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„Verzicht ist unverzichtbar“

Stephan Keim: Es geht uns darum, das Entbehrliche von dem zu unterscheiden, was wirklich wichtig ist.

Der Sterzinger Stephan Keim ist seit der Gründung Aktivist der Initiativgruppe Regala Zukunft, die sich für Klimaschutz und andere gesellschaftliche Themen einsetzt. Unter dem Motto „Weniger ist Mehr“ ruft sie zum Fasten für das Klima auf.

Tageszeitung: Herr Keim, am heutigen Aschermittwoch beginnt die 40-tägige Fastenzeit. Streuen Sie sich Asche auf das Haupt?

Stephan Keim: Um Frömmigkeit zu beweisen? Nein, das tu ich nicht. Und wie viele wissen eigentlich überhaupt noch, was die Asche bedeutet? Trauer, Buße und Neuanfang. Unsere Kultur scheint so weit entfernt davon, Trauer und Buße etwas Gutes abgewinnen zu können. Vielleicht raubt uns das spirituelle Tiefe, die wir eigentlich bräuchten, denke ich. Jedenfalls, einen Neuanfang, den brauchen wir ganz bestimmt.

Vor nicht allzulanger Zeit haben zumindest gläubige Menschen jeden Freitag und zur Fastenzeit sowieso gefastet. War im Rückblick keine schlechte Idee, oder?
Keine schlechte Idee, nein, und generell war die Lebensweise der Generation meiner Großeltern, man könnte fast sagen, unserer Zeit voraus. Viel weniger verschwenderisch waren sie. Die Umstände waren damals schwierig und sind heute schwierig. Damals gab es kaum etwas und man musste aus weniger mehr machen, heute gibt´s viel zu viel und es ist daher wichtig zu verstehen: weniger ist mehr! Ich jedenfalls möchte durch die Übung des Verzichts vor allem meine Wahrnehmung fördern, das schätzen, was ich habe, und meine Willenskraft stärken. Und das auch nach der Fastenzeit beibehalten, das ist schon das Ziel.

Fasten ist für die meisten kein frommes Gebot mehr, sondern eine Frage des Lifestyles. Gefastet, entschlackt und entgiftet wird für die Bikinifigur. Die Initiativgruppe Regala-Zukunft schlägt vor, für das Klima statt für die Figur zu fasten. Glauben Sie, das ist das bessere Argument für den Verzicht?

In erster Linie geht es uns ums Klima, aber wie wir auf unserer Webseite auch aufzeigen, kann das oft auch den tollen Nebeneffekt haben, unserer Gesundheit zuträglich zu sein. Also uns ist es wichtig, dass wir uns ernsthaft der Klimakrise stellen, und da gehört nun mal ein Umdenken und eine Änderung unserer Gewohnheiten dazu. Das reicht nicht aus, aber es ist Teil des Ganzen.

Seit der Corona-Krise haben viele das Gefühl, in einer Art Endlos-Fastenzeit zu leben. Was braucht es da noch eine zusätzliche Fastenzeit?

Während der harten Lockdowns in der Corona-Krise mussten wir auf vieles verzichten, das fiel uns allen schwer. Auf soziale Nähe, zusammen sein mit unseren liebsten Freunden und Familienmitgliedern. Das hat nichts mit dem Verzicht zu tun, um den es uns geht, im Gegenteil. Wir wissen doch inzwischen, dass auch die Massentierhaltung weitere Pandemien wahrscheinlicher macht. Fleischverzicht hilft auch dem vorzubeugen, nicht nur bei der Bekämpfung des Klimawandels. Es geht uns darum, das Entbehrliche von dem zu unterscheiden, was wirklich wichtig ist. Was ist unverzichtbar und was verzichtbar. Unsere Kampagne ruft zum Selbstexperiment auf.

Das Dilemma lautet immer gleich: Was bringt es dem Klima, wenn ich in der Fastenzeit kein Schnitzel und keine Schokolade mehr esse, und gleichzeitig weiterhin Kohlekraftwerke gebaut werden?

Das sehe ich anders, das ist kein Dilemma. Der individuelle Konsum ist nun mal Teil des Ganzen in einer Gesellschaft wie der europäischen. Das Kohlekraftwerk ist doch auch gerade für unseren Konsum notwendig, gewissermaßen. Um zukunftstauglich zu werden, brauchen wir einen kulturellen Wandel hin zu einem Lebensstil, der wesentlich weniger Energie braucht. Es braucht die Vorreiter, die diesen neuen Lebensstil ausprobieren, damit die Politik die Maßnahmen tragen kann. Das ist alles ineinander verzahnt. Wir müssen unseren Lebensstil ändern und den Druck auf die Politik erhöhen, dass sie Kohlekraftwerke abschaltet. Das heißt nicht absoluter Verzicht, aber das heißt eben doch vernünftiger Umgang mit unseren Ressourcen, die endlich sind.

Auf der Webseite von Regala-Zukunft sind einige Fastenoptionen aufgelistet. Angenommen, ich lasse das Auto 40 Tage stehen.  Wieviel CO2-Emissionen vermeide ich damit?

Etwa 143 kg CO2. Das ist natürlich ein Durchschnittswert bezogen auf die Fahrgewohnheiten der Südtiroler und da gehen wir nicht von SUVs aus, da wäre die Zahl wohl noch höher. Jedenfalls ist der Verzicht auf das Auto ein wichtiger Punkt, unter unseren Fastenoptionen, gleich neben der veganen Ernährung. Das scheint auch naheliegend denn der Verkehr ist in Südtirol der größte Klimasünder.

Was bringen 40 Tage Kaffeeverzicht?

10 kg CO2 wird da eingespart, diese Option bildet das Schlusslicht und fällt zugegeben nicht stark ins Gewicht. Ist auch davon abhängig, wie sie ihren Kaffee zubereiten. Kapselkaffee ist dabei wohl die schlechteste Wahl. Aber es geht uns auch um mehr, weil in den Informationsboxen, die wir zu jeder Fastenoption zusammengestellt haben, findet man weitere Anlässe nachzudenken. Zum Beispiel empfehlen wir den Kaffee aus den Weltläden, der meist von Kleinbauern stammt und nicht von großen Monokulturen, die viel Kunstdünger und Pestizide brauchen und so der Biodiversität schaden.

Was bringt es, wenn ich 40 Tage auf Wein und Bier verzichte?

22 kg CO2, auch nicht besonders viel, aber mit dieser Fastenoption findet man hier bei uns gut Anschluss. Traditionell verzichtet der Südtiroler auf Alkohol in der Fastenzeit und so hatten wir auch letztes Jahr schon bemerkt, dass die meisten Teilnehmer diese Option wählen. Wir waren übrigens dann auch selbst überrascht, als wir die Zahlen recherchierten. Wollen wir uns dadurch den Genuß am Alkohol vermiesen? Nein, ein Gläschen Wein ab und an, sagt doch keiner, dass man dem entsagen soll. Wie immer geht es um die Dosis, um den Massenkonsum.

Netflix-Filme anschauen ist ganz schön schädlich für das Klima. Was bringt es, wenn ich darauf verzichte?

32 kg CO2. Ja, da waren wir auch überrascht. Diese ganze digitale Infrastruktur braucht schlicht Energie. Und auch da gilt: was brauchen wir wirklich und worauf können wir verzichten?

Regala-Zukunft ruft die politischen Vertreter:innen auf, bei der Fastenkampagne mitzumachen. Wie vorbildlich sind unsere Volksvertreter?

Das letzte Mal als ich nachgeschaut hatte waren 4 Landtagsabgeordnete angemeldet auf unserer Webseite, zwei Grüne und zwei vom Team K. Das lässt schon noch zu wünschen übrig, ganz so wie die Landespolitik zur Bekämpfung der Klimakrise. Man muss sich ja nur das Debakel rund um den Klimaplan anschauen. Das Bündnis Climate Action Southtyrol, dem wir als Gruppe auch angehören, hat ja darauf aufmerksam gemacht, dass es da noch unglaublich viel Luft nach oben gibt. Die Landesregierung ist aber sehr fleißig, uns Bürgern zu sagen, dass wir mehr und besser recyceln müssen.

279 Menschen hat Regala-Zukunft im vergangenen Jahr zum Klimafasten bewegt, heuer sollen es 1.000 oder mehr werden. Optimistisch, dass das zu schaffen ist?

Wir sind dran und bemüht, dass wir der Zahl möglichst nahe kommen und hoffentlich überschreiten. Dieses Jahre haben wir neben Mava Seggo noch Verstärkung von zwei weiteren Gruppen, nämlich den Fridays for Future und 1kHopes. Zudem sind wir Teil der Kampagne, die das Forum Prävention jedes Jahr zur Fastenzeit organisiert, der Aktion Verzicht die dieses Jahr das Motto Unverzichtbar hat. Wir finden, Verzicht ist unverzichtbar in einer Hyperkonsumgesellschaft. Jede einzelne Person, die entdeckt, dass sie mit weniger schlussendlich glücklicher ist; wenn unsere Kampagne einen Beitrag leistet, ist das ein Geschenk, da ist die Zahl dann auch nicht so wichtig.

Interview: Heinrich Schwazer

Zur Person

Stephan Keim wurde 1984 in Sterzing geboren und ist dort aufgewachsen.  Abgeschlossenes Studium zum Diplompfleger 2011, verheiratet mit seiner liebevollen Frau Anna, zwei einzigartige Söhne. Seit der Stunde Null Mitglied von Regala Zukunft.

Klimafasten

Die Initiativgruppen Regala Zukunft und Mava Seggo halten auch dieses Jahr ihre Fastenkampagne unter dem Motto „Weniger ist Mehr“ ab. Zudem haben sich Fridays for Future Southtyrol und 1kHopes der Kampagne angeschlossen! Auf der Webseite www.regalazukunft.info kann man sich registrieren und mitmachen.

 

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