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Bankrott der Milchmädchen

Alexander Rieper

Krieg, Pandemie, Kostenexplosion: Die Lebensmittelbranche befindet sich im Umbruch. Dabei müssen derzeit die Milchbauern den größten Druck aushalten. Alexander Rieper über Milchpreise, Getreideimporte, über Planungssicherheit und Hamsterkäufe.

von Silke Hinterwaldner

Es hängt alles zusammen: Der Krieg in der Ukraine mit den Preisen für eine Packung Nudeln genauso wie die Pandemie mit den Versorgungsengpässen. Dazu kommen die Inflation und die Preisexplosion bei Strom, Gas, Benzin. Klar ist derzeit vor allem, dass bisher recht gut vorhersehbare wirtschaftliche Entwicklungen unberechenbar werden. Es wird wahrscheinlich neue Verlierer, aber auch Gewinner geben.

Alexander Rieper hat sich in den vergangenen Monaten sehr viel mit den Entwicklungen am Markt und der Frage beschäftigt, wie man regulativ eingreifen sollte. Er ist einerseits als Chef der Rieper-Mühle in Vintl unmittelbar für Mehle und Futtermittel zuständig. Rieper ist aber auch Präsident der Sektion Lebensmittel im Unternehmerverband und damit sozusagen auch politisch mit diesen Themen befasst. Sämtliche Verbände, sagt er, wollen derzeit herauszufinden, wo Handlungsbedarf besteht. Am freien Markt müsse ein Produzent die Möglichkeit haben, seine Preissteigerungen umzusetzen. Dieser Mechanismus sei im Moment unterbrochen.

Rieper sagt: „Der Lebensmitteleinzelhandel will den Konsumenten vor Inflation schützen. Aber wenn er dafür die Lieferanten umbringt, bringt das nichts. Es ist eigenartig, dass es genau in Milchwirtschaft klemmt.“

Neue Preise lösen nie Jubel aus, schließlich gehen sie fast immer nach oben. In der Branche wird hart verhandelt, man scheut auch vor gefinkelten Tricks nicht zurück. Normalerweise einigt man sich am Ende auf eine Lösung, die den Fortbestand der Unternehmen und die Arbeitsplätze garantiert und gleichzeitig dem Handel wettbewerbsfähige Produkte im Supermarktregal gewährt.

„Der Markt ist transparent“, sagt Rieper, die Konkurrenz ist groß, Kontrolle dadurch gewährleitet. Und: „Man versteht derzeit dieses Phänomen nicht, schließlich sind nicht nur die Bergbauern, sondern auch große Betriebe etwa in der Poebene betroffen. Allen ist klar: Die Milchbauern werden bei den derzeitigen Auszahlungspreisen wirtschaftlich nicht überleben. Die Betriebe werden zahlungsunfähig oder die Nebenerwerbsbauern hören mit der Milchwirtschaft auf. Der Landwirt ist das schwächste Glied in der Kette.“

Leere Regale

Dass gerade der Bauer den wirtschaftlichen Druck jetzt aushalten soll, ist für Alexander Rieper kaum verständlich. Er erinnert deshalb daran: Ein Viehbauer bekommt derzeit rund 50 Cent für einen Liter Milch, auch weniger. Der Landwirt muss für dieses Geld in der Früh in den Stall gehen, Futtermittel kaufen, einen Traktor anschaffen.

„Der Konsument“, sagt Alexander Rieper warnend, „muss sich in Zukunft entscheiden, ob es diese Produkte in Zukunft noch geben soll.“ Eigentlich gibt es Anti-Trust-Behörden, die verhindern sollten, dass Machtpositionen ausgenutzt werden. Derzeit aber erdrücke die Übermacht der Handelsketten ihre Lieferanten. Das müsste hinterfragt werden. Ein Beispiel: Weil das Verpackungsmaterial für die Milchprodukte teurer wird, soll derzeit nicht der Kunde einen höheren Preis dafür zahlen, sondern der Bauer soll weniger für die Milch bekommen. Das aber werde nicht funktionieren.

Aber auch viele andere Entwicklungen im Lebensmittelsektor werfen Fragen auf. Im Interview sucht Alexander Rieper nach Antworten.

TAGESZEITUNG Online: Herr Rieper, inwieweit sind die Preise für die Rohstoffe gestiegen?

Alexander Rieper: Die Preise für viele Getreidesorten sind in den letzten Monaten stark gestiegen, seit Oktober 2020 ist Weizen um 130 Prozent teurer geworden. Der Krieg in der Ukraine hat 60 Prozent dieser 130 Prozent ausgemacht. Man muss sich vor Augen halten, dass Italien 65 Prozent vom Weichweizen und 55 Prozent vom Mais importieren muss. Bei Weizen sind die Ukraine und Russland für Italien nicht besonders wichtig, das macht nur rund fünf Prozent des Importes aus. Allerdings fehlen diese Mengen, denn am Weltmarkt sind die Ukraine und Russland unter den Ländern, die am meisten Weizen exportieren. Unsere Nachbarn am Mittelmeer wie Ägypten, Algerien sind zu 100 Prozent auf Import angewiesen. In diesen Ländern kann es zu ernsthaften Versorgungsengpässen kommen. Die fehlenden Exportmengen am Weltmarkt lassen das Angebot verknappen und somit die Preise steigen. Erschwerend ist dazugekommen, dass Ungarn eine Art Exportstopp verhängt hat, der mit letztem Montag sämtliche Warenströme unterbrochen hat. Dazu muss man sagen, dass 30 Prozent des Weichweizens, der in Italien importiert wird, aus Ungarn kommt. Beim Mais-Import kommen ebenfalls 30 Prozent aus Ungarn und zusammen mit der Ukraine sogar 46 Prozent. Die Lage mit Ungarn entspannt sich gerade etwas, aber sowohl der Mühlensektor als auch der Futtersektor erleben in Italien gerade eine nie dagewesene Versorgungskrise. 

Welche Veränderungen am Markt bemerken Sie? 

Am Markt will natürlich niemand verkaufen, weil man vielleicht schon morgen mehr für die Ware bekommt. Das macht alles langsam und schwierig. 

Die Menschen neigen bereits zu Hamsterkäufen, vor allem bei Nudeln und Mehl. Ist das nachvollziehbar?

Man kann verstehen, dass sich die Menschen eindecken wollen. Wir können aber klar sagen, dass es besonders bei Mehl im Supermarkt keine Versorgungsengpässe geben wird. Wir arbeiten direkt mit den Handelsketten zusammen und die Regale werden schnellstmöglich nachgefüllt. Man muss dazu sagen: Innerhalb Europas können wir die Versorgung mit Getreide als Lebensmittel garantieren. Wichtig ist nur, dass sich alle Mitgliedsländer entsprechend verhalten. Bei der Versorgung der Nutztiere sieht es Italien weit schlechter aus – da braucht es Importe. Wir als Firma Rieper haben aktuell keine schlechte Deckung, aber auch der beste Vertrag geht irgendwann zu Ende. Ich sehe nicht, dass wir kein Getreide bekommen werden, es wird aber teurer sein, und es lässt sich aus heutiger Sicht nicht abschätzen, um wie viel. 

Was bedeutet die Preissteigerung und die Verknappung der Rohstoffe bei den Futtermitteln für die Landwirtschaft? 

In der Milchwirtschaft ist die Situation prekär – in ganz Italien und auch in Südtirol. Während in Deutschland die Milchpreise und die Auszahlungspreise für die Bauern gestiegen sind, blockiert in Italien der Handel jegliche Steigerung, was die Sennereien aber letztlich besonders die Bauern in arge Not bringt. Die Milchbauern können nicht mehr kostendeckend arbeiten. Da muss sich ganz schnell etwas ändern, sonst gehen viele Stalltüren zu. Die gehen dann nie wieder auf. Der Handel, aber letztlich der Konsument, müssen bereit sind, für Südtiroler oder italienische Milchprodukte einen Preis zu bezahlen, der die Bauern überleben lässt. Sonst kommt die Milch in Zukunft woanders her, weil es die Milchbauern schlicht nicht mehr gibt. 

Steigende Energiekosten, Verknappung der Rohstoffe und nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine: Welches dieser Ereignisse beeinflusst die Entwicklungen am stärksten? 

Wie Sie richtig sagen, zu den Rohstoffen kommen noch die Kosten für Energie dazu, sowie die Transportkosten und auch die Verpackungskosten. Den größten Hebel haben in unserer Branche die Rohstoffe, gefolgt von Energie und Verpackung. 

Sie sind nicht nur Präsident der Sektion Lebensmittel im Unternehmerverband, sondern auch beruflich mit der Materie befasst. Was hat sich in den vergangenen Monaten bei Ihrer Arbeit verändert?

Es hat sich bereits seit Beginn der Pandemie vieles geändert: Die Planungssicherheit ist geringer geworden und man muss sich fast täglich neu informieren und bewerten, ob die Informationen Auswirkungen auf den eigenen Betrieb haben. Prinzipiell ist das in einer Unternehmensleitung immer so, aber der Rhythmus hat sich extrem beschleunigt.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (18)

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  • schwarzesschaf

    Es sind genug wiesen die prach liegen einfach weizen anbauen und unsere milchbauern brauchn sich nicht beklagen den die deutsch kriegen für die milch noch weniger. Und wenn die herrn direktoren der genossenschaft fürs sesselfurzen mehr verdienen als die bauern selbst dann sind sie selber schuld wenn sie das luxusleben dieser herren finanzieren.

    • brutus

      @schwarzes Schaf
      …du bist ein Träumer!
      Pro ha knapp 8 Tonnen Weizen mit einem Bruttoerlös von zur Zeit von 350 € (Rekordpreise zur Zeit) pro Tonne! In Südtirol wirst du keinen flächenmäßig so großen Hof finden der damit überleben kann!

    • rumer

      Jahrzehntelang wurden die Südtiroler Bauern beim Milchpreis getäuscht. Ihnen wurde z. B. vorgerechnet, dass sie 50cent, der Bauer in Deutschland aber nur 35cent bekommt. Die Wirklichkeit ist entscheidend anders:
      Der Südtiroler Bauer bekommt schon 50cent, aber für folgende Milch:
      Fettgehalt 4,29%, Eiweißgehalt 3,97% mit enthaltener 10% MwSt., außerdem ist darin noch der Gewinnanteil des Milchhofes enthalten.
      In Deutschland wird der Milchpreis für den Bauern folgendermaßen angegeben:
      Fettgehalt 3,7 %, Eiweißgehalt 3,4 %, ohne Mehrwertsteuer. Nicht enthalten ist der Gewinnanteil des Milchhofes. Das ist der Basispreis der in den Medien auftaucht.
      Somit bekommt der Bauer in Deutschland als Basis die 35cent, darauf den entsprechenden Fettaufschlag, den Eiweißaufschlag,und, wenn er bei der Genossenschaft beteiligt ist, auch noch den Gewinnaufschlag. Obendrauf bekommt er noch die MwSt.
      Somit bekam der Bauer in Deutschland nicht nur 35 sondern auch 50cent.
      Durch diese Südtiroler Täuschung konnte die Politik und die Genossenschaftsführung viele Fehler und Probleme vertuschen.

  • andreas

    Welches Druckmittel hat der italienische Handel, wenn sogar in Deutschland die Preise steigen und die Einkäufer bei deren großen Handelsketten wie Edeka, Aldi oder Lidl als die miesesten Typen in Europa verschrieen sind?
    China erwartet eine extrem schlechte Winterernte und kauft seid Herbst den Weltmarkt für Getreide leer, da Hunger schon öfters der Antrieb für Revolutionen war.

    Immer wieder die Schuld beim Konsumenten zu suchen, ist etwas zu einfach, denn auch dieser ist von der Inflation betroffen und hat nicht immer die Möglichkeit, das teure Produkt zu nehmen.

    Und wie solidarisch manche Bauern mit der Bevölkerung sind, hat man bei Corona gesehen. Auch ohne Einbußen oder Notwendigkeit, wurden die 600 Euro beantragt und auf dem Dorfplatz noch damit geprahlt, was man doch für ein verschlagener Bursche ist….
    So gesehen im Etschtal.

  • andreas1234567

    Hallo zum Sonntag,

    Bergbauern beschimpfen bekommt gerade inflationär wenig Zustimmung, die üblichen Bauernhasser welche die Riesensubventionen (eigentlich Trinkgelder und oft an horrende Erschwernispunkte gekoppelt ) beklagen und. mindestens dreimal wöchentlich auf ihren Fantasietouren von Hofställen vollgestopft mit einem millionenschweren Fuhrpark berichten dürften jetzt erstmal Sendepause haben.

    Vielleicht wird das Speckbrot und die frische Milch eine neue Wertschätzung erfahren wenn Dinkelmilchcappucino und das Sojaerbsenpampesandwich im Vegan-Bistro gerade aus ist und ein paar gescheite Röster mit Spiegelei und Speck dann doch wieder akzeptabel sind.

    Irgendwie freu ich mich gerade über die Kopfwäsche von manchen Leuten durch den Friseur namens Realität.

    Deswegen sind Fördergelder verstärkt nach dem Motto „mehr Bauern-weniger Spinner“ zu verteilen.

    Auf Wiedersehen auf einem Berghof

    • andreas

      Ihr Deutschen seid doch das ursächliche Problem in der Milchwirtschaft, da ihr für den Fall der Milchquote wart, um expandieren und exportieren zu können.
      Bis ihr bemerkt habt, dass andere Länder das billiger können und wegen euer Überproduktion Kleine schließen mussten und fast nur noch die Agrarindustrie bei euch produziert.
      Nebenbei sind eure Schweinebarone und Handelsketten für den Verfall des Fleischpreises verantwortlich, da „Geiz ist geil“ zu eurer DNA gehört.

      Bergbauern sollen subventioniert werden und wenn möglich von den Obstbauern, welche gerne die Hand aufhalten und empört sind, wenn sie ihren Angestellten einen gerechten Lohn zahlen sollen.

  • robby

    Früher gab man den Kühen Gras und Heu zu fressen. Die gaben dann zwar weniger aber bessere Milch. Warum muss Getreide denn verfüttert werden?
    Und die Bauern könnten ohne Probleme wieder selbst Getreide anbauen. Wo steht übrigens geschrieben dass Bauern von der Milch einiger Kühe ein Luxusleben führen müssen?

    • rumer

      @robby
      nur mit Gras und Heu ist eine Kuh mangelernährt. Warum isst du selber Getreide und Fleisch, gönnst der Kuh aber nicht mal ihr Getreidemüsli?
      Selber Getreide anbauen? Und damit auf die Hälfte der Kühe verzichten?
      Sehr gute Idee !!!!!!!!! Dann können 99,9% der Milchbauern sofort zusperren.

  • bernhart

    Der Konsument kann nicht alle retten, auch dieser muß schauen wie er zurecht kommt, auch für den Konsumenten ist das Leben teurer geworden und er muß sparen und vorsichtig einkaufen, also muß er auf günstige Produkte ausweichen.
    Es spricht niemand vom Zwischenhandel welcher am ende der lachende 3 ist., dieser verdient sich eine goldene Nase auf Kosten der Produzenten.
    Viele Kommentarschreiber sind Träumer, lässt sie weiterträumen, sie leben in einer anderen Welt.

  • meintag

    Wo im Pustertal wird Milchpulver produziert? Wo im Pustertal befindet sich die Firma Rieper? Noch Fragen?

  • olle3xgscheid

    Die nächsten JAMMERER werden dann wohl Tischler , Hydrauliker, egal welcher Art Handwerker sein.
    Bei solchen Lebensmittelhändler usw sind es die Manager und alle dazugehörigen wekche Angst haben ihre 3stelligen , sagen wir mal Gagen , zu rechtfertigen versuchen.
    Der Depp ist immer der Kunde..

  • dn

    Wenn der Hillebrand von der Despar behauptet (!!!), dass der Produzent (egal ob Lebensmittel oder Seife), den Gewinn machen, dann kennt er sich mit Buchhaltung nicht aus, oder er lügt; Letzteres trifft wohl zu. So viel wie der verdient sicher kein Bauer in ganz Südtirol. Die Milchbauern in Deutschland produzieren in der Ebene und daher günstiger. Argumentiert werden sollte mit Kostenwahrheit und nicht mit Jammern. Dass auch die Lohnabhängigen mit der Teuerung zum Straucheln kommen ist die andere Seite der auf beiden Seiten blechernen Medaille. Wir sollten uns nicht von der Politik gegeneinander ausspielen lassen. Wer viel hat, der soll auch viel an Steuern bezahlen. Gewinn ist bei den meisten Landwirten ein Fremdwort, die Lohnabhängigen haben sowieso keine Möglichkeit, einen solchen zu generieren.

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