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Boykott oder nicht?

Hubert Stuppner: Ich finde, der Busoni-Wettbewerb wäre gut beraten, wenn er, solange dieser blutige, nicht enden wollende Krieg in der Ukraine tobt, die allgemeinen gegen Putins Russland gerichteten Sanktionen nicht umgeht.

Kunst in Zeiten des Krieges: Europaweit werden russische Künstler und Musiker aus Protest gegen den Ukraine-Krieg ausgeschlossen. Doch wie sinnvoll ist es wirklich, russische Musiker  zu boykottieren und wie soll der Busoni-Wettbewerb damit umgehen? Ein Beitrag von Hubert Stuppner.

Ich beziehe mich auf eine Stellungnahme des Künstlerischen Leiters des Busoni-Wettbewerbes zur Situation der Sanktionen des Westens gegenüber der Russischen Föderation und zu den möglichen Folgen für russische Kandidaten-Einschreibungen zum nächsten Wettbewerb.

Rein formell steht einer Einschreibung von russischen Kandidaten nichts im Wege, denn die Sanktionen gegen Bürger Russlands betreffen bislang nur gewisse Oligarchen. Hat man jedoch das allgemeine unkriegerische Ziel der Sanktionen gegen Banken und weitere staatliche Einrichtungen (Aeroflot) im Blick, dann intendieren diese nicht die Bestrafung des russischen Volkes, sondern stellen, durch die erheblichen Einschränkungen, ein indirektes Druckmittel auf die Gesamtbevölkerung dar, damit der Widerstand gegen  „Ivan den Schrecklichen“ wächst.

Mir scheint, dass ein Verbotsauftritt für den russischen Stardirigenten Valerij Gergjev, angeblich weil er Putin nahe steht, dieses Ziel verfehlt, erstens weil sich damit in seiner Geltung in Russland nichts ändert und weil damit der Eindruck entsteht, dass man ihn dafür bestrafen will. Dann müsste man ja auch zahlreiche Pianisten, die mit Gergiev in Russland vorzugsweise auftreten( z. B. Matsuev), bestrafen. Darum kann es hier nicht gehen.

Im Übrigen stimmen die meisten Beobachter damit überein, dass Sanktionen gegen den magischen Kreis um „Putin den Schrecklichen“ nichts bringen. Die westlichen Sanktionen sollen hingegen bewirken, dass eine breite demokratisch orientierte Opposition von unten das Regime ins Wanken bringt, was Putin übrigens mehr fürchtet als die Nato an den Grenzen, also eine Art „Solidarnosc“, oder eine von der orthodoxen Kirche zusammen mit den Intellektuellen initiierte Bewegung, wie jene der Freitags-Proteste in der Ex-DDR. Vom einfachen Volk, das von der lügenhaften Fernseh-Propaganda gegängelt wird, ist keine Revolution zu erwarten. Wie überall, sind es die Eliten, die eine demokratische Bewegung in Gang setzen. Und dazu gehören in Russland auch die Künstler.

Nirgendwo haben Schriftsteller und Künstler, und insbesondere Musiker der klassischen Musik, stärkeren Vorbildcharakter als in jenem Land. Nirgendwo sonst sind Literatur und Musik so tief in den Köpfen und Seelen der Menschen verwurzelt wie in Russland, und nirgendwo sonst ist Musik der Religion ebenbürtig. Man sehe sich nur die Gräber auf dem Moskauer Novodjevici-Friedhof an. Der Prunk und die Höhe der Grabsteine unterstreichen eindrucksvoll deren gesellschaftlichen Rang, beispielsweise jene der drei Begründer der neueren russischen Klavier-Schule: Ygumnov, Goldenweiser und Neuhaus. Deren Marmor-Monumente überragen sogar die Grabstätten der epochalen Erfinder und wissenschaftlichen Pioniere. Ganz zu schweigen von der Stimmung, die Klavierkonzerte in Moskau oder St. Petersburg erzeugen. In der Musik findet die russische Seele alles, was ihr das reale Leben versagt, in ihr freut sie sich, in ihr leidet sie, in ihr findet sie Trost und grenzenlose Freiheit. Wir im Westen kennen diese seelische Idiosynkrasie nur von Pop-Konzerten. Klassische Musik erklingt in den westlichen Kulturen bestenfalls als kulturelles Erbe glanzvoller Epochen der Vergangenheit und als Hochleistung begabter Individuen. In Russland genießen große Pianisten den Ruf von Volkshelden. Putin weiß das und hat sich, wie übrigens auch bei der orthodoxen Kirche, mit einer glanzvoll inszenierten klassischen Musikkultur Akzeptanz auf Augenhöhe verschafft: Er fördert und gebraucht klassische Konzerte als imperiale Kulisse für seinen nationalen Größenwahn.

Das Dilemma, vor dem der Busoni-Wettbewerb steht, ist die Frage, ob er sich auf die Seite von Anna Netrebko stellt, die (empathielos) die politische Einstellung für Privatsache hält, oder orientiert er sich an der ethischen Haltung eines Evgenji Kissin, Igor Levit u oder Daniel Barenboim, die vom Künstler erwarten, dass er sich zur jetzigen Situation erklärt, oder folgt er dem Beispiel des Orchesters von Montreal, das den berühmten russischen Klavierstar Malofeev auslud, obwohl er sich offen gegen Putin deklarierte.

Ich finde, der Busoni-Wettbewerb wäre gut beraten, wenn er, solange dieser blutige, nicht enden wollende Krieg in der Ukraine tobt, die allgemeinen gegen Putins Russland gerichteten Sanktionen nicht umgeht, und nicht nur Pianisten mit russischer Adresse vom nächsten Wettbewerb ausschließt, sondern auch etwaige aus Russland angereiste Juroren auslädt. es sei denn, sie deklarieren sich offen gegen den Aggressor. Im Ersatzfall wäre die Einladung der Busoni-Preisträgerin Anna Kravtchenko und ihr Lehrer Leonid Margarius, die beide aus der ehemaligen Haupt- und Kulturstadt Kharkiv stammen (die übrigens auch die Geburtsstadt von Wladimir Horowitz ist), eine schöne Geste der Solidarität. Damit könnte man dem anderen Wladimir, dem blutigen, bedeuten, wie hoch man im Westen die russische Klavierkultur schätzt, so hoch, dass man sich bemüßigt fühlt, auch diese unter Sanktion zu stellen. Und der Busoni-Wettbewerb würde in der westlichen Welt an Respekt und Prestige nur gewinnen.

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