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„Pflicht für alle ist gerechter“

WIFO-Direktor Georg Lun über die gefährdete Wintersaison, die Folgen einer 2G-Pflicht am Arbeitsplatz – und seine Kritik am Bettenstopp.

Tageszeitung: Herr Lun, Südtirols Wirtschaft scheint seit dem Sommer zu florieren, doch jetzt bringen die Corona-Lage und die verschärften Maßnahmen wieder vieles ins Wanken. Worauf müssen sich die Betriebe, die mit dem Tourismus zusammenhängen, in den nächsten Wochen und Monaten einstellen?

Georg Lun (Direktor des Wirtschaftsforschungsinstitutes der Handelskammer Bozen): Die restliche Wintersaison ist jetzt natürlich wieder in einer gewissen Weise gefährdet. Man muss schauen, was die Bestimmungen auf nationaler und europäischer Ebene bringen, aber die Wintersaison wird sicher erneut sehr schwierig.

Sind Sie eher optimistisch, dass die Wintersaison am Ende doch noch halbwegs gut verläuft, oder eher pessimistisch, dass die Situation schlechter wird als sie momentan ausschaut?

Wir haben ja eigentlich eine positive Weihnachtszeit gehabt. Sie ist viel besser verlaufen als befürchtet wurde. Kritisch werden jetzt die nächsten Wochen und vor allem die Zeit rund um die Semesterferien im Februar, die ein zentraler Teil der Wintersaison ist. Der weitere Verlauf hängt ganz davon ab, wie sich die Corona-Lage entwickelt. Es gibt heuer jedenfalls keinen Totalausfall der Wintersaison, weil die ersten 20 bis 30 Prozent recht gut abgewickelt worden sind. Aber natürlich ist der wichtige Februar gefährdet.

Welche Auswirkungen hat eine allgemeine 2G-Pflicht am Arbeitsplatz angesichts der Tatsache, dass zehntausende Südtiroler ungeimpft sind?

Grundsätzlich halte ich Maßnahmen, die alle gleich betreffen, gerechter als Maßnahmen, die nur bestimmte Berufsgruppe betreffen. Wenn nur bestimmten Berufsgruppen wie dem Sanitätspersonal eine Impfpflicht auferlegt wird, ist das eine Ungleichbehandlung. Deshalb ist eine generelle Regelung für alle – sowohl für öffentliche als auch private Arbeitnehmer – sicher zu befürworten. Eine 2G-Pflicht würde sicher Schwierigkeiten in bestimmten Bereichen verursachen, denn ich vermute, dass die harten Impfgegner nicht auf die Impfung umschwenken würden. Die Pflicht hätte einen gewissen Effekt auf die Impfrate, aber eine vollständige Durchimpfung der Beschäftigten würde es nicht geben. Das ist kritisch zu beurteilen, weil es sicher zu Schwierigkeiten in den Betrieben käme.

Sehen Sie bei einer 2G-Pflicht am Arbeitsplatz mehr Vorteile aufgrund der Bekämpfung der Pandemie oder doch mehr Nachteile, da viele Menschen arbeitslos werden, soziale Probleme zunehmen und die Betriebe großen Personalmangel haben?

Eine allgemeine Impfpflicht wie in Österreich wäre eine gerechtere Lösung und besser zu argumentieren als eine 2G-Pflicht nur für Beschäftigte. Eine allgemeine Regelung betrifft nämlich die ganze Gesellschaft und schränkt die Wirtschaft nicht ein. Eine Pflicht, die mit dem Arbeitsplatz zusammenhängt, ist für die Wirtschaft schwer zu verdauen.

Sehen Sie bei einer 2G-Pflicht am Arbeitsplatz für bestimmte Sektoren größere Gefahren?

Ich denke, dass es in jeder Branche eine ähnlich hohe Impfverweigerungsrate gibt. Große Unterschiede kann ich mir nicht vorstellen.

Höhere Inflation, Lieferengpässe, massiv gestiegene Rohstoffpreise: Welche Rolle werden diese Themen in diesem Jahr spielen?

Es ist anzunehmen, dass wir uns heuer damit beschäftigen müssen. Die Omikron-Variante hat etwa auch zur Folge, dass es in den nächsten Monaten wieder zu Ausfällen und Lieferengpässen kommt. Man sieht ja, dass in China ganze Städte geschlossen werden. Das hat sicher wieder Auswirkungen auf die Lieferketten und die Preise. Es ist Sand im Getriebe drin. Ob die Inflation in Zukunft deutlich höher sein wird, hängt auch stark damit zusammen, ob sich die Preissteigerungen, die jetzt bei Rohstoffen und Vorleistungen bestehen, mittelfristig auf die Löhne auswirken. Das hängt stark davon ab, wie die Kollektivvertragsverhandlungen in den nächsten Monaten und Jahren verlaufen werden.

Die Landespolitik hat die IRAP-Erhöhung trotz heftigen Protesten der Wirtschaft durchgezogen. Hat die Steuererhöhung wirklich große Folgen für die Betriebe?

Natürlich ist jede Steuererhöhung eine Belastung für die Unternehmen. Sie schmälert die Möglichkeit, Investitionen zu tätigen, und ist insofern negativ. Die IRAP ist von ihrer Konstruktion her zudem eine ungünstige Steuer, weil die Berechnungsbasis die Kosten des Betriebes sind und nicht der erwirtschaftete Gewinn. Das ist unlogisch. Da die IRAP aber keinen ganz großen Anteil an der gesamten Steuerlast ausmacht, gehe ich davon aus, dass die Auswirkungen nicht so groß sein werden.

Was halten Sie vom nun beschlossenen Bettenstopp im Tourismus? Eine Chance oder ein Hemmschuh?

Ganz beschlossen ist er ja noch nicht – man weiß nicht, wie er konkret umgesetzt wird. Es handelt sich auf jeden Fall um eine Einschränkung für die einzelnen Betriebe, weil Investitionsentscheidungen von den neuen Regeln betroffen sind. Wenn es für einen Betrieb aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll ist zu vergrößern, kann er das wegen des Bettenstopps womöglich nicht tun. Das macht alles komplizierter. Ob die Auswirkungen des Bettenstopps sehr negativ sind, hängt stark von den konkreten Regelungen ab. Langfristig muss der Tourismus jedenfalls weiterhin investieren und sich weiterentwickeln können. Es wird Betriebe geben, die verschwinden oder zurückgebaut werden – aber auch Betriebe, die wachsen wollen. Inwieweit das möglich sein wird, ist noch nicht ganz klar. Ein abschließendes Urteil ist denn auch schwierig, weil viele Details noch zu klären sind.

Interview: Heinrich Schwarz

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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