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„Gehen auf gelbe Zone zu“

Noch vor einer Woche erklärte der Biostatistiker Markus falk, dass die Corona-Lage gut ausschaue. Was sich nun geändert hat.

Tageszeitung: Herr Falk, in Südtirol wurden am Freitag sechs Intensivpatienten behandelt, in Tirol waren es am Donnerstag es 38 und auch in Deutschland stehen Krankenhäuser unter einer großen Belastung. Woran liegt das?

Markus Falk: Südtirol hat eine deutlich höhere Immunisierungsrate und dieser ist es zu verdanken, dass man bei dem nun aufkommendem Infektionsgeschehen eine noch vertretbare Intensivbelegung hat. Diese ist fast ausschließlich von der Anzahl der erkrankten Ungeimpften abhängig, da Geimpfte bei einem Durchbruch, kaum intensivpflichtig werden. Dennoch muss man hier vorwarnen. Zu viele Impfdurchbrüche spürt man irgendwann auch auf Intensiv, und man spürt sie bereits jetzt an der Bettenbelegung. So ist anzunehmen, dass derzeit ein Drittel der hospitalisierten Fälle geimpft ist. Wichtig für Südtirol war jedenfalls, dass sich über 88 Prozent der über 60-Jähringen impfen ließen. Die Ungeimpften sind deshalb im Schnitt jünger und derzeit erkranken viele im Alter zwischen 40 und 60. Bei diesen ist das Risiko auf Intensiv zu landen, wesentlich geringer als bei den älteren Ungeimpften aber nach wie vor 20-mal so hoch als bei den Geimpften. Erkrankt ein Junger schwer, ist er meist auch länger beeinträchtigt, da er noch viel Lebenszeit vor sich hat. In Tirol liegen derzeit bei einer Inzidenzrate von 639 und umgerechnet auf Südtirol 27 Fälle auf Intensiv. In Bayern sind es 28 bei einer Inzidenz von 431. Dies ist verglichen mit Südtirols fünf Fällen und einer Inzidenz von 316 ein großer Unterschied.

Vor rund einem Monat haben Sie noch gesagt, es schaut gut aus. Das ist nun nicht mehr der Fall?

Wenn man sich nur die Krankenhausbelegung ansieht, würde es noch gut aussehen. Auch die Anzahl der Todesfälle liegt weit unter der Zahl vom letzten Jahr. Über Allerheiligen und Halloween wurde aber einiges losgetreten. Hinzu kommt, dass es gerade jetzt mit den Impfdurchbrüchen losgeht, die förmlich vom Himmel regnen. Erste Analysen zeigen, dass die Wirksamkeit nach 9 Monaten plötzlich nachlässt, gerade so als hätte man den Stecker gezogen. Womit das zu tun hat, weiß man noch nicht und ist noch Gegenstand genauerer Untersuchungen. Bisher gab es in Südtirol vermutlich um drei Prozent Impfdurchbrüche. Diese drei Prozent entstanden aber erst in den letzten Wochen. Bei 378.000 Geimpften sind ein Prozent bereits 3.780 Menschen, sodass man diese Durchbrüche nicht unterschätzen darf. Manche von ihnen landen im Krankenhaus, haben aber meist einen milden Verlauf. Bei den Ungeimpften steigen die Zahlen seit Wochen stark an und haben nun für das Gesundheitssystem eine unerträgliche Anzahl erreicht. . Man muss auch für Südtirol mit einem deutlichen Anstieg der Intensivfälle rechnen und man spielt nicht nur mit der eigenen Gesundheit, sondern mit dem Schicksal der Bevölkerung. Bayern, Oberösterreich, Kärnten oder Salzburg droht deshalb ein Lockdown, möglicherweise nur für Ungeimpfte.

Welche Gebiete sind in Südtirol besonders betroffen?

In Südtirol ist derzeit die Gegend um Schlanders mit einer Inzidenz von 500 und Brixen mit 464, aber auch Sand in Taufers und Bruneck mit Werten um 400 deutlich betroffen.  Von den Zahlen her gehen wir auf die gelbe Zone zu und nächste Woche wird man seitens der ECDC wohl dunkelrot eingefärbt werden. Aus dieser Hinsicht müsste ich mein „es sieht gut aus“ wohl wieder zurücknehmen. Dennoch bleibe ich dabei, dass es gut aussieht, denn im Gegensatz zum letzten Jahr kann man nun gegensteuern. Es gilt die Ansteckungen unter den Ungeimpften zu verhindern und hierfür könnte ein 2G tauglich sein. Gegen die aufkommenden Durchbrüche, die man sehr ernst nehmen muss, kann man den Schutz vor Übertragung mit der dritten Impfdosis auffrischen, sodass man in den ersten 100 Tagen nach Impfung nicht mehr zum Überträger wird.

Man wird also auf die Drittimpfung setzen müssen?

Da die Durchbrüche nur so auf uns hereinbrechen, haben wir keine andere Chance. Es stehen bei den über 50-Jährigen derzeit an die 60 000 Auffrischungen an. In den nächsten 30 Tagen dann noch einmal 47000, sodass es einiges zu tun gibt. Zudem gehe ich davon aus, dass bald allen nach Ablauf der 6 Monate die dritte Dosis angeboten wird.

Braucht es die 2G-Regelung?

Fakt ist, dass der Grüne Pass ein zweischneidiges Schwert ist. Er hilft Fälle unter den Ungeimpften rechtzeitig zu erkennen, verleiht aber eine falsche Sicherheit. Ein negativer Test ist kein positiver Test, man kann aber dennoch positiv sein. Zudem werden Geimpfte nicht getestet, sodass es ohne Maske schnell zur Ansteckung kommen kann. Zudem könnte es vermehrt Folgeinfekte geben, da über den grünen Pass meist asymptomatisch Infizierte erkannt werden, die dann in der Heimquarantäne nun andere anstecken. Ein 2G würde demnach das Risiko einer Übertragung von Geimpft oder Genesen auf Ungeimpft oder Ungeimpft auf Geimpft deutlich reduzieren und somit auch Leben retten.

Bleiben Sie bei Ihrer Aussage, dass es keinen Lockdown geben wird?

Die Leute verstehen langsam, was ich damit gemeint habe. Man kann meine Aussage auch als Drohung verstehen. Ein Lockdown wäre das Einfachste, um in kurzer Zeit viele zu retten. Nötig ist dies, wenn es einen Notstand gibt und man keine anderen Mittel mehr zur Verfügung hat. Vor einem Jahr, aber auch noch im Frühjahr, hätten die Kapazitäten in den Krankenhäusern bei weitem nicht ausgereicht, um die große Zahl an Erkrankten, die innerhalb kürzester Zeit entstanden wären, zu versorgen. Da sich sehr viele impfen ließen, reduziert sich das Ganze nun auf etwa 50.000 nicht immune Erwachsene. Es könnte möglicherweise Einschränkungen für dies Personen geben, einen generellen Lockdown schließe ich aber klarerweise nach wie vor aus.

Interview: Markus Rufin

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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