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Die vorderste Front

Barbara Plagg (Foto: Oschmann)

Die Vorzüge einer guten hausärztlichen Versorgung: Warum die Sterblichkeit während der ersten Corona-Welle in Südtirol viel niedriger war als in der Lombardei oder in Venetien.

von Artur Oberhofer

Vor fast genau zwei Jahren erreichte die erste Corona-Welle Italien, vor allem die Lombardei wurde schwer getroffen. Über Wochen befand sich die norditalienische Region im medizinischen Ausnahmezustand und verzeichnete eine hohe Sterblichkeit im Zusammenhang mit Covid-19.

War die Pandemie-Entwicklung in der Lombardei nur Zufall oder ist die Notlage auch auf die medizinische Grundversorgung und die Organisation der Krankenhäuser zurückzuführen?

Die Wissenschaftlerin am Institut für Allgemeinmedizin und Public Health der Landesfachhochschule für Gesundheitsberufe Claudiana, Barbara Plagg, hat gemeinsam mit den Wissenschaftlern Giuliano Piccoliori, Jörg Oschmann, Adolf Engl und Klaus Eisendle eine Analyse zum Thema verfasst.

Das Policy Paper (Primary Health Care and Hospital Management During COVID-19: Lessons from Lombardy“), das im September 2021 in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht wurde, kam zu folgendem Ergebnis: Je stärker die primärmedizinische Basis (= Hausarztdichte) eines Gesundheitssystems, desto krisenresilienter ist das gesamte System. Privatisierungen im Gesundheitsbereich und Einsparungen in der Basismedizin sind hingegen schlechte Voraussetzungen für die Pandemiebewältigung.

Beispiel Lombardei

Barbara Plagg und ihr Team haben die Situation in der Lombardei untersucht, da die Region als fortschrittlich und innovativ gilt und trotzdem von der ersten Welle der Corona-Pandemie schwer getroffen wurde. Trotz der Einsparungen im vergangenen Jahrzehnt liegt die Zahl der Krankenhausbetten in der Lombardei etwas über dem staatlichen Durchschnitt: 3 Betten pro 1.000 Einwohner:innen. Die Region verfügt zudem über 26 herausragende wissenschaftliche Institutionen. „Die Lombardei hatte natürlich besonders Pech und ist mit vielen ersten Fällen in eine Pandemie gestartet, von der man noch wenig wusste, aber insgesamt haben gesundheitspolitische Rahmenbedingungen wie Hausarztdichte und Krankenhausmanagement innerhalb der Region deutlich auf den weiteren Pandemieverlauf eingewirkt“, so Barbara Plagg.

Für die Analyse hat das Forschungsteam die vorliegende Literatur zu den Gesundheitsstrukturen der Lombardei und den benachbarten Regionen vor Beginn der Pandemie analysiert. Diese Daten wurden dann mit dem jeweiligen Pandemie-Verlauf verglichen.

Die Hausarztdichte ist in der Lombardei geringer, als in der benachbarten Region Venetien. Laut dem Forschungsteam führte dieser Umstand während der ersten Corona-Welle im März 2020 dazu, dass infizierte Erkrankte in der Lombardei schneller das Krankenhaus aufsuchten. Ein Blick auf die Hospitalisierungsrate in diesem Zeitraum macht die unterschiedlichen Auswirkungen deutlich: In Venetien wurden 20 Prozent der Corona- Patient:innen im Krankenhaus betreut, in der Lombardei lag die Hospitalisierungsrate der Infizierten hingegen bei 66 Prozent. „In einer Pandemie geht es weniger darum, hochspezialisierte, innovative Einzelbetreuung zur Verfügung zu stellen, sondern es braucht eine breite, effiziente Gesundheitsversorgung, die auch unter Druck nicht kollabiert“, so Barbara Plagg. Die Wissenschaftlerin fügt hinzu: „Nur ein stabiles System kann die Patient:innen abfangen, bevor sie ins Krankenhaus kommen.“

Abgesehen von der primärmedizinischen Versorgung hat sich auch das Krankenhausmanagement auf die Krisensituation ausgewirkt. Auf Grund von Einsparungen sind in der Lombardei die klassischen Krankenhausbereiche in den Jahren vor Ausbruch der Corona-Pandemie abgeschafft worden. Die neuen sogenannten Makrobereiche (intensità di cura), in denen die Patient:innen nicht nach unterschiedlichen medizinischen Fachbereichen, sondern nach der Komplexität der Erkrankung und dem daraus resultierenden Pflegebedarf untergebracht werden, erwiesen sich während der ersten Pandemie-Welle als unvorteilhaft, da sie die Ausbreitung des Virus unter PatientInnen und MitarbeiterInnen potenziell begünstigen.

Im Nachhinein zeigen die Zahlen, dass die Lombardei im Frühling 2020 weniger Infektionen mit SARS-CoV-2 gezählt hatte (9,9%), als die Nachbarregion Venetien (11,7%). Die Letalität lag in der Lombardei allerdings bei 3,5 Prozent und damit 1,4 Prozentpunkte höher als in Venetien (2,1%).

Auch die Privatisierung von Gesundheitsleistungen wirkte sich in der Lombardei nicht positiv auf die Pandemiebewältigung aus. Bereits aus Studien zum Umgang mit anderen Infektionskrankheiten, wie z.B. Tuberkulose, ist bekannt, dass private Gesundheitssysteme nicht dafür geeignet sind, Infektionskrankheiten in den Griff zu kriegen, so Barbara Plagg.

Südtirol

Südtirol zählte während der ersten Corona-Welle 1,3 Todesfälle pro 100 Infizierte. Damit war die Letalität niedriger als in den untersuchten Regionen Lombardei (3,5%) und Venetien (2,1%). Für den Allgemeinmediziner und wissenschaftlichen Leiter des Instituts, Giuliano Piccoliori, ist das ein gutes Ergebnis: „Dank der hausärztlichen Versorgung konnten vor allem auf dem Land viele Patient:innen zuhause versorgt werden, die Krankenhäuser wurden dadurch entlastet“, erklärt Piccoliori.

Das Fazit der Studie: „Die Primärmedizin ist sozusagen die vorderste Front im Krieg gegen die Pandemie und wenn diese fällt, gehen die Menschen ins Krankenhaus. Dort wiederum wird man in einer Pandemie je nach Organisationsform früher oder später an die Belastungsgrenze stoßen und im ungünstigsten Fall durch ein unzureichendes Hygiene- und Gesundheitsmanagement neue Infektionsketten lostreten“, fasst Barbara Plagg zusammen.

Hausärztinnen und Hausärzte spielten deshalb für die Pandemie-Bewältigung eine zentrale Rolle. Der Mitautorder Studie, Adolf Engl, fügt hinzu: „Es ist auch in normalen Zeiten problematisch, die Primärmedizin zu vernachlässigen, in Zeiten der Pandemie kann dieses Versäumnis zum Kollaps des Systems führen.“

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (2)

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  • gorgo

    Kenne keinen einzigen Hausarzt der während der Pandemie Coronakranke ‚versorgt‘ hat. Die waren zT. überhaupt nicht erreichbar.
    Höchstens in den Altersheimen wo sie es mangels Schutzausrüstung eher noch rein brachten.
    Komische Studie. Und dieser Jörg Oschmann ist soweit mir bekannt auch kein Wissenschaftler sondern Fotograf und Lebensgefährte dieser Dame.
    Hört bitte auf, Geld für Unsinn rauszuschmeissen, damit die Provinz besser da steht sondern arbeitet endlich auf was alles völlig daneben ging.
    Natürlich ist es problematisch die Primärmedizin zu vernachlässigen.. auf so ein Fazit kommt auch die Nandl nebenan.

  • andreas1234567

    Hallo nach Südtirol,

    das lag kurz und knapp zusammengefasst auch daran in Südtirol wurde schneller hospitalisiert und auf die Intensiv verlegt.

    Was von Südtirolhassern immer las Beleg genommen wurde wie schlecht es um Südtirol steht.

    Der Hinweis auf die erheblich niedere Letalitätsrate als „Lohn“ dafür wurde niedergebrüllt und mancher Idiot hatte nichts Besseres zu schaffen als diese erbärmlichen Särgestapel vor dem Bozner Krematorium feixend zu präsentieren.
    Auf den sachlich korrekten Hinweis das liegt daran man hat die in Südtirol zu 90 % übliche Erdbestattung verboten gab es puren und blindwütigen Hass von Typen sie sich sich sonst nicht tolerant und kunterbunt genug zu geben wussten.

    Schön wenn jetzt einmal jemand nach einigen dutzend Monaten auf diese Zahlen schaut, das hätte Südtirol brauchen können als Hetzpresse aus deutscher und italienischer Provinz sich überboten haben Südtirol als Coronadrecksloch niederzuschreiben..Und es gab genug Heimische die das als Monstranz vor sich herumschleppt haben

    Auf Wiedersehen in Südtirol

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