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Dorfmanns Geheimnis

Nachdem der Europaparlamentarier Herbert Dorfmann (heimlich) gegen strengere Regeln beim Tiertransport gestimmt hat, sagt jetzt Senatorin Julia Unterberger den „Agrarlobbyisten“ den Kampf an.

von Matthias Kofler

In der Brust der SVP schlagen zwei Herzen: die der Tierschützer, vertreten durch Senatorin Julia Unterberger, und die der Jäger und Agrarbetriebe, deren Fürsprecher der Europarlamentarier Herbert Dorfmann ist. Deutlich wird dieses Dilemma am Streit zu den Tiertransporten, der die Edelweißpartei spaltet.

Die Vorgeschichte: Im Juni 2020 hat das Europaparlament einen Untersuchungsausschuss zum Schutz von Tieren beim Transport eingesetzt. Der im Dezember 2021 vorgelegte Schlussbericht bestätigt schwerwiegende Verstöße gegen das EU-Recht und gravierende Missstände bei Tiertransporten inner- und außerhalb der EU. Eine eigene Studie des Ausschusses zeigt die katastrophalen Zustände bei Schiffstransporten, besonders beim Export in EU-Drittländer. Die Liste der am häufigsten dokumentierten Verstöße ist lang. Die Tiertransportverordnung (EG) 1/2005 wird nur mangelhaft umgesetzt, die Umsetzung nur unzureichend kontrolliert. Der Bericht kommt darüber hinaus zum Schluss, dass die über 15 Jahre alte Verordnung den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen über Physiologie und Bedürfnisse der Tiere nicht mehr entspricht.

Auf dieser Basis haben die Ausschussmitglieder, unter ihnen der Südtiroler EU-Parlamentarier Dorfmann, Anfang Dezember 2021 Empfehlungen zur Reduktion von Tiertransporten und zum besseren Schutz der Tiere beim Transport erarbeitet. Der Moraltheologe Martin M. Lintner bezeichnet das Ergebnis als „durchwachsenen Kompromiss zu Lasten des Tierschutzes und zugunsten der Tiertransporte“. In den Empfehlungen seien zwar einige wichtige Maßnahmen vorgeschlagen worden, das Glas sei aber „nicht halb voll, sondern dreiviertel leer und maximal viertelvoll“, so Lintner.

Brisant: Wie aus den Sitzungsprotokollen hervorgeht, war es der SVP-Vertreter Dorfmann, der im Ausschuss gegen eine Reihe von Verschärfungen gestimmt hat: gegen eine Begrenzung aller Lebendtransporte auf acht Stunden sowie gegen ein Verbot des Transports von Tieren in den ersten fünf Wochen und von trächtigen Tieren im letzten Drittel der Trächtigkeit. Die Verschärfungen wurden – auch wegen der Gegenstimme Dorfmanns – knapp abgelehnt. Der Eisacktaler SVP-Bezirksobmann versuchte stattdessen, den Text aufzuweichen, scheiterte damit aber in der Kommission. So forderte er, dass es Gesetzesbrüche nur bei ein paar wenigen schwarzen Schafen geben soll. Schließlich seien Tiertransporte wichtig für die wirtschaftliche und soziale Stabilität ruraler Gebiete. Dorfmann wollte zudem erreichen, dass Gesetze nur dann erlassen werden können, wenn zuvor eine Kostenanalyse gemacht wurde. Auch dieser Vorschlag fand keine Mehrheit.

Der in die Defensive geratene Europaparlamentarier spricht von einem „Kompromiss zwischen dem Recht der Tiere, ordentlich transportiert zu werden, und den Interessen der Tierzüchter und Transporteure“. Darüber kann der Moraltheologe Lintner nur den Kopf schütteln: „Trotz des desaströsen Berichts des Ausschusses stellt sich Dorfmann vor die ,seriösen Transporteure, die immer noch die große Mehrheit’ seien. Er verteidigt sich mit einer ,engen Abstimmung mit den zuständigen Behörden in Südtirol’ und verweist auf die vom EU-Parlament am 20. Januar 2022 angenommenen Empfehlungen an die EU-Kommission.“ Viele der dort enthaltenen Maßnahmen zielten in der Tat auf eine effektive Verbesserung des Schutzes von Tieren beim Transport. Insgesamt würden die Empfehlungen ihrem eigenen Anspruch, dem Tierwohl oberste Priorität einzuräumen, jedoch nur bedingt gerecht, kritisiert Lintner. „Bleibt zu hoffen, dass die EU-Kommission über sie hinausgehen wird. Denn es geht um das Schicksal von Milliarden Tieren.“

Während Dorfmann im EU-Parlament gegen die Verbesserung der Tiere beim Transport gestimmt hat, hat seine Parteikollegin Unterberger den Agrarlobbyisten den Kampf angesagt. In einer Anfrage an das für das Tierwohl zuständige Gesundheitsministerium will die Senatorin wissen, inwieweit Italien die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt hat. Die Anfrage wurde von der gesamten Autonomiefraktion unterschrieben – mit Ausnahme der SVP-Politiker Meinhard Durnwalder und Dieter Steger. „Ich bedaure, dass die Agrar- und Transportlobby nicht einsieht, dass unser Fleischkonsum nicht mit diesem unermesslichen Tierleid verbunden sein darf. Solange sich das nicht ändert, sollten alle VerbraucherInnen aus Protest kein Fleisch mehr essen. So wie ich das schon seit Jahren mache“, erklärt Julia Unterberger.

Innerhalb der EU werden laut Abschlussbericht jährlich 1,4 Milliarden Rinder, Schweine, Geflügel, Schafe, Ziegen und Pferde auf dem Landweg, 2,8 Millionen Schafe und Rinder auf dem Seeweg transportiert; 700.000 Rinder und Schafe in die Türkei und 70.000 in den Libanon; 239.000 Zucht-, 78.000 Schlachtrinder, 416.000 Schweine, 2,4 Millionen Schafe und 14.000 Ziegen nach Algerien, Tunesien, Marokko, Libyen, Jordanien, Israel, Saudi-Arabien; über 220 Millionen Geflügel aus der EU in Drittländer; über 600.000 Schweine nach Russland, in die Ukraine, nach Moldawien und Serbien.

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