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Wut und Hilflosigkeit

„Gletschernetze“ am Hochjochferner mit Similaun (Fotos: Daniela Brugger)

Die Fotografin Daniela Brugger lebt und arbeitet in ihrem Heimatort Karthaus in Schnals. Eines ihrer Themen ist der Rückgang der Gletscher, den sie mit eindrücklichen Bildern dokumentiert. Zu sehen sind ihre Fotos in der Cusanus Akademie.

Tageszeitung: Frau Brugger, hat die Gletscherwelt  Sie zur Fotografin gemacht?

Daniela Brugger: Nein, aber gegen Ende meiner Ausbildung zur Fotografin an der Prager Fotoschule habe ich dieses Thema aufgegriffen, das mich schon ein Leben lang begleitet.

Die Gletscher schmelzen rapide dahin. Im Grunde dokumentieren Sie mit Ihren Bildern einen Sterbensprozess, oder?

Ich habe als Kind und Jugendliche viel Zeit auf den Schnalser Schutzhütten verbracht und „der Gletscher“ war dort immer ein Thema in den Gesprächen der Hüttenleute mit den Bergführern und deren Gästen. Heute ist das Eis weit zurückgewichen und in Agonie verfallen.

Daniela Brugger: Der Blick auf die sterbenden Gletscher macht traurig. (Foto: Hedy Neuerer)

Als Schnalserin haben Sie vermutlich eine emotionale Verbindung zur erhabenen Schönheit der Gletscher. Macht Sie deren Wegschmelzen wütend, zornig, traurig, melancholisch?

Der Blick auf die sterbenden Gletscher macht traurig. Der Gedanke an die Ursachen und daran, dass diesen nicht Einhalt geboten wird, verursacht ein Gefühl von Wut und Hilflosigkeit. Melancholie hätte nur dann Platz, wenn dieses Verschwinden naturgegeben wäre.

Haben Sie schon ein Bild vor Augen, wie der Schnalser Gletscher in 30 Jahren aussieht?

Die Wissenschaft zeigt ein klares Bild, dass die Gletscher in unseren Bergen bis auf sehr kleine Reste verschwinden werden. Daran würde auch ein Stopp des Klimawandels nichts mehr ändern.

Rein fotografisch – was ist das Faszinierende an Gletschern?

Das ist natürlich die rein ästhetische Schönheit der Formen und Strukturen, die auch in Farbaufnahmen von Schwarz/Weiß dominierend sind. Sterbende Gletscher ähneln den zerfurchten Gesichtern sehr alter Menschen. Es ist herausfordernd, sie in ihrer Würde darzustellen.

Ihr erstes Gletscherprojekt waren die Gletschernetze. Erklären Sie uns, worin dieses Projekt bestand?

In den vernähten Bildern der „Gletschernetze“ hat sich mir eine Möglichkeit eröffnet, den Gletscherschwund in seiner dreidimensionalen Ausprägung zu zeigen.

Verschwindende Gletscher sind ein dramatischer Beweis für den Klimawandel. Wollen Sie mit Ihren Bildern auch aufrütteln?

Ja, durchaus. Aber nicht über die bildliche Wiedergabe der wissenschaftlich messbaren Veränderungen, sondern über die Ästhetik, die die Gletscher auch noch in ihrem Verschwinden bewahren, das wir mutwillig betreiben.

In einer Fotoserie befassen Sie sich auch mit dem vom Skitourismus brutal ausgebeuteten Gletscher. Was fühlen Sie angesichts solcher Bilder? Machtlosigkeit?

Mir geht es dabei nicht um eine unmittelbare Kritik am touristischen Benutzen der Landschaft oder der Gletscher, aber es ist der Versuch, die Verbindung zwischen dem Verschwinden der Gletscher als drastischem Zeugnis des Klimawandels und dem menschlichen Tun im Allgemeinen als Ursache dafür anzudeuten. Das hat dann nicht unbedingt mit dem Gefühl von Machtlosigkeit zu tun. Bilder können im Gegenteil auf ihre Art mächtig sein.

Es gibt ein wunderbares Foto von Ihnen, auf denen sich zwei ältere, nackte Frauen im Regen umarmen. Wo und wie ist dieses Foto entstanden?

Das Bild ist nach einem Fotoshooting entstanden, in dem es um Aktfotographie ging. Als die geplanten Fotos „im Kasten“ waren, haben sich die beiden Frauen völlig entspannt und ausgelassen unter einem Beregner umarmt. Ich hatte die Kamera noch nicht weggepackt.

Interview: Heinrich Schwazer

Zur Person

Daniela Brugger, 1967 geboren,  lebt und arbeitet in Karthaus. Ausbildung als Fotografin mit Diplom PFSÖ.  Beteiligung an Ausstellungen: „Für immer jung“ Musiktheater Linz (2017); „Gletschernetze“ Tabakfabrik Linz (2019); „Weibsbilder“ Traismauer; „Das Tal – La Valle“ Kunst in der Kartause; „Gehäuse“ Ausgang 24  (2021) Rom

Gletscher – Zeugen des Klimawandels

Die Klimaforschung zeichnet bei weiter ansteigenden Temperaturen das mögliche Bild eines „Hothouse Earth“, jenseits der seit Jahrmillionen laufenden Zyklen zwischen Eiszeit und Warmzeit hinaus. Die genauen Folgen sind noch nicht absehbar. Die Prozesse werden unumkehrbar und die Welt eine völlig andere sein, betonen Wissenschaftler/innen.  Noch aber könne diese für den Menschen existenzbedrohliche Klimakatastrophe verhindert werden. Eine sichtbare Konsequenz der fortschreitenden Erderwärmung ist das Schrumpfen der Gletscher.

Der Glaziologe Georg Kaser: „Eine dramatische Reduktion von Treibhausgasen ist notwendig.“ (Foto: Daniela Brugger)

Der Glaziologe Georg Kaser und der Alpinist Robert Renzlerreferieren bei der Ausstellungseröffnung von „Gletscher – Zeugen des Klimawandels“. Auf die Frage, was es brauche, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, antwortet Georg Kaser: „Eine dramatische Reduktion von Treibhausgasen, um in den kommenden neun Jahren global wenigstens minus 50 % zu erreichen und bis allerspätestens 2050 auf Null zu kommen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass +1,5°C ein riskanter Schwellenwert hin zur Destabilisierung des Klimasystems ist und ein Leben in einer +1,5°C-Welt bereits sehr schwierig und kostspielig zu bewältigen sein wird.“ Grundsätzlich sei ein sehr schneller und grundlegender Umbau von Markt, Wirtschaft und Gesellschaft notwendig.

Termin: Eröffnung am 3. März um 19.30 Uhr in der Cusanus Akademie Brixen. Es sprechen der Glaziologe Georg Kaser und der Philosoph Robert Renzler. Die Fotoausstellung bleibt bis 1. April im Foyer der Cusanus-Akademie zu den Öffnungszeiten zugänglich.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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