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„Nicht mehr tragbar“

AFI-Direktor Stefan Perini sieht eine dringende Notwendigkeit und gute Voraussetzungen für spürbare Lohnerhöhungen – sofern der Ukraine-Krieg nicht weiter eskaliert.

Tageszeitung: Herr Perini, die Forderung nach Lohnerhöhungen wird lauter, nachdem die Lebenshaltungskosten in Südtirol ohnehin schon hoch sind und jetzt die Inflation stark an der Kaufkraft nagt. Wie bewerten Sie die Forderung?

Stefan Perini (Direktor des Arbeitsförderungsinstitutes): Sie ist jetzt umso drängender, weil die Löhne bereits in den guten Zeiten vor Corona nicht mit der Inflation mitgehalten haben. Damals hätte es Spielraum gegeben, die Arbeitnehmer stärker am Aufschwung teilnehmen zu lassen. Aufgrund der Ukraine-Krise wird der Anstieg insbesondere der Energiepreise jetzt nicht so schnell abklingen. Wir gehen einer strukturellen Inflation entgegen und müssen damit rechnen, dass sie im schlimmsten Fall sogar in den zweistelligen Bereich rutscht. Es ist für Lohnabhängige also nicht mehr tragbar, wenn die Löhne nicht mitziehen. Gerade Geringverdiener und sozial schwächere Kategorien sind von der Corona-Krise und jetzt vom Anstieg der Energiepreise stärker getroffen. Zudem werden wohl auch Grundnahrungsmittel wie Teigwaren teurer, denn der Krieg und die Sanktionen bringen die Lieferketten noch mehr in Schwierigkeiten.

Lohnerhöhungen sind also dringend notwendig?

Ich will nicht nur banal mit der Forderung nach Lohnerhöhungen kommen, aber die schwierige Situation der Pandemie und jetzt der Krieg vor der Haustür darf auf keinen Fall die Gesellschaft weiter spalten. Ein Risiko für eine Spaltung ist eine ungleichmäßige Verteilung des Wohlstandes, indem die sozial und wirtschaftlich Schwächeren jetzt auch noch den größeren Preis für die ganze Situation zahlen. Man muss intervenieren, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu fördern.

Die Wirtschaft argumentiert in der Lohn-Debatte, dass auch die Betriebe die großen Kostensteigerungen bei Energie und Rohstoffen spüren…

Das ist auch verständlich – natürlich sind die höheren Kosten eine Zusatzbelastung. Andererseits können die Betriebe ihre Kosten an die Verbraucher weitergeben. Die einzige Ware der Arbeitnehmer hingegen ist ihre eigene Arbeitskraft. Warum soll die Steigerung der Kosten dahin münden, dass für die Arbeitskraft auf einmal real weniger gezahlt wird? Wir leben in Zeiten eines allgemeinen Fachkräftemangels, insofern ist der Arbeitnehmer heute in der glücklichen Situation, eine relativ starke Verhandlungsposition zu haben.

Das heißt?

Unternehmen, die ihre Mitarbeiter halten möchten oder attraktiv für zusätzliche Arbeitskräfte sein wollen, werden den Lohnforderungen zu einem guten Teil entgegenkommen, wenn sie vernünftig sind. Sonst gehen sie das Risiko ein, Personal zu verlieren. Der Fachkräftemangel spielt den Arbeitnehmern momentan in die Hände.

Sehen Sie also gute Voraussetzungen, dass sich das Lohnniveau in Südtirol erhöht?

Wenn der Erholungskurs in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt anhält, dann ja. Allerdings könnte der Krieg vor der Haustür total eskalieren und die Wirtschaftsprognosen über Bord werfen. Die starke Verhandlungsposition der Arbeitnehmer gilt so lange, wie der Konflikt auf die Ukraine begrenzt bleibt. Wenn er sich auf andere Länder ausweiten würde, wären die Prioritäten ganz andere als über Lohnerhöhungen zu reden.

Ein Argument, das gegen Lohnerhöhungen ins Feld geführt wird, ist die Lohn-Preis-Spirale – also dass die Inflation bei steigenden Löhnen noch weiter anzieht. Wie sehen Sie das?

Sicher ist die Lohn-Preis-Spirale eine Gefahr. Sie wird aber nur losgetreten, wenn es eine Endlosschleife gibt: Betriebe erhöhen die Verkaufspreise, Arbeitnehmer fordern Lohnerhöhungen, Betriebe reagieren wieder mit höheren Preisen, usw. Die Schuld an der Lohn-Preis-Spirale darf also nicht nur auf die Arbeitnehmer abgewälzt werden. Wenn die Produzenten die Preise nicht erhöhen, gibt es auch keine Spirale.

Sehen Sie eine Angleichung der Löhne an die Inflation somit als konkrete Gefahr oder wird das überbewertet?

Es ist jetzt sicher ein ungünstiger Zeitpunkt, angesichts des Krieges Lohnerhöhungen ins Spiel zu bringen. Aber wann ist dann ein günstiger Zeitpunkt? Die Arbeitgeber fürchten das Wort Lohnerhöhungen wie der Teufel das Weihwasser. Wir als AFI sagen seit vielen Jahren, man müsste die Löhne an die höheren Lebenshaltungskosten in Südtirol anpassen. Aber von der Wirtschaft gab es auch in guten Zeiten immer eine Abfuhr, wenn man mit diesen Argumenten kam. Die richtige Zeit für Lohnerhöhungen wäre somit nie. Aber das geht auch nicht. Die Lohn-Preis-Spirale ist ein Prozess, in dem steigende Produktionskosten in steigende Verbraucherpreise münden, die wiederum in Lohnforderungen münden. Aber für diesen Prozess dürfen nicht ausschließlich die Arbeitnehmer verantwortlich gemacht werden. Denn es ist ein Gemeinschaftsprozess, bei dem Unternehmen, Arbeitnehmer und die öffentliche Hand verantwortlich sind durch Preispolitik, Lohnpolitik und Steuerpolitik. Man könnte auch den Unternehmen sagen, sie sollen die Preise nicht erhöhen – dann würde es auch nicht zu Lohnforderungen kommen.

Interview: Heinrich Schwarz

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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