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„Haben uns das erwartet“

Gernot Walder

Die Corona-Impfstoffe sollen neuen Studien zufolge gegen die Omikron-Variante deutlich weniger Schutz bieten. Wie der Infektiologe Gernot Walder diese Studien einordnet.

Tageszeitung: Herr Walder, neue Studien zur Omikron-Variante zeigen, dass die Impfung nicht ausreichend vor einer Infektion schützt…

Gernot Walder: Das Problem kennen wir bereits von der Delta-Variante. Die Impfung schützt vor einem schweren Verlauf – das Risiko einer Aufnahme auf der Intensivstation Bei einer Infektion mit der Deltavariante reduziert sich für Geimpfte um den Faktor 5-20. Bei einer Infektion mit Omikron könnte der Schutz wahrscheinlich geringer ausgeprägt sein. Die Viruszirkulation in der Bevölkerung wird in beiden Fällen nicht entscheidend beeinflusst.

Pfizer selbst sagt, dass der Schutz durch eine Infektion mit einer Auffrischimpfung aber ums 25-fache steigt. Ist das ausreichend?

Der Individualschutz vor einem schweren Verlauf wird dadurch sicher verbessert. Ob auch die Weitergabe eingeschränkt wird, ist eine ganz andere Frage. Ideal wäre es, wenn wir einen Impfstoff hätten, der an die Omikron-Variante angepasst wäre.

Wie bewerten Sie diese Studien prinzipiell? Haben Sie sich diese Nachricht so erwartet?

Das ist eine Nachricht, die genau in dem Bereich liegt, den wir uns erwartet haben. Die Nachricht bestätigt also die Vermutungen von Seiten der Experten.

Idealerweise sollte der Impfstoff also angepasst werden. Hätte das bereits für die Delta-Variante geschehen sollen?

Meiner Meinung nach ist das sinnvoll und notwendig. Spätestens im letzten Jahr im Mai hätte man damit beginnen müssen, den Impfstoff an neue Varianten anzupassen. Wenn man den Ausbruch der brasilianischen Variante in Manaus verfolgt hat war klar, dass diese Variante den bestehenden Immunschutz durchschlägt.

Wie schwierig ist es, den Impfstoff an neue Varianten anzupassen?

Beim Grippeimpfstoff schaffen wir das jedes Jahr und das mit einem Mix aus drei bis vier Virusstämmen. Mit Coronaviren haben wir weniger Erfahrung, da ist eine Nachjustierung schwieriger – trotzdem glaube ich, dass es möglich sein sollte. Die ersten Corona-Impfstoffe gab es rund ein Jahr nach den ersten Fällen in Europa. Dass wir mit der Gamma- oder der Delta-Variante ein Problem bekommen werden, wissen wir seit Mai. Insofern sollten wir langsam ans Ziel kommen, wenn man rechtzeitig mit der Anpassung begonnen hat.

Pfizer und Biontech hat angekündigt im März einen an die Omikron-Variante angepassten Impfstoff zur Verfügung zu stellen. Ist das realistisch?

Das ist theoretisch auf jeden Fall möglich.

Die Omikron-Variante löst laut den bisherigen Erfahrungen milde Verläufe aus. Kann es sein, dass die Omikron-Variante trotz weniger Impfschutz ungefährlicher als Delta ist?

Das Coronavirus zeichnet sich generell durch eine niedrige Pathogenität, aber eine potentiell hohe Virulenz aus. Das heißt, die überwiegende Mehrheit erkrankt nur mit leichten Symptomen, aber wenn der Erreger sein volles Potential entfaltet kann der Verlauf durchaus lebensbedrohlich werden. Ob die Erkrankung durch die Variante im Durchschnitt ein bisschen leichter oder ein bisschen schwerer verläuft wirkt sich im medizinischen Alltag wenig aus.  Was sich auswirkt sind die schweren Verläufe. Und obgleich wir nicht wirklich gute Daten haben zeigt ein Blick auf die Intensivstationen, dass ein großer Teil der Patienten ungeimpfte Personen über 60 oder jüngere mit vorbestehenden Risikofaktoren sind. Unabhängig von Omikron wäre es wichtig, in diesen Gruppe für einen guten Impfschutz zu sorgen. Auch geimpfte Personen können einen schweren Krankheitsverlauf erleiden, aber das Risiko ist deutlich reduziert, auch wenn die Impfung nicht komplett „on target“ist. Dass der Impfstoff die Zirkulation in der Bevölkerung massiv reduziert, ist anhand der derzeit vorliegenden Daten nicht anzunehmen. Dass er den Krankheitsverlauf schwächt, ist hingegen wahrscheinlich. Davon profitieren in erster Linie ältere Personen und Risikopatienten. Das ist das gute an dieser Nachricht.

Trotz dieser Nachricht muss man also weiter impfen und vor allem die Impflücken schließen?

Was sicher gut wäre, ist die Impflücken bei Personen über 60 Jahren und Personen mit Risikofaktoren zu schließen. Dass wir große Erfolge feiern, wenn wir die fünf- bis elfjährigen durchimpfen, glaube ich nicht. Zuerst müssen uns auf das fokussieren, was die Intensivstationen entlastet. Dann sollte man schauen, dass wir einen Impfstoff herstellen, der so gut an den Erreger angepasst ist, dass er die Zirkulation in der Bevölkerung massiv herunterfährt. Dann haben wir eine Chance, das Virus abzuhaken.

Gehen Sie davon aus, dass die Omikron-Variante den gesamten Pandemie-Verlauf verändert, wie es bei Delta der Fall war?

Es könnte so ablaufen wie im letzten Winter. Die Novemberwelle klingt ab und dann kommt eine Variante – 2021 Alpha, 2022 Omikron und hält das Geschehen bis zum Frühling am Laufen. Die derzeit kursierende Delta-Variante hat erhebliche Unterschiede zum Original. Man muss sich nun genau ausschauen, wie groß die Unterschiede zwischen Delta und Omikron sind. Beide Varianten basieren auf recht unterschiedliche Escape-Varianten, es kann also sein, dass wir am Ende einen Kombinationsimpfstoff aus zwei angepassten Impfstoffen verwenden. Ähnliches ist übrigens auch bei der Influenza der Fall.

Eine Kombinationsimpfung ist also nichts Ungewöhnliches?

Ja, klar. Beim Influenza-Virus haben wir eine Vierer-Kombination. Das wird jedes Jahr nachjustiert. Wir verabreichen den Grippe-Impfstoff jedes Jahr im Herbst neu und das ist eine unspektakuläre Geschichte.

Macht es für zweifach Geimpfte oder Genesene Sinn, die Auffrischung zu machen, oder sollten sie auf einen angepassten Impfstoff warten?

Das hängt vom Antikörper- und Schutzzustand ab. Am besten geschützt sind derzeit jene, die eine Infektion mit der Delta-Variante durchgemacht haben, möglicherweise verleiht auch eine Infektion mit der ehemaligen britischen (Alpha) Variante gegen Omikron zumindest keinen schlechten Teilschutz. Wer im Neutralisationstest einen schlechten Schutzstatus hat, wird von einer Auffrischung profitieren, auch wenn der Impfstoff nicht perfekt ist. Wer einen guten Schutzstatus hat, wird von der Impfung eher nicht profitieren.

Interview: Markus Rufin

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