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Eindeutiges Urteil  

Anwältin Renate Holzeisen

Die Urteile des Bozner Arbeitsrichter Giulio Scaramazzino zu Klagen von vier suspendierten Krankenpflegern sind eine schallende Ohrfeige für die Impfverweigerer-Front: Der Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Arbeit hat den Vorzug über individuelle Selbstbestimmung. 

von Thomas Vikoler

Die eine Seite – der Südtiroler Sanitätsbetrieb – spricht von „Grabstein“-Urteilen mit Leit-Charakter, die andere – die Anwältin Renate Holzeisen, welche die vier Kläger vertritt – kündigt Einsprüche bei der nächsthöheren Instanz an.

Die Urteile, die der Bozner Arbeitsrichter Giulio Scaramuzzino am vergangen Freitagabend kurz vor Antritt seines Sommerurlaubs erlassen hat, sind jedenfalls mehr als eindeutig und lassen wenig Interpretationsspielraum offen.

Für Scaramuzzino galt es, wie er in einem der 25-seitigen Urteilsbegründungen schreibt, das Recht auf individuelle Freiheit und Selbstbestimmung mit kollektiven Rechten – Gesundheitsschutz mittels Eindämmung einer Pandemie – aber auch dem Recht auf Gesundheit am Arbeitsplatz abzuwägen.

Die vier von Renate Holzeisen vertretenen Krankenpfleger, die wegen Impf-Verweigerung vom Dienst in der öffentlichen Sanität suspendiert worden sind, hatten u.a. argumentiert, dass der ihnen verordnete Impfstoff nicht ausgereift und – vor allem – „ineffizient“ sei. Weil Personen das Virus trotz Impfung bekommen hätten und dieses lediglich gegen einen schweren Krankheitsverlauf nützlich sein könne, liege keine Verletzung der Impfpflicht vor.

Eine ziemlich verquere Logik der Argumentation, auf die Richter Scaramuzzino in seiner Urteilsbegründung mit einem Zitat aus der Enzyklopädie Treccani antwortet: Laut der dortigen Definition könne eine Impfung nie gänzliche Immunität vor einem Virus oder Bakterium garantieren.

Ein wissenschaftlicher Beweis für die „Ineffizienz“-These konnte in diesem Verfahren  offenbar nicht erbracht werden.

Ein zweiter Aufhänger der Kläger ist eine behauptete Verletzung des Diskriminierungsverbots nach der EU-Grundrechte-Charta. Hier verweist der Richter auf das verfassungsmäßige Recht auf Arbeitssicherheit. Im Dekret der Regierung Draghi zur Impfpflicht im Sanitätsbereich (Nr. 44/2021), welcher den Suspendierungen zugrunde liegt, wird ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Ausübung der Arbeit in Sicherheit verwiesen. Wohlgemerkt die Sicherheit des Sanitätspersonals, die durch eine Impfung erhöht werde.

Laut Richter Scaramuzzino liegt es außerdem im Ermessen des Gesetzgebers, Maßnahmen zur Gesundheitsprävention, speziell dem Schutz von „verletzbaren Personen“ wie Betreuten im Sanitätsbereich, zu setzen. Hier wird auf ein entsprechendes Urteil des Verfassungsgerichtshofs (Nr. 5/2018) verwiesen.

Letztlich überwiegen hier laut Urteil die kollektiven Rechte – Arbeitsschutz, Schutz von verletzbaren Personen und Eindämmung einer Pandemie – die individuellen Rechte bzw. Befindlichkeiten.

Am Donnerstag dieser Woche findet am Bozner Landesgericht die nächste Verhandlung zu einer Klage einer suspendierten Krankenpflegerin statt. Es ist zu sehen, ob dort wiederum – wie am Montag vor einer Woche – mehrere Hundert Unterstützer am Gerichtsplatz demonstrieren werden.

Und im September wird sich das Verwaltungsgericht mit einem Sammelrekurs von 68 Suspendierten befassen.

 

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