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„Vorsicht ja, Angst nein“

Sepp Kusstatscher

Wie der ehemalige grüne EU-Parlamentarier und SVP-ArbeitnehmerInnen-Chef Sepp Kusstatscher die Fronten zwischen Impf-Befürwortern und Corona-Leugnern aufweichen möchte.

TAGESZEITUNG Online: Herr Kusstatscher, wie tief ist unsere Gesellschaft gespalten?

Sepp Kusstatscher: Ich spüre so häufig, dass es mit beiden Seiten – sowohl mit orthodox Strenggläubigen, als auch mit den abtrünnigen Häretikern – schwierig ist, ins Gespräch zu kommen.

Warum?

Weil die Meinungen so festgefahren sind, dass kein Dialog möglich ist. Die Einen sagen, dass die Impfung dringend notwendig ist. Wenn man diese Leuten darauf hinweist, dass sie trotzdem infiziert werden und andere Leute anstecken können, dann brechen sie das Gespräch ab. Genauso ist es mit den Irrlehrern, die alles schwarz und überall eine Verschwörung sehen und davon überzeugt sind, dass ein Krieg mit Viren über uns hereinbricht. Es ist so schwierig, mit beiden Extremen in den Dialog zu kommen, sie mit kritischen Fragen zu verunsichern und von ihren extremen Positionen abzubringen.

Wie erklären Sie sich, dass intelligente Menschen plötzlich an eine Weltverschwörung glauben?

Das Problem ist, dass kein Dialog mehr stattfindet. Daran sind beide Seiten schuld. Es ist leider so, dass sich viele Leute nicht mehr selbst kritisch hinterfragen. Ich erlebe dies auch bei Leuten aus dem ökosozialen Bereich, die sonst sehr offen sind. Viele dieser Leute sind nur dann bereit, in den Dialog zu treten, wenn man voraussetzt, dass die Impfung für alle notwendig sei. Auf der anderen Seite gibt es die, die sagen: es gibt keine Pandemie, es gibt diese Krankheit nicht und nur mit diesen Prämissen in ein Gespräch gehen.

Wo stehen denn Sie, Herr Kusstatscher?

Ich sehe das Ganze durchaus kritisch und auch selbstkritisch. Ich habe Respekt vor jene Menschen, die vor Covid-19 Angst haben und sagen, sie lassen sich impfen, weil sie hoffen, weniger stark zu erkranken. Ich habe also Respekt vor diesen Leuten, aber deswegen sage ich nicht zu jemandem: lass dich impfen. Denn umgekehrt muss man auch sehen, dass das erste Mal ein Impfstoff verwendet wird, der auf gentechnisch veränderten Substanzen beruht. Ich verstehe also auch jene Menschen, die sagen: Ich schiebe die Impfung mal hinaus und warte, bis der Novavax-Impfstoff …

Brigitte Foppa, Riccardo Dello Sbarba und Sepp Kusstatscher am Brenner (Archivbild)

… ein sogenannter Totimpfstoff, also ein Vakzin mit abgetöteten Viren …

… auf den Markt kommt. Ich habe für beide Positionen Verständnis.

Sind Sie selbst geimpft?

Das möchte ich bewusst nicht sagen. In unserer Familie sind wir teilweise geimpft und teilweise nicht. Deswegen gibt es aber keine Konfrontation innerhalb der Familie. Sie haben mich vorhin gefragt, warum viele Menschen Extrempositionen einnehmen …

Ja …

Ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten, ich weiß aber, dass wir nur mit einem ehrlichen und offenen Diskurs aus dieser Situation herauskommen. Wenn beide Seiten auf ihren Positionen verharren, gibt es keinen Dialog. Und ohne Dialog kommen wir aus dieser Sache nicht heraus. Das beginnt schon ganz oben …

Sie meinen?

Es wird von allen Seiten panisch Angst geschürt. Wenn der oberste Covid-Beauftragte der italienischen Regierung ein Militär-General ist, der Wert darauf legt, immer in Uniform aufzutreten, dann ist dies eben auch eine Botschaft, die ausgesendet wird …

Nämlich?

Ich bezweifle, dass ein Militär-General die nötige Sensibilität für alte Menschen oder für Kinder hat. Die Botschaft lautet: Wir wollen ein Gesundheitsproblem mit der Militärspitze lösen. Und genau mit solchen Botschaften werden Ängste geschürt. Man weiß, dass verängstigte Leute irrational reagieren. Angst ist immer ein schlechter Berater, denn Angst isoliert uns, Angst beeinträchtigt unsere Logik und sie schwächt auch unser Immunsystem. Mutige, fröhliche Leute haben mehr Immunkräfte als verängstigte.

Wie kommt man aus dieser Frontstellung heraus?

Demo von Impf-Gegnern

Nur durch das Gespräch, sicher nicht durch Kämpfe gegeneinander oder indem wir uns gegenseitig beschuldigen. Ich bemerke das auch in meinem Freundeskreis: Mit meiner lockeren Art ernte ich absolut kein Verständnis, sondern werde von beiden Seiten angefochten. Auch deswegen ist in mir die Überzeugung gereift, dass wir einen Dialog starten müssen. Der erste Schritt sind Arbeitskreise, in denen darüber diskutiert wird, wie man Ängste abbauen und rational mit der Krankheit umgehen kann. Das Motto sollte sein: Vorsicht ja! Angst nein!

Das wird funktionieren?

Es ist so wie mit privaten Problemen. Probleme löst man nicht, indem man sie leugnet oder indem man die Probleme ständig in den Mittelpunkt stellt. Ein Problem muss man akzeptieren und sich damit auseinandersetzen, und zwar ganz bewusst. Mit Humor, mit Mut und mit Optimismus geht vieles leichter.

Interview: Artur Oberhofer

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (46)

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  • gorgo

    Das Problem hier ist, dass Kusstatscher so tut, als würden sich 2 Seiten gleichberechtigt gegenüber stehen.
    Ohne Impfung erwartet uns die Situation des Vorjahres, überfüllte Krankenhäuser, unzählige Krankenstände und als letztes Mittel dann eben lockdowns.
    Jeder vernünftige Mensch weiss das, weiss auch, dass es wenig Sinn macht mit fanatischen, aggressiven Impfgegnern zu reden. Sie zu beschimpfen natürlich genauso wenig.
    Bitte hört auf diese „Spaltung“ der Gesellschaft herbeizureden, die von einer Minderheit offenbar gewünscht wird.
    Am Pandemie-Management gibt es ungeheuer viel zu kritisieren, die Situation selbst hat sehr viele Schwachpunkte unserer Gesellschaft und Wirtschaft aufgezeigt, über die eigentlich geredet werden müsste.
    Hier müssen nicht 2 Gruppen in Dialog treten, wir müssen die Schreier aussen vor lassen.

  • steve

    Stimmt es wird ein neuartiger Wirkstoff verwendet, der noch nicht ausgetestet ist. Spätnebenwirkungen unwahrscheinlich aber nicht ausgeschlossen.

    Die Wirkung des Virus ist uns hingegen sicher: 10% haben ein halbes Jahr nach der Infektion noch Probleme usw.
    Ohne Impfung werden fast alle die Infektion durchmachen.

    Man kann sich also zwischen unwahrscheinlichem und sicherem Schaden entscheiden.

  • sougeatsnet

    Ich habe den Kusstatscher gescheiter eingeschätzt. Er sagt, mit Impfbefürworter kann man nur reden, wenn einsieht, dass die Impfung dringend notwendig ist. Ich denke in Südtirol haben wir relativ viele mit einer schlechten naturwissenschaftlichen Ausbildung. Bei uns werden Sprachen häufig überbewertet, wissenschaftliches Denken hingegen vernachlässigt. Dies führt dann zu esoterischen Lösungsansätzen. Wieviel Geld wird in diesem Bereich ausgegeben? Der Mangel an naturwissenschaftlichen Fertigkeiten beginnt ja damit, dass PCR-Test vielfach in Nachbarregionen ausgewertet werden müssen. Hier sollten wir ausbauen, auch eine bessere Zusammenarbeit mit der UNI IBK wäre förderlich und müsste möglich sein. Leider herrscht bei einigen die Meinung, das können wir besser. Die Realität schaut aber anders aus, siehe Informatik der SABES. Wenn eine Sozialwissenschaftlerin medizinische Fakte erklärt, dann sollten die Alarmglocken läuten. Auch eine Ethikkommission hat letztlich keine fachliche Kompetenz und steht bei mir ganz hinten an. Vizentinum und Johanneum haben ihre Spuren hinterlassen, leider kaum positive.

  • unglaublich

    Frage an gorgo, steve, andi182, also I u. a. Wie schaut’s aus mit Green-Pass-Pflicht für alle Bediensteten und Unternehmern im Tourismusbereich, Politikern u. a.?
    2. Frage: Wieso glaubt ihr eigentlich, dass es zu einem weiteren Lockdown kommen kann, wenn über 60% geimpft (also sicher sind) und da vor allem alle, die gefährdet sind?
    3. Und wieso sollten wir jetzt nicht alle Corona Maßnahmen beenden? Jeder hatte ein Impfangebot, selber schuld, wenn er/sie sich die Krankheit einfängt?

    • andreas

      Steigt die Zahl in den Krankenhäusern und droht eine Überlastung, kommt es automatisch zum Lockdown.
      Eine Impfung reduziert diese Wahrscheinlichkeit.

      Warum tun sich manche so schwer das zu verstehen?

      • unglaublich

        Na dann Andreas, Sie glauben also, dass die Gefahr besteht, dass es zu einer weiteren Krankenhsusüberlastung kommt. Ich glaube das nicht, weil sich das rein mathematisch nicht mehr ausgeht! Immer unter der Voraussetzung, dass die Impfung hilft.

        • andreas

          Wüsste zwar nicht, warum es sich mathematisch nicht ausgehen würde, aber ja, das glaube ich.
          Der %satz der Wirkung der Impfung ist je nach Variante variabel, dass er wirkt, ist aber unumstritten.

        • gorgo

          Ich würde das immer noch nicht ganz ausschließen, dass es zu einer weiteren Überlastung kommt, zum Schaden vieler anderer Patienten.
          Ohne die Möglichkeit der Impfung hätten wir aber mit Sicherheit wieder dieselbe Situation, also hat es wirklich keinen Sinn mit Leuten zu reden, die glauben die Impfung hätte keinen Sinn da es bei einem gewissen Prozentsatz zu Impfdurchbrüchen kommt.
          Da wird mir regelmäßig schwindlig.

          Was den greenPass betrifft ist er nicht in erster Linie ein epidemiologisches Instrument, sondern Anreiz, damit sich möglichst viele impfen lassen und eine Art Kompromiss.
          Denn die Wirtschaft möchte „laufen lassen“ ohne weitere Einschränkungen. Möchte auch gar nicht mehr testen und x Quarantänen und auch euer evtl. long Covid ist ihr relativ egal.
          Wir müssen, sollten also weiterhin aufpassen.
          Das es nur mit Eigenverantwortung und testen nicht klappt haben wir ja gesehen. Also bin ich pro greenPass, auch wenn er ethisch nicht ganz sauber ist.

  • andreas

    Er disqualifiziert sich schon als Gesprächspartner durch die Aussage, dass er nicht sagt, ob er geimpft ist.
    Auch bricht wohl keiner ein Gespräch ab, weil ein Impfgegner meint, dass man sich trotzdem infizieren kann. Dieser Umstand ist bekannt und ändert nichts daran, dass eine Impfung größtenteils vor einem schweren Verlauf schützt.
    Man bricht es höchstens ab, weil man zum Schluß kommt, dass wenn der Gegenüber schon so einfältig argumentiert es wenig Sinn macht, mit ihm zu diskutieren.

    Hab zu dem Thema selten so ein nichtssagendes Wischi-Waschi gelesen, irgendwie gibt er allen Recht um nicht anzuecken.

  • vinsch

    Bravo Herr Kusstatscher. Das erst gute Interview nach langer Zeit.

  • george

    Die meisten hier können wohl nicht zwischen einer völlig verwaschenen und einer konkreten Argumentation unterscheiden. Der einzig konkrete Anhaltspunkt in diesem Interview ist der, dass wir uns über die gegenüberstehenden Standpunkte konkret auseinandersetzen und Lösungspunkte herauskristallisieren müssen; also Analyse betreiben und gemeinsam mediativ gefundene synthetische Lösungsansätze ausprobieren und umsetzen. Alles andere hier ist sehr verwaschen und kaum brauchbar.

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