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Wird Putin bald verhaftet?

Richter Cuno Tarfusser

Der ehemalige Vizepräsident des internationalen Strafgerichtshofes, Cuno Tarfusser, erklärt, warum Wladimir Putin wohl nie vor einem Gericht stehen wird.

Herr Tarfusser, der internationale Gerichtshof hat bereits entschieden, dass Russland den Krieg gegen die Ukraine beenden muss. Welche Konsequenzen bringt diese Entscheidung mit sich?

Cuno Tarfusser: Praktisch gesehen hat diese Entscheidung keine Auswirkungen. Russland hat das Gericht nicht anerkannt und sich auch nicht im Verfahren eingelassen. International rechtlich ist die Entscheidung dennoch relevant, weil sie eine Prinzip-Entscheidung ist. Man erkennt damit rechtlich an, dass es ein verbotener Angriffskrieg ist, der gegen die UN-Charta verstößt. Wenn man so will, ist es eine Signalwirkung.

Sie waren Vizepräsident des Internationalen Strafgerichtshofes. Dieser hat bereits Ermittlungen aufgenommen. Wann ist mit einem Ergebnis zu rechnen?

Der Unterschied zwischen dem Internationalen Gerichtshof (IGH) und dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) besteht darin, dass man beim IGH aufgrund von international öffentlichem Recht Entscheidungen trifft. Dem IGH können sich nur Staaten stellen. Der IStGH ist dagegen ein Strafgericht, wo nur Personen angeklagt werden können. Letzteres ist komplexer und vom Regelwerk her komplizierter.

Wie schwierig ist es, in einem laufenden Krieg, zuverlässige Beweise zu sichern?

Gerade in diesem Fall ist es schwierig Beweise zu sichern. Man muss nämlich darauf achten, dass es sich nicht um Fakes handelt. Zudem müssen die Beweise regelkonform gesichert sein. Der Vorteil ist, dass Putin selbst konfessorische Aussagen tätigt, sodass es relativ klar ist, wen man zur Rechenschaft ziehen muss. Darum geht es letztlich im Verfahren beim IStGH. Leider dauern solche Prozesse deutlich länger als beim IGH. Dort geht es nämlich nicht um die Verantwortung, sondern um die Bewertung bestimmter Begebenheiten. Zudem werden die Ermittlungen dadurch erleichtert, dass es sich nicht um einen Bürgerkrieg handelt. Auf dem Territorium der Ukraine gibt es einen Konsens. Ich gehe davon aus, dass die Ukraine, die mittlerweile die Gerichtsbarkeit anerkannt hat, mitarbeitet. In einem Bürgerkriegsstaat ist es dagegen schwierig festzustellen, wer auf der einen und wer auf der anderen Seite steht.

Wie wahrscheinlich ist es, dass Putin nach Abschluss der Ermittlungen tatsächlich der Prozess gemacht wird?

Das ist leider unwahrscheinlich, denn Russland hat den IStGH nicht anerkannt. Wenn es so weit kommt, dass das Gericht einen Haftbefehl erlässt, schränkt man die Bewegungsfreiheit von Putin ein. Er kann damit nicht mehr so leicht von Russland in einem Vertragsstaat reisen. Denn der Vertragsstaat müsste Putin verhaften. Immerhin sind 123 Länder Vertragsstaaten und damit hätte das für ihn persönlich durchaus Auswirkungen.

Hat es bereits einen ähnlichen Fall gegeben?

Es wurde bereits ein Haftbefehl gegen Omar al-Bashir, dem ehemaligen Präsidenten Sudans, erlassen. In meinen 11 Jahren am IStGH haben wir immer wieder versucht, zu monitorieren, dass er verhaftet wird, wenn er sich in einem Vertragsstaat aufhält.

Das heißt, dass Putin der Prozess in Den Haag gemacht wird, ist unrealistisch. Selbst wenn er gestürzt wird?

Wenn er in Russland gestürzt wird, könnte man ihn natürlich ausliefern. Aber auch al-Bashir wurde gestürzt, er befindet sich derzeit im Gefängnis von Sudan. Über eine Auslieferung wird zwar gesprochen, ob diese Gespräche Fundament haben, weiß ich aber nicht. Tatsache ist, dass der IStGH eine komplementäre Zuständigkeit hat. Das heißt, er wird nur aktiv, wenn der Staat, der eigentlich für die Verbrechen zuständig wäre, nicht reagiert. Höchstwahrscheinlich wird es also so sein, dass ihm in Russland der Prozess gemacht wird, der IStGH ist dann nicht mehr zuständig.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass sowohl die Entscheidungen des IGH als auch die Entscheidungen des IStGH kaum Auswirkungen auf den Krieg haben. Ist die Internationale Gerichtsbarkeit in dieser Form also überhaupt sinnvoll?

Die Entscheidungen haben nur wenige konkrete Auswirkungen. Symbolisch zeigt es hingegen von einer Stärkung der öffentlichen Meinung und des öffentlichen Rechtsbewusstseins. Ich glaube also, dass alles sinnvoll ist, was man auf internationaler Ebene macht. Es wäre dramatisch, wenn wir in der heutigen Zeit keine internationale Gerichtsbarkeit hätten. Natürlich funktioniert nicht alles so, wie man es gerne hätte und viel könnte man besser machen, aber das Rom-Statut, das 1997 unterschrieben wurde, stellt nach wie vor ein Wunder dar. Mittlerweile haben 123 ein übergeordnetes Rechtssystem anerkannt. Es muss sich aber noch entwickeln – das ist klar. Das gilt aber auch für die nationalen Gerichtssysteme. Das Problem in diesem Fall ist, dass Russland sich nicht daran beteiligt. Man kann nur gewinnen, wenn man auch daran teilnimmt.

Interview: Markus Rufin

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (4)

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  • cosifantutte

    Die diese Woche verstorbene US Diplomatin, Madeleine Albright, sagte 1996, dass 500.000 tote Iraqi Kinder durch den Irakkrieg, der wegen nicht existierender Massenvernichtungswaffen Saddams angezettelt worden war, den PREIS WERT WAREN. Wurde sie jemals vor ein Kriegstribunal gebracht? Der Wertewesten hat seine moralische Lufthoheit verspielt:

    https://www.youtube.com/watch?v=1tihL1lMLL0

  • cosifantutte

    Bitte gebe nicht Deutschlandfunk wieder, sondern höre im Video was M. Albright SELBST vor laufender Kamera bei 60 Minutes gesagt hat. Verständnis des Interviews setzt aber elementare Englischkenntnisse voraus,

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