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 über das Gestapo-Lager Innsbruck

Friedl Volgger
 über das Gestapo-Lager Innsbruck

Friede Volger: „Es genügte, dass einer nicht schnell genug die Mütze vom Kopf riss“ (Archiv Familie Volgger)

Eine hörposition zum 
International Holocaust Remembrance Day am 27. Jänner mit einer Erinnerung von Friedl Volgger
 an das Gestapo-Lager Innsbruck-Reichenau.

Der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (International Holocaust Remembrance Day) am 27. Januar wurde im Jahr 2005 von den Vereinten Nationen zum Gedenken an den Holo- caust und den 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau eingeführt.

Der Schriftsteller Erich Hackl hat vor zehn Jahren in seinem „Zeichen der Zeit“ zum Tod des Komponisten Peter Zwetkoff, der in Hall in Tirol aufgewachsen ist, darauf hingewiesen: Den Widerstandskämpfer Peter Zwetkoff hat der Nazismus in Tirol mit seiner physischen Gewalt, mit seinen mehrfachen demütigenden Erniedrigungen bei den Verhaftungen in Hall und mit der Haft im Lager Reichenau nie los- gelassen. Erich Hackl: „Er sprach leise, undeutlich, mit wachsender Atemnot, aber oft schien mir, die eigenwillige Sprechweise sei der konspirativen Tätigkeit im Untergrund geschuldet. Der Schrecken der Nazizeit hat ihn, wie Renate [die Ehefrau von Peter Zwetkoff] berichtet, noch auf dem Sterbebett heimgesucht, auf dem er sich verfolgt und umzingelt wähnte.“

Mit zwei Kompositionen – Wie es war und Umschlagplatz – hat Peter Zwetkoff Jahrzehnte nach der Befreiung 1945 gegen die Gleichgültigkeit des ritualisierten Gedenkens Musik gemacht. Othmar Costa 1995 über Umschlagplatz: „Die knappste Arbeit mit der größten Konzentration seiner kompositorischen Absichten erreichte Peter Zwet-koff in der Absoluten Musik Umschlagplatz 1993. Das Ziel der Musik: sie will bewusst machen, Aufmerksamkeit erzeugen gegen Lauheit und Gleichgültigkeit.“

Mit Wie es war von Peter Zwetkoff haben die Musiksammlung der Tiroler Landesmuseen, das Museum im Ballhaus Imst und das Gemeindemuseum Absam im Jahr 2020 ihren Podcast hörpositionen begonnen. Ziel ist es, kritische politische Positionen, die Musikerinnen und Musiker mit ihren spezifischen akustischen Mitteln bezogen haben, zu dokumentieren.  

Wenn „Kunst kommt von Kontern“ gilt – wie es der unlängst verstorbene Herbert Achternbusch programmatisch formulierte – gab und gibt es für Komponisten gerade in Tirol ein unendlich breites Betätigungsfeld.

Zum 27. Januar 2021 haben wir in den hörpositionen mit insgesamt vier Episoden die Klaviersonate 27. April 1945 von Karl Amadeus Hartmann behandelt. Hartmann war 1945 in Bayern Augenzeuge einer der Todesmärsche aus dem Konzentrationslager Dachau Richtung Tirol/ Seefeld geworden. Hartmann: »Am 27. und 28. April 1945 schleppte sich ein Menschenstrom von Dachauer „Schutzhäftlingen“ an uns vorüber – unendlich war der Strom – unendlich war das Elend – unendlich war das Leid … Ein Mensch und besonders ein Künstler darf nicht in den grauen Alltag hineinleben, ohne gesprochen zu haben. Meine Musik wurde in letzter Zeit oft Bekenntnismusik genannt. Ich sehe darin eine Bestätigung meines künstlerischen Wollens. Es kam mir darauf an, meine humane Lebensauffassung in einem künstlerischen Organismus spürbar werden zu lassen.“

Zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust 2022 lenken wir mit den hörpositionen die Aufmerksamkeit auf einen Augenzeugen der Verbrechen, die im Gestapo-Lager Innsbruck-Reichenau zwischen 1941 und 1945 begangen wurden. Da weder für die Stadt Innsbruck noch für das Land Tirol die Inbetriebnahme dieses zentralen Ortes von Verfolgung und Tod vor 80 Jahren im Dezember 1941 einen Anlass dargestellt hat, in irgendeiner Weise an diesen Ort, seine Funktion oder auch nur an seine Opfer zu erinnern, versuchen wir mit der aktuellen Episode dem kalten Vergessen der Reichenau entgegenzutreten.

Der Südtiroler Widerstandskämpfer, Journalist und Politiker Friedl Volgger hat bereits 1984 in seinen in der Edition Raetia in Bozen erschienen Erinnerungen „Mit Südtirol am Scheideweg“ seiner Haft im Lager Reichenau Anfang 1944 ein ganzes Kapitel gewidmet.

Die „Reichenau“ war eine Station auf dem Weg des Optionsgegners Volgger in das Konzentrationslager Dachau. Volggers Erinnerungen zeigen: Das Lager Reichenau hatte mehrere Funktionen im Verfolgungsapparat des NS-Systems in Tirol-Vorarlberg zu erfüllen. Es war Haftlager der Gestapo für Widerstandskämpfer, Auffanglager für italienische Arbeiter, die aus dem Dritten Reich zurück nach Italien flüchten wollten. Es war ab 1942 ein so genanntes „Arbeitserziehungslager“ zur physischen und psychischen Disziplinierung von Zwangsarbeitern, und es war ab Herbst 1943 eine Station bei der Deportation der kleinen jüdischen Gemeinde Südtirols vor allem in das Lager Auschwitz-Birkenau.

Erst im Dezember letzten Jahres wurde in Meran öffentlich an die sechsjährige Elena de Salvo erinnert, die 1943 über das Lager Reichenau wahrscheinlich nach Auschwitz in den Tod geschickt worden ist. Friedl Volgger: „Ich werde das Häuflein hungriger, durstiger und frierender Gestalten im Arbeitsstraflager Reichenau bei Innsbruck … nie vergessen. Männer, Frauen und Kinder mussten den ganzen Tag über bei eisiger Kälte im Freien stehen. Niemand durfte sich ihnen nähern. Von einem Wachtmeister der Gendarmerie erfuhr ich, dass die Gruppe zum Großteil aus Meraner Juden bestand. Eines Tages, oder besser gesagt Nachts, waren sie verschwunden. Wir Lagerinsassen blickten uns vielsagend an. Man hatte die Juden in Orte transportiert, aus denen es nur höchst selten Rückfahrkarten gab.“

Die Musik zu dieser Episode mit dem Text von Friedl Volgger hat Bert Breit komponiert, der 1945 selbst als 17-jähriger Gestapo-Häftling in der Reichenau gewesen war.

„Es genügte, dass einer nicht schnell genug die Mütze vom Kopf riss“ ab 26. Jänner auf www.hoerpositionen.at oder überall,
wo man Podcasts hören kann.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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