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„Gegen die Impfpflicht“

Die nationalen Gewerkschaften sind für die Impfpflicht – für SGB-Cisl-Chef Dieter Mayr darf sie aber nur die allerletzte Maßnahme sein.

Tageszeitung: Herr Mayr, die nationalen Gewerkschaften haben sich in einem Brief an Ministerpräsident Mario Draghi für eine allgemeine Corona-Impfpflicht ausgesprochen. Teilen Sie das?

Dieter Mayr: Wir bleiben bei unserer Position: Wir sind gegen eine allgemeine Impfpflicht. Wir sind stattdessen für die Ausweitung des Green Pass, für Aufklärung und Überzeugungsarbeit. Zugleich sind wir der Meinung, dass die Impfung das sinnvollste Instrument ist, um die Pandemie zu bekämpfen. Dementsprechend rufen wir die Menschen zur Impfung auf. Aber mit einer allgemeinen Impfpflicht tun wir uns wirklich schwer. Natürlich wäre eine Impfpflicht ein klarer juristischer Schritt, um viele Probleme auf einmal zu lösen, aber gleichzeitig würde eine Impfpflicht ein Scheitern der Kommunikation bedeuten. Die Pflicht sollte das letzte Mittel sein, falls es wirklich nicht mehr anders geht. Wenn der Staat eine Impfpflicht beschließt – das steht dem Gesetzgeber zu –, werden wir sicher keinen Sturm auf Rom starten, aber wir hoffen, dass es ohne Verpflichtung geht.

Wie erklären Sie sich die Meinungsentwicklung bei den nationalen Gewerkschaften? Zuerst eher gegen eine Ausweitung des Green Pass, jetzt auf einmal für den radikalen Weg einer Impfpflicht…

Ich verstehe es nicht ganz. Man hat allgemein das Gefühl, dass die Regierung versucht hat, das Thema auf die Sozialpartner abzuwälzen. Diese sollten in den Sicherheitsprotokollen festschreiben, dass der Green Pass oder die Impfung Zugangsvoraussetzung für die Arbeit ist. Aber es ist problematisch, über die Sicherheitsprotokolle durch die Hintertür eine Impfpflicht einzuführen, weil die gesetzlichen Bedingungen nicht gegeben sind. Auch die soziale Gleichheit ist ein Thema, wenn man jemandem mit finanziellen Schwierigkeiten sagt, er muss die Corona-Tests selbst bezahlen. Das ist heikel. Wir sind für eine klare, nationale gesetzliche Regelung zur Ausweitung des Green Pass. Den Ball aber den Sozialpartnern zuzuschieben, weil sich die Politik nicht einig ist, hat den Gewerkschaften nicht geschmeckt – und schmeckt auch mir nicht.

Wäre eine Impfpflicht nicht auch ein Schaden für die Wirtschaft und die Gesellschaft, wenn allein in Südtirol vermutlich tausende impfkritische Menschen suspendiert und vom Arbeitsmarkt verschwinden würden – mit allen sozialen Auswirkungen, wenn plötzlich viele Menschen ohne Einkommen dastehen?

Es wäre ja nicht die erste Impfpflicht. In gewissen Sektoren – auch außerhalb der Sanität – gibt es bereits Pflichtimpfungen. Eine Corona-Impfpflicht sehe ich aber insofern als Schaden, dass damit die Politik in der Kommunikation und Überzeugungsarbeit gescheitert wäre, den Menschen die wissenschaftlichen Erkenntnisse nahezubringen. Wenn die gewählten Vertreter im Parlament eine Impfpflicht gesetzlich beschließen, muss man auch sagen: So funktioniert eben Demokratie. Man braucht nicht meinen, dass Italien ein autoritärer Staat ist – bei so vielen Parteien im Parlament, die jede Stimme vertreten. Die von Ihnen genannte Gefahr besteht, aber es geht auch um Eigenverantwortung: Man muss als Einzelperson mit den Bedingungen umgehen können, die einem die Gemeinschaft auferlegt. Und der Staat ist nun einmal eine Gemeinschaft, die sich Regeln gibt. Die Minderheit muss sich entsprechend anpassen und die Konsequenzen tragen.

Bei der Impfpflicht geht es um einen heiklen gesundheitlichen Aspekt…

Natürlich – es geht um einen gesundheitlichen Aspekt, um die eigene Gesundheit, und um das Interesse der Öffentlichkeit, dass die Menschen gesund sind. Man muss sich auch bewusst sein: Wenn die Menschen krank oder in Quarantäne sind und 14 Tage daheim bleiben müssen, ist das ebenso ein wirtschaftlicher Faktor. Und wenn etwa ein Lehrer fehlt und es vielleicht keinen Ersatz gibt, muss die Schulklasse daheim bleiben. Aus dieser Situation müssen wir irgendwann herauskommen.

Aber grundsätzlich soll eine allgemeine Impfpflicht aus Ihrer Sicht dennoch nur als allerletzte Maßnahme angedacht werden?

Ja, sie muss die letzte Maßnahme sein. Es gibt genügend Argumente, um den Menschen zu erklären, dass eine Impfung sinnvoll ist. Es gibt auch viele Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. Solidarität denen gegenüber wäre auch wichtig, indem sich jene Menschen impfen, die es können. Wir leben in einem zivilisierten und demokratischen Staat, wo viel von Eigenverantwortung abhängt. Wenn das aber irgendwann nicht mehr funktioniert, muss der Staat – der wir letztendlich alle sind – eben andere Maßnahmen ergreifen, als Ultima Ratio.

Interview: Heinrich Schwarz

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