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Kopf in der Datenwolke

Valerie Messini und Damjan Minovski: Sich eine Dystopie vorzustellen, ist immer einfacher als eine Utopie.

Mit einer VR-Installation laden Valerie Messini und Damjan Minovski, beide Architekten, in der Stadtgalerie Bozen dazu ein, die Grenzen des physischen Raums hinter sich zu lassen und virtuelle Welten zu erkunden. Es geht um nichts weniger als die Frage, was das dauernd Scherereien bereitende Ding namens Realität ist.

Tageszeitung: „Head in a cloud“ heißt eure VR-Installation in der Stadtgalerie Bozen. Haben Valerie Messini und Damjan Minovski den Kopf in den Wolken?

Valerie Messini: Der Titel ist mehrdeutig gemeint. Die „cloud”, die hier gemeint ist, ist nicht so sehr die meteorologische Wolke, vielmehr die „Datenwolke”, das Internet, der virtuelle Raum. Auch ist „cloud” ein Hinweis auf die gewählte Darstellungsform, die „point cloud”, Punktwolke, der Geomorphologie entliehen, wo sie für die Herstellung digitaler Höhenmodelle verwendet wird.

Die Wolke ist komplett digital. Ist das, was wir Realität zu nennen gelernt haben, nicht mehr spannend genug für euch?

Valerie Messini: Was ist Realität? Und was ist dann virtual reality?  Das waren die Hauptfragen, auf die wir mit diesem Projekt Antworten finden wollten. Realität ist nicht auf Materialität begrenzt.  Das war sie in der Menschheitsgeschichte noch nie. Sagen, Mythen, die Religion und andere Geschichten sind seit jeher Kulturstiftend und prägen unsere emotionale und moralische Rezeption von Gegenständen und Ereignissen. Diese Gesamtheit würde ich Realität nennen.

„Head in a cloud“ bietet eine räumliche und atmosphärische Reise durch vierzigtausend Kubikkilometer virtueller Landschaften, Soundscapes und Städte an. Welche Landschaften und Städte zeigen Sie?

Valerie Messini: New York, Berlin, Wien, Death Valley, den Mars, die Sonne sowie verschiedene fiktive Formationen und Flugkörper, digitalisierte Steine (darunter der größte Gelehrtenstein Chinas aus dem Sommerpalast in Peking), Muscheln und – in Nebelschwaden versteckt – riesige Lachsforellen.

Die Unterscheidung zwischen Virtual Reality und Virtual Fantasy scheint dabei keinen Sinn zu machen. Oder doch?

Valerie Messini: Nein.

Wenn man die Brille aufsetzt, sehen die Augen etwas, von dem das Gehirn überzeugt ist, dass es keinesfalls existieren kann. Könnte man es, paradox formuliert, ein fake-authentisches Erlebnis nennen?

Damjan Minovski: Fake ist ein zu hartes Wort dafür, virtuell ist da schon passender. Aber es geht uns auch genau darum, aufzuweichen und in Frage zu stellen, wovon das eigene Gehirn so überzeugt ist.

Warum wird einem schwindlig?

Damjan Minovski: Aus dem selben Grund ,warum manchen schlecht wird, wenn sie im Auto ein Buch lesen: Wenn die inneren Signale (z.B.  vom Mittelohr) zu den äußeren (z.B. von den Augen) im Widerspruch stehen, nimmt das Gehirn an, vergiftet worden zu sein und reagiert entsprechend, um sich zu schützen – im schlimmsten Fall übergibt man sich. Aber das ist bei uns noch nicht passiert, und schwindelig wurde auch kaum wem.

„Head in a Cloud“ von 2MVD: Im besten Fall vergisst man, dass man eine Brille aufhat.

Euer Interesse gilt der Verbindung von Kunst, Architektur und Technologie. Ist VR das Supermedium, das alles unter einen Hut bringen kann?

Damjan Minovski: Es ist auf jeden Fall ein Schritt in diese Richtung. Aber die Technologie ist momentan noch nicht benutzerfreundlich genug, um eine Revolution zu beginnen wie es z.B. Smartphones vor 15 Jahren getan haben. So wie es jetzt scheint, entwickelt es sich mehr in Richtung AR/XR (augmented und mixed reality), also der Überlagerung der Realität mit dem Virtuellen.

Als Simulationstechnik für Architektur-Renderings hat VR zweifellos eine große Zukunft vor sich. Die Frage ist, ob das auch für die Kunst gilt.

Valerie Messini: In der Kunst geht es auch oft darum, dass ein Betrachter in die Welt des Künstlers eintauchen kann, hierfür eignet sich VR und andere immersive Medien sicherlich besser als die klassischen Medien der bildenden Kunst.

Die Täuschung des Auges gilt seit der Antike als Zeichen höchster Meisterschaft in der Kunst. Seht ihr eure Virtual-Reality-Werke als Fortsetzung der klassischen Trompe-l’œil-Kunst?

Valerie Messini: Ja. Wir wollten mit unserer Arbeit eine Umgebung schaffen, in die der Betrachter eintauchen und sie räumlich erfahren kann. Der Raum ist hier allerdings keine Täuschung oder Staffelung zweidimensionaler Ebenen, sondern tatsächlich dreidimensional konstruiert (durch 3d Software). Die Täuschung bezieht sich in diesem Fall eher auf die Materialität des Raumes.

Bei VR-Kunst wird man häufig den Verdacht nicht los, dass es letztlich darum geht, die Potenz des technischen Apparats zu demonstrieren. Kann die Ästhetik sich dagegen behaupten?

Valerie Messini: Auf jeden Fall. Und das muss sie auch können, damit sich ein Kunstwerk von einem Spiel oder einer sonstigen Entertainment-Applikation unterscheidet.

Damjan Minovski: Der Apparat ist zwar eine Notwendigkeit, aber nur von außen als solcher zu sehen. Im besten Fall vergisst man, dass man eine Brille aufhat.

Ich vermute, es geht in Head in a cloud darum, technologischen Wandel zu antizipieren und die Umwälzungen, die die digitale Welt für uns alle mit sich bringt, in eine künstlerische Form zu bringen. Richtig oder falsch?

Damjan Minovski: Richtig!

Für viele ist virtuelle Realität eine Utopie, ist für andere ist es eine Dystopie. Ist die Welt, vor allem die Arbeitswelt, nicht ohnehin schon digital genug?

Damjan Minovski: Ja,  und durch Corona noch viel mehr. Aber leider oft unbedacht in der Umsetzung.

Valerie Messini: Uns geht es nicht um das „Ob”, das sich ohnehin kaum mehr bestreiten lässt, sondern um das „Wie”.

Damjan Minovski: Während man sich im Design von digitalen Benutzeroberflächen vom Skeuomorphismus weitgehend verabschiedet hat, findet man ihn in virtuellen Welten leider noch viel zu oft.

Valerie Messini: Und deshalb funktionieren sie auch teilweise einfach nicht, beziehungsweise werden zur Dystopie.

Damjan Minovski: Sich eine Dystopie vorzustellen, ist immer einfacher als eine Utopie.

Valerie Messini: Ich persönlich mag keinen der beiden Begriffe, da ihnen gemeinsam eine streng vorbestimmte und oftmals stark hierarchische Gesellschaftsordnung zu Grunde liegt.

Damjan Minovski: Wir sehen unsere Arbeit als einen Beitrag, die Möglichkeiten dieser neuen Realitäten zu erforschen. Als solche lässt sie auch viel offen, was vom Betrachter interpretiert werden soll.

Interview: Heinrich Schwazer

Info

Laurie Andersons und Hsin-Chien Huangs „Chalkroom“, sowie „Head in a Cloud“ von 2MVD sind im Rahmen des Festivals Transart bis 24. September in der Stadtgalerie Bozen zu sehen.

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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