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Seilschaft für Wohlfahrt

Wohlfahrt besteht nicht mehr nur aus der Zuweisung von Ressourcen, sondern ist ein Gestaltungsprozess, der die gesamte Gesellschaft einbezieht. Das Welfare-System sollte daher inklusiver und „generierender“ werden, aufgeschlossener für die Nöte aller, um echte Wohlfahrt für alle Gesellschaftsschichten zu gewährleisten und Schutzbedürftige noch gezielter zu berücksichtigen.

Dies ist das Fazit des letzten Online-Events der Reihe „AFI im Dialog“, diesmal zum Thema Welfare 4.0, bei dem namhafte italienische Experten Entwicklungslinien hin zu einem neuen Wohlfahrtsstaat aufgezeigt haben.

Mit dem Webinar, der letzten von fünf Veranstaltungen anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Instituts, hat das AFI | Arbeitsförderungsinstitut zum Jahresausklang einer Hoffnung Ausdruck verliehen: dass den Ungleichheiten, die auch in Südtirol durch die Corona-Pandemie verstärkt zutage treten, mit einer Sozialpolitik im Zeichen der Achtsamkeit gegenüber den Nöten aller und dem Potential zur Regenerierung von Ressourcen begegnet werden kann.

Das Thema Wohlfahrt ist bereits seit 2014 ein Forschungsgebiet des Instituts. „Wir sehen, dass jetzt der Zeitpunkt für einen Kurswechsel gekommen ist“, unterstreicht AFI-Vizedirektorin Silvia Vogliotti: „Der Sozialstaat, den wir vor der Krise hatten, bedarf einer Generalüberholung. Es ist daher notwendig zu verstehen, wie Wohlfahrt auf lokaler Ebene neu ausgerichtet werden kann“.

Eine Seilschaft für eine Wohlfahrt 4.0

So wie bei Seilschaften im Gebirge der langsamste Teilnehmer das Tempo vorgibt und auch die Schwächsten „mitgezogen“ werden, so muss der neue Sozialstaat in dieser denkwürdigen Zeit jene unterstützen, die von der Pandemie besonders geschwächt oder bedroht sind – nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in sozialer, menschlicher und medizinischer Hinsicht. Mit Elisabetta Pugliese (Zuständige für die Institutionellen Beziehungen bei Unipol), Eleonora Gnan (Forscherin am IRS, Istituto per la ricerca sociale), Devis Geron (Forscher der Stiftung Zancan mit Sitz in Padua) und Gianfranco Cera (Wirtschaftsexperte und ehemaliger Wirtschaftsprofessor an der Universität Trient) als Teilnehmer, hat das AFI erste Entwicklungslinien für die Wohlfahrt der Zukunft vorgezeichnet.

Wohlfahrt 4.0 bedarf aktiver Maßnahmen

Anhand der Daten des Abschlussberichtes 2021 der Denkfabrik „Welfare, Italia!“, hat Elisabetta Pugliese darauf hingewiesen, dass Südtirol nach dem Trentino italienweit Spitze ist gemessen am Verhältnis zwischen den geleisteten Ausgaben für die Wohlfahrt und deren Output-Ergebnissen im Sozialbereich und im Gesundheitswesen, in der Fürsorge, im Bildungs- und Ausbildungsbereich. „Diese Rangliste soll nicht nur zeigen, wer gut oder schlecht dasteht, sondern auch verstehen helfen, wie und in welchen Bereichen Wohlfahrtsmaßnahmen besser gesteuert werden können“, betonte Pugliese.

Welfare bedeutet auch Inklusion

„Die Covid-19-Pandemie hat eine gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Krise epischen Ausmaßes verursacht. Zu ihren wesentlichen Folgen zählt die Zunahme der Not und der Ungleichheit, insbesondere für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Es gilt daher, ein inklusiveres Welfare-System zu entwickeln, das auch die neuen Gefährdeten begleiten und unterstützen kann“, betonte Eleonora Gnan. Ihr Lösungsvorschlag: Um die am stärksten von Ungleichheit betroffenen Bevölkerungsgruppen (Arbeitnehmer in atypischen oder prekären Arbeitsverhältnissen, alleinerziehende Eltern, Jugendliche, NEET) aufzufangen, bedarf es einer maßgeschneiderten Wohlfahrtspolitik im Zeichen der Integration und der Zusammenarbeit zwischen Dienstleistern (zwischen Sozial- und Sanitätsbereich, Arbeitswelt, Schule, Wohnungsmarkt, etc.).

Ressourcen aktivieren und Personen in die Verantwortung nehmen

Die derzeitige Krise verlangt nach einer Reflexion über die künftige Entwicklung der Wohlfahrt. Eine Möglichkeit bildet die sog. „generierende Wohlfahrt“ (Welfare generativo), die auf fünf Schritten beruht: sammeln, verteilen, regenerieren, wiedergeben, befähigen. „Das von der Stiftung Zancan entwickelte Modell der generierenden Wohlfahrt beschränkt sich nicht auf das ‚Sammeln‘ von Steuereinnahmen und deren ‚Umverteilung‘, sondern vermag es, die verwendeten Mittel in dem Sinn zu regenerieren, dass sie einen Mehrwert für die gesamte Gemeinschaft abwerfen. Dies geschieht durch die systematische Übertragung von Verantwortung auf alle Beteiligten“, erklärte Forscher Devis Geron.

Mehrdimensionaler und teamorientierter Ansatz als Königsweg

Zum Abschluss des Webinars unterstrich Gianfranco Cerea, ehemaliger Wirtschaftsprofessor an der Universität Trient, dass „die Südtiroler Wohlfahrt entschlossen und noch gezielter die Schwächsten schützen sollte, jene Menschen, die von der Pandemie in noch größere Schwierigkeiten gebracht wurden“. Damit dies gelingt, so Cerea, „braucht es einen mehrdimensionalen Ansatz, eine bessere Koordinierung der Stellen des Welfare und Teamarbeit, wo Fachleute mit unterschiedlichen Kompetenzen sich um ein und dieselbe Person kümmern.“ Aber wer sollte diese Dienste anbieten? Die öffentliche Hand oder der Dritte Sektor? Für Cerea ist diese Wahlmöglichkeit ein Privileg, da ein „sich quasi im Wettbewerb befindendes“ System für die Bürger einen Vorteil darstellt.

 

Statement von AFI-Vizepräsidentin Monica Murari

„Angesichts der Pandemie und des italienischen Wiederaufbauplans („PNRR“) muss das Wohlfahrtssystem in Südtirol angepasst und weiterentwickelt werden. Entwicklungslinien zur Neuausrichtung des lokalen Welfare-Systems müssen dringend gefunden werden. Ähnlich wie für eine Seilschaft, die trotz Unwägbarkeiten und Gefahren den Gipfel erreichen will, ist dafür aber Zusammenhalt erforderlich. Wir können diese Herausforderungen nicht alleine meistern, oder auf Sicht fahren, sondern müssen zeitnah den Weg zur Wohlfahrt der Zukunft neu gestalten.”

 

 

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