie einige Freiwillige nur sporadisch vorbeischauen. Die Verantwortung des Miteinanderlebens liegt bei den Bewohnern, die sich dort nach klaren Hausregeln aufhalten dürfen und einen symbolischen Beitrag pro Tag leisten.

Sie können im Gegensatz zum Dormizil auch tagsüber in der Wohnung bleiben und werden sich autonom versorgen. Das Dormizil in der Rittner Straße wird in den kommenden Wochen gereinigt. Einige handwerkliche Arbeiten sind durchzuführen, um das Haus bis Herbst wieder bezugsfertig zu haben.

Sowohl die Vereinsmitglieder als auch die Freiwilligen bräuchten jetzt etwas Zeit und Ruhe, um sich nach den intensiven sechs Monaten zu erholen, erklärt Paul Tschigg. Christian Anderlan ist das dritte Vorstandsmitglied. Er sei froh über die Erfahrung des vergangenen Winters, erklärt er. Im Haus habe es kaum Schwierigkeiten gegeben, die Freiwilligen hätten die vereinbarten Dienste anstandslos erledigt und die Abläufe souverän organisiert. Unter den Gästen habe es hin und wieder Unstimmigkeiten gegeben, aber das sei in jeder Familie der Fall. Nie habe es Ordnungskräfte oder Sicherheitsdienste gebraucht. Eine schöne Hausgemeinschaft sei entstanden.

Die Südtiroler Bevölkerung hat das Engagement der Freiwilligen im Dormizil mit Wohlwollen begleitet. Schulen, Vereine und Privatpersonen haben Spendenaktionen initiiert, Kuchen und Lebensmittel abgegeben und dem Verein insgesamt 167.000 Euro an Spenden überwiesen.

Davon wurden für Energiekosten, Wäschereinigung, handwerkliche Arbeiten und Lebensmittel 45.000 Euro aufgewendet. Die verbleibende Summe wird für den Umbau des Hauses 2023 zurückgelegt. Für den Umbau werden mehr als eine Million Euro benötigt.

Jetzt legt der Verein Housing First EO seinen Schwerpunkt auf die Planung des Umbaus und auf die Wiedereröffnung des Nachtquartiers im Herbst.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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