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„Aber du bist doch meine Mama“

Foto: lpa/pixabay

Die fünf Frauen aus dem Tauferer Ahrntal, die in ihrem religiösen Fanatismus zwei Kinder psychisch und physisch misshandelt haben, müssen im Gefängnis bleiben. Die Richter sprechen jetzt sogar von „Folter“.

von Artur Oberhofer

 

Für die Richter steht fest: Von den Beschuldigten gehe aufgrund der „extremen Schwere des Sachverhalts sowie aus dem Fehlen jeglicher Reue eine sehr große soziale Gefährlichkeit“ aus.

Aus diesem Grund hat das Überprüfungsgericht am Landesgericht Bozen unter Vorsitz von Richter Stefan Tappeiner (Beirichter Walter Pelino und Ivan Perathoner) die Haftbeschwerde der Verteidiger der fünf Frauen aus dem Tauferer Ahrntal abgewiesen und verfügt, dass sie weiterhin in Haft bleiben müssen.

Die fünf Frauen sitzen seit Mitte Dezember vergangenen Jahres im Knast.

Eine Lockerung der Vorsichtsmaßnahme und die Gewährung von Hausarrest, so heißt es in der richterlichen Verfügung, würden es den Verdächtigen ermöglichen, „ihre Aktivitäten im Geheimen fortzusetzen“, so die Richter.

Die sechs Seiten starke richterliche Verfügung ist ein erschütterndes Dokument. Die Richter verwenden sogar den Begriff „Folter“.

Ein Auszug aus der richterlichen Verfügung:

Unter dem Einfluss eines religiösen Fanatismus, der trotz des Namens der Sekte (Neuchristen), der sie angehören, nur sehr wenig Christliches hat (…), folterten sie mehrere Wochen lang die Kinder (die im Volksschul – bzw. im Mittelschulalter sind, Anm. d. R.), die schuldig waren, ,Sünden‘ begangen zu haben, die nur in der abartigen Phantasie der fünf Verdächtigen existierten.

Am beunruhigendsten ist, dass neben der Großmutter und der Tante auch die Mutter der beiden Kinder zur Gruppe der Folterer gehörte, die völlig von Fanatismus besessen war und sich wie die anderen der Schwere ihrer Taten nicht bewusst war, bis hin zur Leugnung dessen, was aus den Abhörungen in der Wohnung hervorging.

Obwohl die fünf Frauen, gegen die ermittelt wird, zwei verschiedenen Familien angehörten, bildeten sie eine Art klösterliche Gemeinschaft, in der die beiden Kinder gegen ihren Willen gezwungen wurden, sich den Ritualen und Gebeten zu unterziehen, die ständig aufeinander folgten. Aber das ist, wie wir sehen werden, noch das Geringste.“

In der Folge listen die Richter eine ganze Reihe von Episoden physischer und psychischer Gewalt auf, denen die armen Kinder ausgesetzt waren. Die Kinder seien von den fünf Frauen in eine „religiös-fanatische Spirale“ hineingezogen und regelrecht „gequält“ worden.

Die Kinder hätten „im Wesentlichen keine Schulbildung genossen“ und seien in ihrer spielerischen Entfaltung durch die Zeit, die sie dem Gebet widmen mussten, stark eingeschränkt waren.

Auslöser der Exzesse, die schlussendlich zur Verhaftung der fünf Frauen geführt haben, war die Ankündigung des Anführers der Sekte, Nikolaus Schneider, der sich Schwert-Bischof nennt und sich mit dem Erzengel Michael vergleicht, der – so die Richter – „für den 8. Dezember 2021 die Ankunft des Teufels ankündigte“.

So schreiben die Richter: 

„Zwei der fünf Frauen haben es sich zur Aufgabe gemacht, bewaffnet mit magischen Gegenständen – kostbares Blut, ein Schwert und Asche –, außergewöhnliche nächtliche Rituale an vier Grenzen der Provinz Bozen und in deren Zentrum, der Villanderer Alm, zu zelebrieren, um das Eingreifen des Erzengels Michael zu erflehen, der eine schützende Kuppel über Südtirol errichten sollte. In diesem apokalyptischen Kontext, der durch die törichten Äußerungen von Nikolaus Schneider und das Klima des extremen Fanatismus, in dem diese kleine Gemeinde (…)  lebte, hervorgerufen wurde, war es notwendig, am schicksalhaften Datum des 8. Dezember reinen Herzens zu erscheinen und die Kinder (…)  von ihren Sünden zu reinigen.“

Da eines der beiden Kinder beim Anblick eines Handys den Wunsch geäußert hatte, ein solches zu besitzen, und auch Videospiele spielen wollte, wurde es tagelangen und nächtelangen Sühne-Ritualen unterzogen, in denen jegliche psychische Widerstandskraft des Kindes, dem von den fünf Frauen ständig mit dem Eintritt in die Hölle gedroht wurde, ausgelöscht wurde, so die Richter.

Diese Tatsachen, die zu Schlafentzug und sogar zum Entzug von Essen und Trinken über einen Zeitraum geführt hätten, seien vorläufig als Misshandlung eingestuft worden, müssten aber – so die Richter – „zweifellos unter dem schwereren Straftatbestand der Folter neu eingestuft werden, wenn festgestellt wird, was sehr wahrscheinlich ist, dass das Kind ein psychisches Trauma erlitten hat“.

Als eines der beiden Kinder den Wunsch äußerte, PlayStation spielen zu wollen, wurde – wie es in der Verfügung heißt – „eine nicht enden wollende Prozedur, sprich Folter, eingeleitet, um das Kind von der dämonischen Versuchung zu befreien“.

Ein weiterer Auszug aus der Verfügung, die gleichwohl erschreckende wie abstoßende Details enthält:

„Das schlafende Kind (es war nach 22.00 Uhr) wird geweckt und verängstigt vor das übliche ,Inquisitionsgericht‘ gebracht, und die Mutter droht ihm persönlich, es im Keller schlafen zu lassen oder es zu seinem Vater zurückzubringen (eine Figur, die von der Mutter auch durch falsche Anschuldigungen dämonisiert wurde). Tante (…) sorgt dafür, dass das Kind vor dem Kruzifix auf dem Boden kniet. In der Zwischenzeit ist auch (… eine weitere der beschuldigten Frauen) eingetroffen und macht sich daran, das Kind mit religiösen Fragen zu verhören, die es nicht einmal versteht, und geht sogar so weit, es an den Armen zu packen, während seine Tante sie anschreit, dass der Teufel kommen und es holen wird, wenn es mit dem Computer spielt. Das Kind wird von Visionen des Teufels und der Hölle gequält.

Das geht über eine Stunde so weiter, bis das Kind selbst anfängt, über den Teufel zu reden, der die Welt beherrschen will. Die Tante (…) fordert das Kind auf, zu verraten, wie der Teufel ihn dazu anstiftet, seine Familie zu zerstören, und da (… das Kind) das nicht versteht, steht (… eine der Frauen) mit erhobener Faust auf und droht dem Kind mit Schlägen, wenn es nicht die Wahrheit sagt. Das Kind sagt den Folterern, was sie hören wollen. Eine der beschuldigten Frauen schreit das Kind immer wieder an und ohrfeigt es (…). Nach Mitternacht quälen die Großmutter, die Mutter und die Tante das Kind weiter mit der Drohung, es in ein Waisenhaus zu stecken.

Das Kind ist erschöpft und weint. Um 00:47 Uhr wird eine weitere Strafe verhängt: Eine der Frauen befiehlt dem Kind, einen Stein nach dem anderen aus dem Gemälde zu entfernen, das eine der fünf Frauen gemalt hat, und Tante (…), in ihrer Rolle als Assistentin der ,Priesterin‘ fügt hinzu, dass das Kind dies auf den Knien tun muss.

Das Kind muss auch eine religiöse Litanei singen, und erst um 02.00 Uhr morgens darf es schlafen gehen.“

Am nächsten Morgen gegen 10:00 Uhr trifft die „Priesterin“ ein und setzt die psychologische Folter fort, indem sie dem Kind erzählt, dass es fast in der Hölle sei und eine schwarze Seele habe. Um 11:20 Uhr wird das Kind nach verschiedenen esoterischen Ritualen erneut von der Gruppe verhört.

Um 19.17 Uhr bittet das Kind um die Erlaubnis, schlafen gehen zu dürfen, was ihm jedoch verweigert wird, weil es das Bestrafungsritual fortsetzen muss. Das Kind ist erschöpft und weint mehrmals, wird aber gezwungen, an den Ritualen der Gruppe teilzunehmen, so die Richter.

Um 20.46 Uhr stiftet (eine der Frauen) das Kind an, Schokolade zu essen, und droht Kind, wenn es sich erbricht, werde es gezwungen, das Erbrochene zu essen. Dann ist die Mutter an der Reihe, die dem Kind eine halbe Stunde später mit Süßigkeiten und Kaugummi provoziert, um die Integrität seiner Seele zu testen, bis das Kind ausruft: „Aber du bist doch meine Mama„.

Trotz der Entmutigung des Kindes, das sich von seiner eigenen Mutter verraten fühlte, wurde die psychologische Folter stundenlang in der Nacht fortgesetzt, so die Richter. Auch am nächsten und am übernächsten Tag.

Auch die Richter sind entsetzt über die Vorfälle innerhalb dieser „klösterlichen Gemeinschaft“. Was in der Verfügung geschildert wird, so die Richter, sei „nur eine kleine Zusammenfassung der Qualen, denen die Kinder ausgesetzt waren“. Die Richter sprechen von einem „magisch-religiösen Fanatismus“.

Die Gefahr einer Wiederholung des Verbrechens, die diesem irrationalen Fanatismus innewohne, sei ganz klar, so die Richter.

Auf der Grundlage dieser erschütternden Details wird nun auch verständlich, warum die Richter einer Enthaftung der fünf Frauen nicht zugestimmt haben.

„Die Tatsache, dass die Kinder an einen anderen Ort gebracht wurden, beseitigt keineswegs die Gefahr, dass sich ein ähnliches Verhalten gegenüber anderen schwachen Personen wiederholen könnte“, so die Richter.

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (18)

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  • olle3xgscheid

    Sprachlos………und traurig!

  • olle3xgscheid

    Fragt sich wue ein Kind dss jemals wieder rauskriegt, niemals das ist sicher.
    Die Frauen solten ebenso lange weggeserrt werden!!!

  • nadine06

    Gibt es auch Männer oder haben die Oma und Mutter vom Heiligen Geist empfamgen ? Wahrscheinlich war die Zeugung etwas sehr Schlimmes und die Sünde enorm . Deshalb haben die Männer das Weite gesucht . Die Aussage : Beten hilft zwar nicht , ist aber nicht schädlich , trifft in diesem traurigen Fall nicht zu .

  • nochasupergscheiter

    Sich hier eine meinung zu bilden lässt man lieber…
    Man müsste die wahren Hintergründe hinterfragen, und auch die wahren Täter und Opfer herausfiltern…
    Ganz pauschal zu sagen wer von den Frauen durchgedreht hat ist sicher nicht einfach, und zu erwägen welche Faktoren noch eine Rolle gespielt haben….

    Wenn wir in Richtung vielfach verurteiltes Schweden blicken, das eine geringere Übersterblichkeit als Italien und Deutschland und Österreich hat, kann man auch sagen man hätte die armen Kinder in die Schule gehen, und den Frauen wahrscheinlich nicht den Verdienst rauben sollen…

    Die sozialen Unzulänglichkeiten der ganzen coronamassnahmen finden ihren Höhepunkt eben auf Ebenen, wo vor allem die ärmsten und kleinsten Mitglieder unserer Gesellschaft auf der Strecke bleiben..
    Von gewissen als Opamörder tituliert, was sie klar nicht waren, wurden sie und ihre Leiden von den sozial zuständigen und der Gesellschaft vergessen…

    Arme Kinder, Schande über uns Erwachsene allesamt… Auch heute noch mehr denn je… Wir haben sie nicht verteidigt und beschützt sondern ausgegrenzt und mit hineingeholt in die abwartsspirale, ja das Gehirn gewaschen…. Und ganz viel schuld haben auch die Medien… Arme Kinder sage ich nur, diese besonders und alle anderen auch…
    Unsere Gesellschaft wird das alles nicht mehr gutmachen können glaubt mir

    • andreas

      Sorry, aber von was schreibst du eigentlich?

      Die Frauen waren offensichtlich in einem religösen Wahn und haben die eigenen Kinder und Enkel dafür gequält.
      Schaden haben wohl diejenigen Kinder davongetragen, wo die Eltern schon nicht ganz sauber sind und Jurten bauen oder Freiheit klatschen.
      Die Gesetze lassen es aber leider nicht zu, denen das Sorgerecht zu entziehen.

      Das Problem der heutigen Gesellschaft ist wohl eher, dass man Trottel nicht mehr als das bezeichnen darf, was sie eigentlich sind, nämlich Trottel, sondern dass sie als Andersdenkende betitel werden möchten.

  • robby

    @nochasupergscheiter du bist auch ein Armer. Auch ein ganz armer im Geiste.

  • nochasupergscheiter

    Lieber Andreas, du immerbereiter Kommentator, das Problem ist eher dass Leute die nichts wissen wie z. B. Du, über andere herziehen und sie sofort so betiteln wie du es eben machst… Darf ich hier deshalb nochmals Henrik m broder zitieren..
    Wenn ihr euch fragt, wie das damals passieren konnte: weil sie damals so waren, wie ihr heute seid.“
    Das Zitat geht an dich und auch robby zum Nachdenken, ihr könnt ihn z. B. beide nicht als irgendwas blödes titulieren ohne selbst blöd dazustehen…

  • logo

    Schon lustig. Wenn Albaner auf Einheimische mit Baseballschlägern und Eisenstangen grundlos eindreschen, bekommen sie Hausarrest, den sie ja eh nicht einhalten.
    Und hier ? ….
    Komisch diese überfürsorgliche Haltung der Justiz … oder ?

  • nochasupergscheiter

    Lieber logo, das kommt wohl alles auf den Anwalt an, ists ein pflichtverteidiger gibt’s halt nicht innerhalb kurzer Zeit 5 Gutachten dass man z.b eigentlich nicht zurechnungsfähig ist… Obwohl man jemand unter die Erde gebracht hat… Da gibt’s halt überhaupt keine gscheide Verteidigung, unabhängig jetzt mal davon ob man schuld an was hat oder nicht…

  • nochasupergscheiter

    Ah und PS, dem Immigranten kannst nichts nehmen, dem einheimischen meistens doch seine mit lebenslanger Arbeit und Entbehrungen erstandene Immobilie pfänden

  • zeit

    a frau und a goas isch is schlimmste wos i woas
    i glab des stimmt a

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