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Knast statt Kaserne  

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In Südtirol landen Personen, die in flagranti wegen Widerstands gegen Amtspersonen verhaftet werden – anders als in anderen Regionen – weiterhin im Gefängnis. Dabei ist dies seit 2014 gesetzlich nicht mehr vorgesehen.

Von Thomas Vikoler

Der Angeklagte gestikuliert heftig mit seinen Armen und will dem Richter etwas mitteilen. Einer der drei Gefängniswärter, die ihn umstehen, fordert ihn zum Stillhalten auf. Dabei hätte der Mann, ein Skitourist aus Polen, so viel zu sagen über den Vorfall vor zwei Tagen im Skigebiet Kronplatz.

Dort ist der Mann wegen Widerstandes gegen Amtspersonen verhaftet worden und verbrachte die vergangenen 48 Stunden im Bozner Gefängnis. Nun bestreitet er unter dem Beistand einer Pflichtverteidigerin das Schnellverfahren vor Einzelrichter Ivan Perathoner.

Derartige Schnellverfahren gibt es am Landesgericht zuhauf. Was im dazugehörigen Gerichtsbezirk besonders ist, ist die Missachtung eines Gesetzesdekrets aus dem Jahre 2014. Das Svuota-Carceri-Dekret der Regierung Matteo Renzi infolge eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes zur Überfüllung der italienischen Gefängnisse.

In einem weiter gültigen Abschnitt des Dekrets heißt es, dass Personen, die in flagranti wegen eines Delikts verhaftet werden, für welches ein Einzelrichter zuständig ist, nicht in ein Gefängnis gebracht werden dürfen. Außer der zuständige Staatsanwalt legt eine Begründung vor, warum dies nicht möglich ist (etwa die fehlende Verfügbarkeit von Räumlichkeiten, gesundheitlichen oder anderen Gründen).

Laut Svuota-Carceri-Dekret müssen Verhaftete in Erwartung der Haftprüfung, speziell wenn für sie ein Schnellverfahren („processo per derettissima“) beantragt wird, in „Sicherheitsverwahrung“ bei der Polizei- oder Carabinieri-Einheit gebracht werden, welche die Verhaftung durchgeführt hat.

Im konkreten Fall des polnischen Skitouristen wäre die Carabinieri-Kaserne von Bruneck gemäß gesetzlicher Bestimmung der richtige Ort gewesen.

Doch in Südtirol wir das Gefängnisleerungs-Dekret zu diesem Punkt systematisch ignoriert. Alle Verhafteten werden bis zu maximal 48 Stunden ins Bozner Gefängnis gebracht. Quästur und Carabinieri begründen ihre Vorgangsweise mit fehlenden Räumlichkeiten in ihren Kasernen, die Staatsanwaltschaft liefert jeweils, wenn auch unwillig, die gesetzlich vorgesehene Ausnahmebegründung.

Dabei wird das Dekret aus dem Jahre 2014 in vielen anderen italienischen Gerichtsbezirken korrekt umgesetzt und niemand landet wegen eines Zwischenfalls auf der Skipiste im Gefängnis.

Der polnische Skitourist – Jurist von Beruf, Vater zweier Kinder – erzählt in der Verhandlung am Landesgericht auf Englisch und der Hilfe einer Übersetzerin, wie es bei ihm dazu kam. Er sei mit zwei anderen Touristen nach der Abfahrt in einen Streit geraten, diese seien handgreiflich gegen ihn geworden. Ordnungshüter seien eingeschritten, er sei ausgerastet. „Es tut mir leid, was ich getan habe. Ich werde Schadensersatz leisten“, kündigt der Verhaftete an.

Wenige Minuten später bestätigt Richter Perathoner die Verhaftung und verfügt, dass der Mann auf freien Fuß darf. Das Urteil zu dem Zwischenfall, der ihn ins Gefängnis brachte, soll zu einem späteren Zeitpunkt verkündet werden.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (2)

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  • artimar

    Bei solch unglaublichen „Rechtspraxis‘ in Bozen fragt man sich: Hat es keine Eingaben beim Justizministerium, Inspektionen oder parlamentarische Anfragen durch alle diese Ehrenwerten in Rom, die meist parallel nebenbei selbst als Rechtsanwalt-in arbeiten?

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