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„Vom eigenen Versagen ablenken“

Felix von Wohlgemuth

Der grüne Co-Sprecher Felix von Wohlgemuth wirft der Politik vor, sie sei auf die vierte Welle nicht vorbereitet – und sie reiche den Schwarzen Peter an die Nicht-Geimpften weiter.

TAGESZEITUNG Online: Herr von Wohlgemuth, wie sähe das Corona-Krisenmanagement in Südtirol aus, wenn Sie LH bzw. wenn die Grünen in der Regierung säßen?

Felix von Wohlgemuth: Dann wäre es bei den kostenlosen Tests geblieben. Das haben wir von Beginn an immer gefordert. Auch in Bayern sind die niederschwelligen und leicht zugänglichen Tests wieder ein Thema. Außerdem sind wir dagegen, dass Geimpfte und Nicht-Geimpfte gegeneinander ausspielt, denn es geht nur mit Impfen und Testen. In der ersten Welle hatten wir das verstanden, in der vierten Welle haben wir das leider vergessen.

Und die Suspendierungen der Nicht-Geimpften?

Auch hier hat man es verabsäumt, eine gesamtheitliche Gesundheitsstrategie zu entwickelt, die beim Personal in den Krankenhäusern und in den Pflegeheimen ansetzt. Die Gewerkschaften haben uns ja bereits frühzeitig auf die Kündigungswelle von Nicht-Geimpften hingewiesen, die es nicht mehr derpacken, die nicht mehr bereit sind, für dieses Entgelt die Leistung zu erbringen. Diese Menschen haben leider keine ökonomische Anerkennung erfahren. Mit Klatschen von den Balkonen ist es nicht getan.

Sie fordern höhere Löhne für die Pflegekräfte?

Natürlich! Um das Personal belastbar zu machen, braucht es massive Lohnerhöhungen – und zwar unabhängig von der Covid-19-Pandemie.

Die Grünen – ob in Deutschland, in Österreich und auch in Südtirol – fahren in Sachen Corona eine harte Linie. Wie ist aus der Partei, die einst einen starken esoterischen Flügel hatte, für Globuli warb und sehr impfkritisch war, eine staatstragende Bewegung geworden?

Ganz einfach: Wir halten uns an die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Man kann sich nicht beim Thema Klimawandel an die wissenschaftlichen Erkenntnisse halten und diese beim Thema Corona ignorieren. Wir halten uns an die Fakten. In einer Pandemie-Situation muss man sich an das Machbare halten. Dabei ist das Impfen ein wichtiger Schritt.

Mit den Pflichtimpfungen hatten die Grünen in der Vergangenheit ihre Probleme …

Richtig. Wir finden es wichtig, dass jeder Mensch selbst entscheiden kann, ob er sich impfen lässt oder nicht. Im Falle dieser Pandemie kann man aber die medizinische Evidenz nicht leugnen, sprich: man kann nicht leugnen, dass die Corona-Impfung etwas bringt. Deswegen rufen wir die Leute auch auf, sich zu impfen.

Im Unterschied zur STF, zum Team K und – mit Abstrichen – den Freiheitlichen lassen die Südtiroler Grünen nicht den Türspalt offen für No-Vaxler, Verschwörungstheoretiker und Staatsverweigerer. Wie viele Wählerstimmen kostet die Grüne diese kompromisslose Linie?

Um ganz ehrlich zu sein: In unseren Überlegungen ist nicht wichtig, was der Partei nutzt, sondern was der Gesellschaft nutzt. Nur auf die nächsten Wahlen zu blicken, wäre verantwortungslos, da wären wir Grünen uns selbst nicht mehr treu. Wir haben auch Kritiker in unseren Reihen, die mit der aktuellen Politik nicht einverstanden sind. Diese Kritiker gibt es auch in der SVP. Aber deswegen geht man nicht von der eigenen Überzeugung ab.

Aber es gibt die Parteien, die ganz ungeniert auch mit diesem kritischen Teil in der Bevölkerung …

Ja, es gibt die Parteien, die versuchen, auf jeder Hochzeit zu tanzen, die versuchen, es sich mit niemandem zu verscherzen, die einfach alles mitnehmen wollen. Wir wollen kohärent sein, wir wissen, wo wir stehen. Und bei uns wissen die Leute, wofür wir stehen.

Es kommt irgendwann die Zeit nach Corona. Wie soll das in diesen harten Zeiten zerschlagenen gesellschaftspolitische Porzellan denn wieder gekittet werden? Der Riss geht ja quer durch die Gesellschaft, quer durch die Familien

Das ist generell eine große Herausforderung. Wir müssen uns vor Augen halten, dass Corona erst die ersten von vielen zukünftigen Krisen ist. Denn auch der Klimahandelt birgt gesellschaftlichen Sprengstoff. In der nahen Vergangenheit hatten wir die Flüchtlingskrise, die ebenfalls gesellschaftliches Spaltungspotential hatte. Unsere Position ist: Wir wollen den demokratischen Diskurs stärken, wir wollen mehr direkte Demokratie, wir sind für das Partizipative. Es ist wichtig, die Meinung der Bevölkerung zu hören.

Wie zerrissen ist die Gesellschaft? Welche Wahrnehmung haben Sie?

Es wird sehr stark polarisiert, wobei das von den verschiedenen Regierungen auch befeuert wird …

Inwiefern?

Um vom eigenen Versagen abzulenken! Deswegen spricht man jetzt von einer Pandemie der Ungeimpften. Die Politik schiebt jetzt alles auf die Impf-Verweigerer ab, um zu verdecken, dass sie selbst die Hausaufgaben nicht erfüllt hat. Die Politik hat es nicht geschafft, die Kontrollen zu gewährleisten. Die Politik hat es nicht geschafft, das Personal in den Spitälern und in den Pflegeheimen zu stärken. Kurzum: Die Politik war auf die vierte Welle nicht vorbereitet und reicht jetzt den Schwarzen Peter an die Nicht-Geimpften weiter, die Politik hofft, dass der Zorn sich gegen die Nicht-Geimpften richtet.

Herr von Wohlgemuth, trainieren Sie bereits für 2023, wenn Sie bei den Landtagswahlen gegen Jürgen Wirth Anderlan und Renate Holzeisen antreten werden?

(lacht) Man soll Politik nicht mit Blick auf Wahlen machen, sondern man soll ehrlich zu seiner Überzeugung stehen. Und apropos 2023: Da kann noch so viel passieren …

Sie glauben, dass Corona 2023 ein Wahlkampf-Thema sein wird?

Ich hoffe, dass Corona kein Thema mehr sein wird. Aber ich befürchte, dass Corona und die Folgen uns noch länger beschäftigen werden, ich befürchte, dass die gesellschaftliche Krise bis 2023 noch nicht überwunden ist. Ich hoffe, dass die allgemeine Politik-Unzufriedenheit nicht in Extremismen überschlägt.

Interview: Artur Oberhofer

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (64)

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  • andreas

    Ein Leben lang die Esoterikwelle reiten, welche durchaus auch Todesopfer durch Suizide gefordert hat, da Psychopharmaka abgeleht wurden und nun eine 180 Grad Wende, da es ernst wird und die Folgen in der Öffentlichkeit stehen, ist etwas unglaubwürdig.
    Eine Esoterik – und Globulipartei kann nicht von sich behaupten, auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu setzen, da es keine einizige wissenschaftliche Studie gibt, welche die Effizienz jemals bestätigt hat und es ein reiner Placeboeffekt ist.

    Das Sanitätspersonal wird nicht durch mehr Geld, sondern durch mehr Personal und dadurch geregeltere Arbeitszeiten belastbarer. Mehr Geld hat üblicherweise nur einen zeitlich sehr begrenzten Effekt.

    Kostenlose Tests würden noch mehr dazu animieren, sich nicht impfen zu lassen, wenn die Grünen also für die Impfung sind, wäre das wohl eher kontraproduktiv.
    „La botte piena e la moglie ubriaca“ funktioniert nun mal nicht, die Grünen wollen es scheinbar allen Recht machen, in Deutschland sieht man, dass die 3 Koalitionspartner genau durch eine solche Einstellung so gut wie gar nichts auf die Reihe bringen.
    Stündlich sagt einer der 3, dass er für die Pflichtimpfung ist und der andere, dass es keine Pflichtimpfung geben wird.

    Deutschland, Schweiz und Österreich haben dieselben Probleme wie Südtirol beim Gesundheitspersonal, sie haben zu wenig und es gibt keines anzustellen.
    Einzig Draghi hat frühzeitig gehandelt, um das Problem etwas abzumildern.
    Hier der Südtiroler Politik die Schuld in die Schuhe zu schieben, ist nicht wirklich angebracht.

    Bei Corona, Flüchtlingskrise oder Klimawandel in Erwägung zu ziehen, das Volk abstimmen zu lassen, finde ich aber einen abenteuerlichen Plan.

    Die Bevölkerung wird nicht durch die Politik gespaltet, sondern durch die recht eigenartige Argumentation der Impfverweigerer und die Konsequenzen, welche durch diese entstehen.
    Gibt es einen weiteren Lockdown, je niedriger die Impfquote, um so höher die Wahrscheinlichkeit, siehe
    Deutschland oder Österreich, handelt die Politik nach reiner Logik, warum sollte diese dann Schuld sein?

    Wohlgemuth macht auch nicht viel anderes, als die Gesellschaft zu spalten, indem er den derzeitigen Politikern die Schuld für alles gibt und so gut wie keine umsetzbare Alternative anbietet.

    • george

      @andreas
      Du wirst nie etwas Positives bei den Grünen finden, sondern immer „das Haar in der Suppe“ suchen, indem du alles verschweigst, was sie Positives machen und wie sie in der gesellschaft ausgleichend wirken.
      Fast alles, was du hier darlegst, schreibst du schon zum x-ten Mal, ohne etwas konkret belegen zu können, du wärmst deine durch dich versalzene Suppe bzgl. Grünen dauernd neu auf. Dadurch wird sie auch nicht gehaltvoller oder wahrer. Alles,was du hier sagst, könnte genauso ins Gegenteil verdreht werden, was dann genauso verwerflich wäre wie dein Bla, Bla hier.

  • florianegger

    Daß mehr Gehalt nicht ausreicht um die Dauerbelastung zu verringern, dürfte auch den Grünen klar sein. Ein Rezept, wie Menschen für Pflegeberufe zu gewinnen sind, fehlt auch ihnen. Und Strukturen zu schaffen ohne das dafür notwendige Personal bringt nicht weiter. Am Einfachsten ist es für Alles der Politik die Schuld zu geben, um sich dann zu wundern, wenn fähige Menschen nicht in die Politik gehen

    • felixvonwohlgemuth

      Ein angemessenes Gehalt schafft Wertschätzung, lieber Florian. Wer konstant unterbezahlt ist, der geht – und es sind schon sehr viele gegangen, was wiederum die Belastung für die verbliebenen Mitarbeiter:inner erhöht.

      Vermutlich dachten da manche (politisch) Verantwortliche, dass die Pandemie schon vorbei und somit eine Investition in das eigene Personal nicht mehr notwendig sei…
      das war ein große Fehler!

      Das solle auch den „Nicht-Grünen“ klar sein.

      • andreas

        Das Gefühl des „unterbezahlt“ ist subjektiv und stellt sich erfahrungsgemäß ca. 3 Monate nach einer Erhöhung wieder ein.
        Wirst sehen, dass die Suspendierten und die gekündigt haben merken werden, dass ein Job beim Land halt doch ein paar Privilegien hat.
        Bessere Arbeitsbedingungen wäre zielführender.

      • leser

        Lieber felix
        Da ist eben due privatwirtschaft wieder gut und um vieles ehrlicher gell
        Wenn man gut verdienen will brauchsts struktur, kompetenz und biss
        Bei einem öffentluchen job reicht oft schon die überwindung täglich den arbeitsplatz zu finden um am 27. Ein sicheres gehalt überwiesen zu bekommen
        Über das sollte man auch mal duskutieren

    • george

      @florianegger
      Wer die Verantwortung für das Tun hat, muss auch die Schuld tragen, wenn es verfehlt ist und damit nichts oder wenig erreicht wird.
      Also, schiebe „Schuld und Sühne“ nicht auf andere ab.

    • autonomerbuerger

      Ich gebe dir Recht. Gehalt allein bringt nix. Die Arbeitszeit muss 25% runter. Urlaub und Gehalt 25% rauf. Es braucht gute Weiterbildungsmöglichkeiten und Karrierechancen. Sofort 20.000 Sozialwohnungen neu bauen und den Mietmarkt überfluten. Dann klappts auch mit Standort Südtirol.
      Und nein..es bringt nichts zu sumsen, dass das zu viel kosten würde. Es rechnet sich sogar sehr gut.

  • leser

    Aiai lieber vonwohlgemuth
    Jetzt willst du mir doch echt beweisen, wenn ich dir die stimme gebe, dass du mit der einzig wahren politischen verantwortung kommst
    In etwa so wie damals beim rentenvorauszahlungsskandal dein kollege heiss nicht mehr gewusst hat dass er auch unterschrieben hat
    Ach mein lieber du wirsd doch nicht sagen, dass eine berufsgruppe in der du deine brötchen verdienst grundsätzlich vom verdrehen der tatsachen bzw. Der wahrheit lebt mit der politischen verantwortung das leben neu schreibt
    Soll ich dur dafür echt due stimme geben?

  • hermannh

    Ein grosser Teil der Impfverweiger sind oeffentliche Angestelllte (Lehrer / Krankenhausmitarbeiter) und somit liegt es an den Gruenen Aufklaerungsarbeit bei ihrem Wahlvolk zu machen. Nur immer kritisieren bringt rein gar nix. In Osterreich regieren die Gruenen mit und es laeuft auch nicht besser, also mein Aufruf an alle Gruenen, bitte zuerst die eigenen Hausaufgaben machen.

    Was machen Frau Foppa und die anderen Gruenen-Landtagsabgeordneten zur Zeit, man hoert gar nix von denen? Nur Herr von Wolgemuth, der Wahlkampf fuer die naechsten Landtagswahlen macht, sendet woechentliche seine Mitteilungen.

  • tirolersepp

    Christian Drosten
    @c_drosten
    ·
    20. Nov.
    Ein fast vollständiges Schließen der Impflücken ist durch nichts zu ersetzen. Wer das noch nicht kapiert hat, hat es noch nicht kapiert. Boostern beruhigt die Inzidenz im Winter, aber mit der jetzigen Impflücke kommen wir nicht in die endemische Situation.

  • leser

    Is anderke würde jetzt wohl sagen
    Was im osten passiert interessiwrt mich genau 0
    Wos moansch du anderle?

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