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„Südtirol ist ein Modell“

Giuseppe Conte im großen TAGESZEITUNG-Interview: Was der ehemalige Ministerpräsident und jetzige 5-Sterne-Chef zu den Machtverhältnissen in Rom sagt. Wie er Südtirols Autonomie ausbauen will. Und warum er für Paul Rösch Wahlkampf macht.

Tageszeitung: Herr Conte, Sie waren von 2018 bis 2021 mit zwei unterschiedlichen Mehrheiten italienischer Ministerpräsident. Jetzt regiert Mario Draghi mit einem Kabinett der nationalen Einheit, in der die 5 Sterne die größte Fraktion stellen. Wie viel Conte-Regierung steckt in der Draghi-Regierung?  

Giuseppe Conte: Eine Menge, da sich die Arbeit der Regierung Draghi in Kontinuität mit dem entwickelt hat, was die Regierung Conte 2 getan hat. Ich mache zwei Beispiele: der Kampf gegen die Pandemie und der Plan zum Nationalen Wiederaufbau. Die Daten zum BIP geben aus wirtschaftlicher Sicht ermutigende Signale, auf sozialer und beschäftigungspolitischer Ebene müssen wir weiter daran arbeiten, die Steuern zu senken, einen Mindeststundenlohn für Arbeitnehmer zu garantieren und Ungleichheiten auszugleichen.  Das sind die großen Herausforderungen, denen wir uns stellen.

Seit einigen Monaten sind Sie Chef der 5-Sterne-Bewegung. Wie wird sich der neue M5S unter Ihrer Führung ausrichten?

Die 5-Sterne-Bewegung hat einen neuen Weg eingeschlagen, der auf zwei Grundpfeilern ruht: Einerseits die Erhöhung des Niveaus der politischen Vorschläge mit dem einzigen Ziel, die Lebensqualität der Bürger zu verbessern;  andererseits, in die Gebiete zurückzukehren, um einen echten Dialog zu eröffnen und die Bedürfnisse der Menschen vollständig zu verstehen. In den letzten Wochen gab es in ganz Italien Momente des Zuhörens und der Diskussion, die wirklich sehr wichtig sind. Wie ich schon mehrfach sagte, ist dies die Aussaatphase. Von hier aus beginnt die Bewegung mit Ernsthaftigkeit und vor allem Kompetenz. Wir glauben an ein integratives Projekt mit Blick auf Italien im Jahr 2050.

Was sind die zentralen Punkte, die Ihre Bewegung in der Regierung nicht aufgeben will?

Wir glauben an eine nachhaltige Entwicklung, wir betrachten den ökologischen und digitalen Wandel mit einem wachsamen Auge darauf,die Bedürftigen nicht zurückzulassen.  Der 110% Superbonus wird mit dem Haushalt verlängert, eine Maßnahme, die unserer Wirtschaft und vor allem dem Bausektor einen sehr starken Schub gegeben hat: Ohne die 5-Sterne-Bewegung hätte es diese Erleichterung nie gegeben.  Die Rede ist von einer Maßnahme, die Arbeitsplätze schafft und entscheidend für den ökologischen Wandel ist, von dem ich anfangs gesprochen habe.  In den letzten Tagen sind wir zurückgekehrt, um über das Staatsbürgerschaftseinkommen zu diskutieren, es gibt politische Kräfte, die sogar so weit gegangen sind, ihre Abschaffung zu fordern.  Da war mir ganz klar: Es wäre ein tragischer Fehler.  Es ist ein soziales Sicherheitsnetz, das während der Pandemie so viel getan hat, um gefährliche soziale Umstände zu vermeiden, und es ist unverzichtbar.  Wir werden sicherlich daran arbeiten, sie zu verbessern und sie mit ernsthaften Interventionen der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu kombinieren.  Auch der Mindeststundenlohn ist Teil dieses Bildes, ein Kampf um die Zivilisation, auch im Zentrum der jüngsten deutschen Wahlen.  Es ist sicherlich ein entscheidendes Ziel für das Italien der Zukunft.

Steht Ihre Bewegung komplett hinter Ihrer Führung oder gibt es bereits Strömungen, die dagegen arbeiten?

Die 5-Sterne-Bewegung konzentriert sich in ihrer Gesamtheit darauf, diesem neuen Kurs Leben einzuhauchen.  Wir sind eine politische Kraft mit vielen Sensibilitäten, Momente des ständigen Dialogs und der Konfrontation sind nicht nur normal, sondern auch physiologisch.

Die Südtiroler Volkspartei hat Ihre Regierung immer unterstützt. Sie selbst haben in Senatorin Julia Unterberger eine überzeugte Unterstützerin gefunden. Wie beurteilt der M5S die Autonomie Südtirols und beabsichtigt er, die Anliegen der Sprachminderheit zu unterstützen?

Wenn von der SVP Beiträge kamen, die auf Pragmatismus und den Bedürfnissen des Territoriums – und nicht auf ideologischen Zwängen – beruhen, wurden sie immer ernst genommen. Uns verbindet schon lange der Wunsch, Probleme zu lösen.  Ich erinnere mich zum Beispiel an das ausgezeichnete Gespräch mit Senatorin Unterberger über das Sonderregister für deutsche Ärzte ohne Zweisprachigkeit, in das auch Minister Federico D’Inca eingegriffen hat.  Eure Autonomie funktioniert und ist ein solides Modell.  Dies ist nicht nur der SVP zu verdanken, sondern auch den vielen Realitäten, die diesem Territorium Ansehen verleihen. Die Garantien der Verfassung für sprachliche Minderheiten sind ein wertvolles Gut, das wir bewahren müssen, indem wir einige Gebiete des Landes zunehmend auch an der nationalen Dynamik beteiligen.  Auch Südtirol – trotz seiner Autonomie – muss in dieser für Italien entscheidenden Phase eine aktive Rolle spielen und ein Protagonist sein.

Wie ist der Draht zum M5S in Südtirol?

Der Dialog hat nie aufgehört. Riccardo Fraccaro informiert mich über die wichtigsten Fragen des Territoriums.  Zu einigen Dossiers wie die A22 und der Aussetzung des Steuerrückstands hatte ich immer sehr genaue Angaben.  Ich hoffe, dass die Verbindungen in Zukunft intensiviert werden können: Die 5-Sterne-Bewegung möchte wieder allen Territorien maximale Bedeutung beimessen und Südtirol war immer ein Beispiel für Fleiß und Tatendrang.

Was halten Sie von dem auch von Ihrer Partei unterstützten Bürgermeisterkandidaten Paul Rösch?

Ich denke, er ist ein idealer Kandidaten für eine Stadt wie Meran und das nicht nur für Ideen, Werte und Projekte.  Er ist ein der Politik dienender Bürger und ich bin sicher, er wird das Beste für diese Stadt tun können.  Ich habe es in den letzten Tagen mehrmals wiederholt: Die 5-Sterne-Bewegung ist in den Gemeinden präsent, in denen es möglich ist, die Messlatte des politischen Vorschlags höher zu legen.  Meran ist ein Beispiel dafür.

Welche Botschaft möchten Sie den Meraner Bürgerinnen und Bürgern anlässlich Ihres Besuchs mitgeben?

Ich bitte die Meraner Bürgerinnen und Bürger, der 5-Sterne-Bewegung zu vertrauen und sich von unserer Begeisterung anstecken zu lassen: Wir stehen vor entscheidenden Herausforderungen, auch im ökologischen und digitalen Wandel.  Wir müssen sofort an dem Italien arbeiten, das wir in dreißig Jahren wollen.  Wir sind in der Lage, mit mehr Wachstum und Gerechtigkeit und weniger Ungleichheit und Diskriminierung in eine neue Saison zu starten.  Wir bitten Südtirol, sich unserem neuen Weg anzuschließen.

Interview: Matthias Kofler und Karin Gamper

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (8)

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  • rumer

    Die Italiener verschliessen die Augen vor den wahren Problemen Italiens. Das ist der demographische Wandel, aufgebaut auf der niedrigen Geburtenrate und der hohen Auswanderung der Jugend. Italiens Bevölkerung ist im Schwinden, die 60 Millionenmarke schon nach unten geknackt. Im Jahre 2100 wird Italien noch 30 Millionen Einwohner haben,. Die Ökologie wird nicht das große Problem sein,
    Wichtig ist jetzt ein Bürokratiebabbau, Abbau der hohen Zahl an öffentlichen Bediensteten, Reduzierung der Anzahl der Politiker usw. Man kann und muss viel reduzieren, wenn sich cie Bevölkerung halbiert, auch das Heer, Anzahl der Lehrer, Beim Reduzieren des Gesundheitswesens ist Italien hingegen schon weit fortgeschritten.

  • artimar

    Das Ergebis der Andienerei SüdTirols an die Conte-Regierung ist, wenn man man es autonomiepolitisch im Ergebnis betrachtet, sehr mager. Daran konnte offensichtlich wohl auch Unterberger wenig ändern. Dazu bedürfte es wohl nicht nur einer diplomatischen Weitherzigkeit Italiens, sondern einer grundlegenden Wende.
    Andere Ethnien, Kulturvielfalt und Bedürfnisse in einer gelebten Autonomie werden im nationalherrschaftlichen Sendungsbewusstsein Italiens nach wie vor als zu eliminierende Störfaktoren betrachtet: „…trotz Autonomie“ (sic! – Conte)
    Dass die offensichtliche Diskriminierung der deutschsprachigen Ärzte gegenüber den italienischsprachigen mit einem Sonderregister für deutsche Ärzte ohne Zweisprachigkeit, der SVP als Autonomiefreundlichkeit verkauft werden konnte, hat mit Contes persönlichem Geschick zu tun. Dass dieser diskriminierde Passus abgeschwächt — und nicht „behoben“ (Südt. Tageszeitung) wurde, ist für einen Rechtsstaat beschämend genug. Die Bestimmung der entsprechenden italienischen Norm, die nur Italienisch als Sprachzulassungsvoraussetzung zulässt, widerspricht nicht nur dem völkerrechtlich hierzulande geltenden Prinzip der völligen und gänzlichen Gleichstellung des Deutschen mit dem Italienischen, sondern auch dem Europarecht. Die Frage an ihn müsste dann wohl eher lauten, warum man diesen Diskriminierungspasus nicht gleich ganz aus dem Gesetz gestrichen hat.

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