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Geometrien des Leiblichen

Menade, Bronze, 2017

Der aus dem Gadertal stammende, in Wien lebende Bildhauer Giovanni Rindler ist hierzulande kaum bekannt. Das Stadtmuseum Bruneck widmet ihm nun eine repräsentative Ausstellung.

Eine voluminöse Aktfigur von schier barocken Rundungen empfängt die Besucher im Erdgeschoss des Stadtmuseum Bruneck. Sie ruht oder besser schwebt auf einer Art federndem Bogen. als würde sie von oder auf einer Welle davongetragen. Laut Titel handelt es sich um eine Mänade, also eine jener Frauenfiguren aus der griechischen Mythologie, die als die Begleiterinnen des Dionysos galten und dem Rausch und orgiastischen Festen selbst nicht abgeneigt waren.

Was immer die Figur inhaltlich darstellt, plastisch ist sie ein Ereignis. Kopf. Arme und Beine hängen über die Auflagefläche nach unten, Bauch und Brüste wölben sich nach oben. Man hat den Eindruck, dass sie sich der sie wegtragenden Kraft hingibt und sich zugleich dagegen stemmt. Es ist kein Wunder, dass der Künstler die Ausstellung mit dieser aus dem Jahr 2017 stammenden Bronzefigur beginnen lässt: In der in einer einzigen Bewegung eingefangenen Spannung zeigt sich das ganze plastische Können des Bildhauers Giovanni Rindler.

Der 1958 im Gadertal geborene Künstler ist hierzulande kaum bekannt.  Zuletzt war er 2014 im Brunecker Stadtmuseum mit Zeichnungen vertreten, in Bozen war er bei einer Gruppenausstellung in der Galerie Prisma zu sehen.  Umso wichtiger ist es, dass das Stadtmuseum Bruneck ihm nun eine repräsentative Ausstellung mit Werken von 1993 bis heute widmet.

Angefangen hat er, wie könnte es anders sein, als Holzschnitzer in Gröden, danach bildete er sich in Graz weiter und studierte schließlich in der Wiener Akademie bei Joannis Avramides Bildhauerei. Seit 1986 Jahren lebt er als freischaffender Künstler und Restaurator in Wien und ist seit 1990 kontinuierlich in Ausstellungen vor allem in Wien, Bregenz, Innsbruck, aber auch Spanien und Bulgarien vertreten.

Die Ausstellung im Stadtmuseum Bruneck trägt den Titel „Corpora humana“ und der führt direkt ins Zentrum seiner Kunst. Die Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur ist Giovanni Rindlers zentrales Thema, so sehr, dass man es fast sein einziges nennen kann. In der schier unendlichen Vielfalt skulpturaler Ausdrucksweisen und Themen seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts hat er sich ohne Wenn und Aber für die menschliche Figur entschieden. Von Beginn seines künstlerischen Schaffens an arbeitet er an Körpern, Torsi und vor allem Köpfen.

Materialmäßig handelt es sich in der  überwiegenden Zahl um Bronzegüsse, aber es gibt auch einige Marmor- und Steinskulpturen, Figuren in Alabaster, Speckstein und Holz. Rindler arbeitet vor allem als Plastiker, und in geringerem Maß als Bildhauer im eigentlichen Sinn, der mit Meisel und Stemmeisen aus Holz oder Stein eine Figur herausschlägt. In der Ausstellung sind jedoch auch zahlreiche Zeichnungen auf Papier, Reliefs und Holzschnitte zu sehen, die ihrerseits wiederum Körperdarstellungen, vor allem Akte, sind.

Es sind vor allem zwei formale Stränge, die sein bildhauerisches Schaffen charakterisieren und beide haben ihren Ausgangspunkt in der frühen klassischen Moderne. Das, was die gesamte Skulptur des 20. Jahrhunderts durchzieht, nämlich der formale Reduktionsprozess, den Picasso mit seinem berühmten Frauenkopf im Jahr 1909 eingeleitet hatte, trifft in unterschiedlichen Ausprägungen auch auf das Schaffen von Rindler zu.

Seine unübersehbar von Aristide Maillol inspirierten Vollplastiken sind häufig liegende oder hockende Figuren, ihre äußeren Linien sind immer rund, kurvenreich, weich, füllig und von einer geradezu barocken Sinnlichkeit. Es gibt nichts Eckiges in seinen Werken, es gibt ein stetes Sich-Runden und Sich- Schließen der Figur und das häufig in einer fast tänzerischen Bewegtheit und einer starken Betonung der Extremitäten. Die Oberflächen sind gleichmäßig geglättet und allein das spricht schon dafür, dass es Rindler nicht um um Bildnisse geht, sondern einzig und allein um plastische Formensprache.

Sitzende, Bronze, 2020

Einen zweiten formalen Strang bilden Plastiken, die stärker reduziert sind als die fast klassisch anmutenden Werke und einer kubistischen Formensprache folgen.  Man kann bei dem liegenden Kopf mit dem Titel Susanna aus dem Jahr 1997nicht nicht an Picassos berühmten Frauenkopf aus dem Jahr 1909 denken.  In der Gesamtansicht ist es klar als Kopf erkennbar, doch wenn man Nebenansichten wählt, verlieren die Gesichtsteile ihre anatomische Identität und werden zu rein plastischen Elementen.

Picasso hat bekanntlich beim Studium afrikanischer Masken erkannt, dass ein Kopf aus kleinen plastischen Elementen aufgebaut werden kann, wobei konvex und konkav austauschbar sind. Rindler verfährt ganz ähnlich, wenn er organische Formen in geometrische umwandelt, wenn Körperformen auf stereometrische Grundformen wie Kugel, Kegel und Zylinder reduziert werden.

Sie entsprechen zwar noch der menschlichen Anatomie, gleichen allerdings mehr einem geometrisch, architektonisch erbauten, als einem organisch bewegtem Körper. Man sieht einen figürlichen Kopf, aber dieser ist aus ungegenständlichen, konkaven bzw. konvexen Formen zusammengesetzt.

Diese Reduktion auf stereometrische Formen lässt sich in Rindlers Werk durch alle Phasen hindurch feststellen, aber die Formreduktion geht niemals gänzlich in die formale Abstraktion wie etwa bei den russischen Konstruktivisten. Sie markieren einen Mittelweg, eine Versöhnung zwischen Abbildung der Wirklichkeit und Konstruktion. Man sieht und erkennt immer die menschliche Figur, auch wenn diese nur mehr aus zusammenhängenden Wölbungen besteht wie beispielsweise in einigen Kopfskulpturen, sitzenden Figuren, aber auch in einer Säule. Rindler führt den Körper da auf die Geometrie von gekurvten Linien zurück, was zu teils grotesken Verrenkungen und schlauchartigen Gebilden führt, und ein Kopf nicht mehr ein massiver Kopf ist, sondern die dünne Maske eines Gesichts aus geschichteten Platten, wobei die Durchbrüche ein Kontinuum von Innen und Außen erzeugen. Egal ob Büsten, Köpfe oder Ganzkörper, es sind niemals Bildnisse. Es geht nie um Abbildhaftigkeit, es geht immer um die rein künstlerische, plastische Kraft.

Das Nämliche gilt auch für die Zeichnungen und Holzschnitte und vor allem für die Reliefs, denen er als Übergangsformen zwischen Malerei und Skulptur besondere Aufmerksamkeit zukommen lässt. Auch hier geht es um Vereinfachungsprozesse der Formen und Linien, um das was passiert, wenn eine oder mehrere Linien sich kreuzen, auseinander und zusammenlaufen.

Rindlers übersteigerte Körperrundungen, seine chirurgische Zerlegung und Wiederzusammensetzung der menschlichen Figur in ein geometrisierendes Formennetz, ihre bei aller Schwere schwebende Leichtigkeit – alle diese Merkmale wollen im Grund nur eins: eine Aussage über das Rätsel Körper machen. Seine Werke sind Erkundungen über die Geometrien des Leiblichen. Erkundungen, die naturgemäß nie an ein Ende kommen. (Heinrich Schwazer)

Termin: Corpora humana von Giovanni Rindler ist bis 23. April im Stadtmuseum Bruneck zu sehen.

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