Du befindest dich hier: Home » News » „Wie auf dem Oktoberfest“

„Wie auf dem Oktoberfest“


Der erste Durchgang bei der Staatspräsidenten-Wahl in Rom endet ergebnislos. Ein Stimmungsbild.

Von Matthias Kofler

Mit fast nur weißen Stimmzetteln endete gestern in Rom der erste Wahlgang bei der Staatspräsidentenwahl. Schon im Vorfeld galt es als ausgeschlossen, dass am ersten Tag ein Nachfolger für Sergio Mattarella feststeht – dieser hätte nämlich zwei Drittel der Stimmen der 1.009 Wahlleute auf sich vereinen müssen. Das war fast unmöglich, weil sich Mitte-Links und Mitte-Rechts auf keinen lagerübergreifenden Kandidaten geeinigt hatten. Die großen Regierungsparteien hatten vor Öffnung der Wahlurnen angekündigt, zunächst weiße Stimmzettel abzugeben. So auch die SVP: „Wir haben akkordiert, dass wir weiß abstimmen werden“, erklärte Obmann Philipp Achammer am Vormittag.
Aller Voraussicht nach werden die Wahlmänner und -frauen auch noch heute und morgen weiß wählen. Erst ab dem vierten Wahlgang reicht einem Mann oder einer Frau die absolute Mehrheit zum Sieg.

Nach dem Rückzug des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi aus dem Rennen um das höchste Amt im Staat intensivierten sich die Verhandlungen der Parteichefs um einen möglichen Kandidaten. Die größten Chancen werden Regierungschef Mario Draghi, dem Zentrumspolitiker Pier Ferdinando Casini und dem scheidenden Präsidenten Sergio Mattarella eingeräumt. Letzterer hat jedoch schon mehrmals erklärt, an einer zweiten Amtszeit nicht interessiert zu sein. Zur Veranschaulichung dieser Entscheidung stellten Mattarellas Mitarbeiter ein Foto ins Netz, auf dem man die gepackten Kisten im Präsidenten-Büro sehen kann.

Im Umfeld des Palazzo Montecitorio, dem Austragungsort der Wahl, werden indes – ähnlich wie bei Pferderennwetten – Tipps auf den Sieger entgegengenommen. In Führung liegt hier Regierungschef Draghi mit einer Quote von 1:6, gefolgt von Casini mit einer Quote von 1:10. SVP-Chef Achammer hatte die Wahl Casinis medial als „nebulöse Hypothese“ bezeichnet, was in der Autonomiegruppe, welcher der ehemalige Kammerpräsident angehört, mit Kopfschütteln aufgenommen wurde. Immerhin wird Casini, der sowohl bei Mitte-Links als auch bei Mitte-Rechts zahlreiche Unterstützer hat, als einer der Top-Favoriten gehandelt. Um seine Chancen nicht zu schmälern, ist Casini untergetaucht. Nach den Plenarsitzungen, in denen er sich nicht mehr zu Wort meldet, nimmt der Senator meist den Hinterausgang, um den lauernden Journalisten aus dem Weg zu sehen.

Rund um den Palazzo Montecitorio spielten sich gestern filmreife Szenen ab. Die Parlamentarier, die für den feierlichen Anlass ihre Sonntagskleider aus dem Schrank gezogen hatten, warteten die Wahl im Transatlantico ab, wo – so Senatorin Julia Unterberger – eine Stimmung „wie auf dem Oktoberfest“ herrschte. „Es fehlen nur noch die Würstchen und das Bier“, sagt die SVP-Politikerin augenzwinkernd. Immer dann, wenn ein Parteichef auftauchte, wurde er umgehend von einer Menschentraube an Journalisten umzingelt, die auf der verzweifelnden Suche nach Schlagzeilen waren.

Beobachter verfolgen das Spektakel in der Ewigen Stadt zunehmend mit Befremden. Die Corona-Krise, die den Bürgern seit zwei Jahren zu schaffen macht, scheint in die zweite Reihe gerückt zu sein, auch wenn vor dem Plenarsaal unzählige Spender mit Desinfektionsmitteln stehen. Infizierte Wahlleute haben zudem die Möglichkeit, in speziellen Zelten vor dem Gebäude ihre Stimmkarten abzugeben (Meinhard Durnwalder braucht von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch zu nehmen, weil er mittlerweile negativ getestet wurde). Dass sich die großen Parteien jedoch noch immer nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen konnten, obwohl der Wahltermin seit Wochen feststeht, und die Delegierten daher gezwungen sind, tagelang weiße Stimmzettel in die Urne zu werfen, dürfte die Politikverdrossenheit der Bürger weiter vergrößern.

Julia Unterberger fragt sich, ob ein solch aufwendiger Prozess überhaupt noch zeitgemäß ist. „Ganz nüchtern betrachtet muss man sagen: Bei all den Problemen, die dieser Staat hat, sollten die Politiker ihre Energien dafür einsetzen, Italien moderner, effektiver und grüner zu machen, als eine Woche lang diese Show abzuziehen“, meint die SVP-Politikerin. Sie hoffe daher, dass sich die Parteien „schnell zusammenraufen können“ und einen Kandidaten („oder – noch besser – eine Kandidatin“) aus dem Hut zaubern können. Einer Wahl Draghis ins höchste Amt des Staates ist die Vorsitzende der Autonomiegruppe – anders als noch vor ein paar Wochen – nicht mehr abgeneigt. „Das letzte Halbjahr wird ohnehin nur noch Wahlkampf betrieben, in dem alle Koalitionsparteien ihre Duftmarken setzen wollen. Die Streitereien in der Mehrheit werden weiter zunehmen, was für Draghi frustrierend sein dürfte. Es stellt sich mir daher die Frage, ob es nicht besser wäre, ihn sieben Jahre lang als Garant für das Ansehen und die Stabilität Italiens in Europa zu haben“, meint Julia Unterberger.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (15)

Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen

  • criticus

    Zeitgemäß ist in Italien schon lange nichts mehr, angefangen mit der Schneckenjustiz bis zur Politik. Im Jahre 2022 wird in einem europäischen Land gewählt wie im alten Rom. Da treten über 1000 Politiker zu einer Wahl an, haben keinen Kandidaten und handeln wie auf einem Krämermarkt. Was kostet eigentlich dieses Theaterle? Was dieser Haufen von PolitikerInnen wert ist, sieht man daran, dass bei so einer Zahl anscheinend keine fähigen Kandidaten zu finden sind. Arme, unfähige aber reiche Hascherlen!

  • andreas

    Auch wenn dadurch wohl die Rechten an die Macht kommen, sollte es Draghi werden, denn dann haben wir wenigstens 7 Jahre lang einen Vernünftigen als Staatspräsident.

    Italiens Politik und Volk wechselt nun mal je nach Wind und Wetter die Meinung und ist anfällig für jeden Blender, welcher ihnen das Blaue vom Himmel verspricht.
    Ein Phänomen wie 5 Stelle ist wohl nur in Italien möglich.
    Ein ordinärer schreiender Komiker, 5 Dilettanten und schon kann man in Italien eine Mehrheit erzielen.

    Eine neue Regierung kann, ohne das Gesicht zu verlieren, die rigiden Maßnahmen etwas locker und so entfällt wenigstens die Notwendigkeit, sich Stäbchen in Hintern und Nase zu schieben.
    Das Polittheater würde zwar weitergehen wie die letzten Jahrzehnte, aber man gewöhnt sich daran.
    Ein Staat, wo eine Meloni oder ein Salvini auch nur die kleinste Möglichkeit haben, an die Macht zu kommen, hat sich eigentlich auch eine Meloni oder Salvini verdient.

  • besserwisser

    ihr habt alle keine ahnung. der kommende präsidente wurde noch nirgends namentlich erwähnt.

  • foerschtna

    Diese Schmierenkomödie wird erst aufhören, sobald man, wie von Anfang an geplant, den Herrgott, sorich Mario Draghi, aus dem Hut zaubern wird. Welcher dann nach etwas Zögern darum bitten lassen wird. Und seine erste Amtshandlung wird die Ernennung eines Ministerpräsidenten von seinen Gnaden sein. Und keine Partei, mit Ausnahme vielleicht von Fratelli d‘Italia, wird es wagen, einem Ministerpräsidenten von Gottes Gnaden nicht das Vertrauen zu geben. Eine de facto Präsidialrepublik wird das Endergebnis sein.

  • artimar

    Weiße Stimmen abgeben. Wie langweilig und phantasielos ist das denn. 2015 wurden in dieser Vorwahlphase noch Sophia Loren … und Gustav Thöni auf die Stimmzettel geschrieben.
    Habe Mut, liebe SVP! Ein bisschen eigene Flagge könnt/dürft ihr hier schon mal zeigen.
    Wieso also nicht ein paar Sudtiroler-innen, wie Ulli Mair (aus Solidarität) …, auf den Wahlzettel schreiben?

  • prof

    Es steht schon fest,es wird eine Frau !!

  • erich

    Wenn Frau Unterberger sagt, es ist wie auf dem Oktoberfest, es fehlen nur die Würstchen und das Bier, dann sagt das auch, dass sie anscheinend nur von wenigen ernst genommen wird. Das sind gewöhnlich seltene Gelegenheiten wo man neben der Pflicht auch super Kontakte pflegen kann.

  • schwarzesschaf

    Hurra und noch 3 mal runterfliegen, spesenabrechnung volle pulle

  • morgenstern

    Ganz wie auf dem Oktoberfest ist es dann doch nicht, schließlich fehlt die Pissrinne.

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen