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„Pandemie der Ungeimpften“

Covid-Einsatzleiter Marc Kaufmann erklärt, wie sich die Situation in den Spitälern entwickeln wird und warum er glaubt, dass es keine Überlastung mehr geben wird.

Tageszeitung: Herr Kaufmann, derzeit liegen sieben Covid-Patienten auf den Intensivstationen. Wird die Lage in Südtirol wieder ernst?

Marc Kaufmann: Wir hatten vor einigen Wochen das Gefühl, dass es nun richtig los geht, wir haben gesehen, dass es in den Krankenhäusern ein bis zwei Zugänge pro Tag gab und haben befürchtet, dass diese Zahlen weiter steigen. Jedoch hat sich die Lage wieder etwas beruhigt. Auf den Intensivstationen befinden sich Patienten, die bereits seit Wochen dort behandelt werden. Sie brauchen lange, bis sie sich erholen. Es ist wichtig zu verstehen, dass für Intensivpatienten der Weg zurück sehr lange und schwierig ist und er nicht immer dorthin führt, wo man vor der Covid-Erkrankung war.

Um wen handelt es sich bei diesen Intensivpatienten?

Es handelt sich um relativ junge Patienten zwischen 30 und 60 Jahren. Im Vergleich zu den vorherigen Wellen haben wir den Eindruck, dass sich das Infektionsgeschehen aktuell in der jüngeren Bevölkerung abspielt. So gut wie alle Patienten sind ungeimpft und ohne besondere Vorerkrankungen. In einem bestimmten Alter entwickeln viele Menschen z.B. einen leichten Bluthochdruck oder leiden an Übergewicht, das sind aber übliche altersassoziierte Erkrankungen und daher darf man nicht von relevanten Vorerkrankungen sprechen.

Sie haben gesagt, so gut wie alle sind ungeimpft. Das heißt, dass sich auch Geimpfte auf den Intensivstationen befinden?

Ja, aktuell ein Patient. Jedoch ist es so, dass es bei jeder Impfung Menschen gibt, die trotz Impfung keinen adäquaten Schutz aufbauen – egal ob das z.B. eine Hepatitis- oder eben eine Covid-Impfung ist. Bei älteren Patienten oder z.B. bei Transplantationspatienten, die Immunsuppressiva einnehmen, kann es so durchaus vorkommen, dass die Impfung nicht adäquat anspricht. Doch selbst bei diesen Menschen sieht es so aus, als würde die Impfung trotzdem helfen, die Krankheit eher zu überstehen.

Der Sanitätsbetrieb möchte nun bekannt geben, wie viele der Neuinfizierten und wie viele der Intensivpatienten geimpft sind. Wissen Sie, wann es so weit sein wird?

Nein, das weiß ich nicht. Es ist aber evident, dass nur ein Bruchteil der Neuinfizierten und der Krankenhauspatienten geimpft sind. Es ist – und das kann man getrost so deutlich sagen – nun eine Pandemie der Ungeimpften. Experten gehen davon aus, dass sich praktisch alle ungeimpften Personen in diesem Winter infizieren werden, sobald die Virusmenge in der Bevölkerung wieder groß genug ist. Natürlich landet auch hier nur ein kleiner Prozentsatz in den Krankenhäusern, dennoch sollte es eine große Warnung sein, denn es kann grundsätzlich jeden treffen.

In den letzten zwei Wochen gab es 4 Todesfälle in Südtirol in Zusammenhang mit dem Virus. Wurden diese Personen im Krankenhaus behandelt?

Ich kenne nur die Daten der Patienten auf den Intensivstationen im Detail, ich weiß aber, dass es sich um Patienten im fortgeschrittenem Lebensalter mit vielen relevanten Zusatzerkrankungen handelt.

Sie haben eingangs gesagt, die Lage hätte sich nun beruhigt. Woran liegt das?

Das ist eine schwierige Frage. Wir haben im Land ja eine internationale Expertenkommission, wo regelmässig über die aktuelle Lage in Südtirol aber auch in den Nachbarländern gesprochen wird. Die deutschsprachigen Nachbarländer haben eine ähnliche Durchimpfungsrate, vielleicht sogar etwas niederer als Südtirol. Der Kollege aus der Schweiz hat berichtet, dass man dort mit hoher Geschwindigkeit in die vierte Welle geraten ist. Dazu muss man wissen, dass der Schulbetrieb in der Schweiz bereits vor einigen Wochen begonnen hat. Das heißt nicht, dass die Schule der Haupttreiber der Infektion ist, aber zu Schulanfang sind viele Familien aus dem Urlaub zurückgekehrt. Die Vermutung ist also, dass diese die Infektionen großteiles mitgebracht haben. Teilweise sah man sich in der Schweiz sogar wieder dazu gezwungen Dienste der normalen Medizin zurückzufahren, weil man nahe an die Kapazitätsgrenzen gekommen ist. Ähnlich, wenn auch weniger dramatisch, ist die Situation in bestimmten österreichischen Bundesländern. Die Fallzahlen sind innerhalb kurzer Zeit gestiegen und auch in den Krankenhäusern und Intensivstationen gab es wieder mehr Aufnahmen. Das war bei uns vor sieben bis zehn Tagen auch so, jetzt wurde es aber abgebremst. Woran das liegt, kann man schwer sagen. Wir gehen aber nach wie vor davon aus, dass wir mit Herbst eine gewisse Belastung erfahren werden.

Wie groß wird diese Belastung?

Das Ausmaß hängt vom Verhalten der Bevölkerung und vor allem von den Ungeimpften ab. Sie sind die Pfeiler der vierten Welle. Das Infektionsgeschehen beschränkt sich nun auf die 30 bis 40 Prozent der gesamten Bevölkerung, die eben nicht geimpft sind. Es kann aber niemand abschätzen in welcher Größenordnung sich das nun auswirkt. Wir haben also zwei große Unbekannte: Auf der einen Seite ein viel gefährlicheres Virus, das sich innerhalb von Sekunden verbreiten kann, auf der anderen Seite ist ein Großteil der Bevölkerung durch die Impfung geschützt. Je mehr geimpft sind, desto eher kann man die Pandemie irgendwann beenden.

Hat sich auch Südtirol darauf eingestellt, die Normalmedizin zugunsten der Covid-Medizin einzuschränken?

Unser Ziel ist es, so viel und so lange wie möglich normale medizinische Dienstleistung anzubieten. Auch um die Visiten und Operationen, die nun beispielsweise nach hinten verschoben wurden, aufzuholen. Aufgrund des Personalausfalls, einer möglichen vierten Welle und einer hoffentlich stattfindenden Wintersaison ist das aber eine sehr große Herausforderung. Im vergleich zum letzten Jahr haben sich viele Sachen geändert, teilweise ist es sogar noch schwieriger geworden. Umso mehr spielen der dynamische Bettenplan der Medizinischen Einsatzleitung und die Vernetzung der Krankenhäuser eine wichtige Rolle. Ich möchte hinzufügen, dass einige Nachbarländer staunen, wie wir in Südtirol das Alles gestemmt haben.

Können Sie sich vorstellen, dass es trotz Impfung zu einer Überlastung der Krankenhäuser kommen wird?

Nichts ist auszuschließen und alles was man sagt, kann in zwei Wochen wieder falsch sein. Die Mittel, die wir nun zur Verfügung haben, sind aber viel besser. Wir haben einen Großteil der Bevölkerung durch die Impfung geschützt, wir haben es geschafft die Intensivbetten in den Krankenhäusern zu verdoppeln oder gar zu verdreifachen und zudem haben wir Personalteams gebildet, die auf Covid-Medizin eingeschult wurden. Diese Teams, die grossteils aus der Anästhesie und dem OP kommen, machen zwar jetzt wieder ihre gewohnte Tätigkeit, könnten aber auf Abruf jederzeit wieder einsteigen. Grundsätzlich sind wir also um Welten besser aufgestellt als noch zu Beginn der Pandemie. Es bleibt aber die Frage, wie gefährlich die Delta-Variante oder mögliche andere Varianten werden. Zudem gibt es nicht nur die Überlastung sondern auch die gewöhnliche Belastung. Sieben Intensivpatienten klingen zwar nicht nach viel, aber für mittelgroße Krankenhäuser bedeutet das mehr als die komplette vorgehaltene Kapazität an Intensivbetten . Wenn man bedenkt , dass Covid-Intensivpatienten auch noch über mehrere Wochen betreut werden müssen, dann wird klar welch enorme Herausforderung hier zu bewältigen ist.

Wie wird sich die Situation in den Krankenhäusern in den kommenden Tagen entwickeln?

Die medizinische Einsatzleitung spricht sich jeden Tag ab, daher wissen wir auch sehr schnell, welche Aktivitäten sich abzeichnen. Momentan ist die Lage stabil und die wird sich kurzfristig nicht dramatisch verändern. Diese Aussage bezieht sich allerdings nur auf die kommenden Tage. Es kann sein, dass wir bald, ähnlich wie vor zwei Wochen, wieder mehr Zugänge in den Krankenhäusern und Intensivstationen verzeichnen.

In Südtirol sind gerade einmal 60 Prozent geimpft. Ihr Kollege Patrick Franzoni sagt, dass es eine Impfrate von 80 Prozent braucht, um die Pandemie zu beenden. Sehen Sie das auch so?

Das sehe nicht nur ich persönlich so, sondern das sind die internationalen Experten-Meinungen auf Südtirol umgemünzt. Derzeit tragen wir Maske und halten Abstand, da wir Angst vor einer vierten Welle haben. Mit einer Durchimpfungsrate von 80 bis 90 Prozent könnte man diese Vorsichtsmaßnahmen wahrscheinlich als weitgehend hinfällig betrachten. Zumindest sieht man, dass einige andere Länder mit gutem Erfolg auf diese Maßnahmen verzichten, weil die Bevölkerung fast vollständig geschützt ist. Endgültig zeigen, ob diese Strategie aufgeht, wird das aber erst die kalte Jahreszeit, wo respiratorische und grippale Infekte Hauptsaison haben.

Interview: Markus Rufin

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (72)

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  • unglaublich

    „In den letzten zwei Wochen gab es 4 Todesfälle in Südtirol in Zusammenhang mit dem Virus. Wurden diese Personen im Krankenhaus behandelt?“
    Auf diese Frage antwortet Kaufmann, dass es sich um Menschen im fortgeschrittenem Alter mit relevanten Zusatzerkrankungen handelte. Wieso??? Wieso sagt er nicht, dass sie möglicherweise geimpft waren. Hat man bei der Zählung der Coronatoten in der Vorimpfzeit jemals darauf verwiesen, dass es sich um alte Menschen mit schweren Vorerkrankungen handelte???
    Diese Zählung mit, an oder im Zusammenhang mit Covid gestorben war schlicht und einfach eine Verfälschung von Daten.

    • gorgo

      Von Anfang an war klar, dass es sich bei den meisten Toten, um alte Menschen und/oder mit Vorerkrankungen handelte.
      Von Anfang an gab es Arschgesichter die das wenig störte. So wie es auch Politik und Wirtschaft wenig störte.
      Erst die Überlastung der KH und der Sozialsystem wurde als Problem erkannt. Und warum? Weil es zuviele Leute wie dich gibt, die sich gegen jede vernünftige vorbeugende Massnahme stellen.
      Sich einreden gegen das ‚System‘ und gegen böse geheime Pläne zu wehren, aber im Grunde selbst das System sind.

    • heracleummantegazziani

      Nein, Sie waren nicht geimpft. Unter den sieben, die jetzt dort liegen ist auch nur ein Pazient geimpft (hat aber etlliche Vorerkrankungen).

  • unglaublich

    Schon beeindruckend. Ich rede über Daten-Wahrheit und schon entflammt sich der Volkeszorn. Beruhigt euch mal, in meinem Beitrag geht es nur um Statistik! Man sieht, Angst- und Panikmache ist erfolgreich.

    • steve

      Bla bla!
      1. Wenn einer schreibt mit oder an Corona verstorben ist das keine Fälschung von Daten sondern die Beischreibung dessen was gezählt wurde.
      2. Wollen sies genau wissen müssten sie bei jedem Toten eine Autopsie machen was praktisch nicht durchführbar ist.
      3. Geht es darum dass die Krankenhäuser nicht überfüllt sind weil dann auch die Jungen ohne Vorerkrankung sterben.

      Tun sie mir einen Gefallen antworten sie nicht auf meinen Post, da sie ohnehin nicht bereit sind das zu begreifen.

    • gorgo

      Na, nur ein Kerzerl.
      Und es geht nicht um Angst und Panik. Es geht darum, dass manche einfach zu blöd sind über mehrere Ecken oder auch nur grob überschlägig zu denken. Deshalb haben sie auch keine Angst.

  • unglaublich

    Schon klar Jungs, geht raus, genießt den schönen Samstag!

  • andreas

    Die Impfgegnerhelden werden sich noch impfen lassen, sie wissen es nur noch nicht.
    Draghi hat gewiss noch ein paar Maßnahmen, um auch den Letzten zu überzeugen.
    Da nützt das ganze Geschwafel nichts.

  • george

    Sich groß das Mundwerk zerreißen und sich nicht ordentlich ausdrücken zu können, das ist bei den meisten hier ihr geistiges Handwerk. Analytische Auseinandersetzung und Vertiefung der Inhalte um daraus die folgerichtige Lehre zu ziehen, scheinen die meisten hier nicht zu kennen oder auch nicht zu wollen. Ihr Machwerk ist reine Polemik.

    • gorgo

      Korrekt. Und? Du kannst nicht zu einem Hahnenkampf gehen und dir eine Oper erwarten.
      Die TZ selbst ist längst vom Boulevard in den Kanal gerutscht und wenn sie hier eine Plattform bzw. einen Hinterhof anbietet, wo Typen sich in Fäkalsprache dissen können, so finden halt sich Leute die das gerne machen. Finde dich damit ab und amüsier dich.
      Bis auf 4,5 die ich gerne lese, bin ich eigentlich nur hier, um mich intelligenter als der Durchschnitt zu fühlen. ^^ Und auf meinen Lieblingsgockel zu setzen.

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