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„Erschöpfte Köpfe“ 

Roger Pycha

Wenn bodenständige, rationale Menschen plötzlich zu fanatischen Impfgegnern mutieren und nur noch den (Un)wahrheiten der sozialen Netzwerke Glauben schenken, ist das Umfeld überfordert. Roger Pycha, Primar der Psychiatrie am Krankenhaus Brixen, erklärt, warum diese Leute wie unter Drogen reagieren. 
Sie selbst und ihre Kinder sind gegen die Kinderkrankheiten geimpft – aus Überzeugung.
Sie standen bislang den sozialen Netzwerken skeptisch gegenüber und haben deren Inhalt hinterfragt.
Und plötzlich: In Corona-Zeiten sind bodenständige, rationale Menschen zu fanatischen Impfgegnern mutiert, die nur noch den (Un)wahrheiten in den sozialen Netzwerken Glauben schenken, die Schulmedizin in Zweifel ziehen und zu Systemkritikern geworden sind.
Das Umfeld ist schockiert, Freund- und Partnerschaften gehen zu Bruch.
Solche Beispiele kennt jeder in seinem Umkreis. Wie konnte es zu diesem Sinneswandel kommen?
Roger Pycha, Primar der Psychiatrie am Krankenhaus Brixen, gibt Antworten.

TAGESZEITUNG Online: Herr Pycha, Corona treibt seltsame Blüten: Plötzlich werden Impfbefürworter zu Impfgegnern, die nur mehr den Facebook-Wahrheiten glauben und für keine Argumentation zugänglich sind. Was ist mit diesen Menschen passiert? 

Roger Pycha: Eines vorweg: Es gibt Psychiatriepatienten, die haben extreme Angst vor Tests, eine Testphobie. Das ist eine kleinere Störung, sie ist inzwischen weitgehend überwunden. Vor allem Menschen mit Hals-Nasen- und Atemproblemen oder jene, die grundsätzlich schon angstgestört waren, waren davon betroffen. Inzwischen wissen wir alle: Die Abstriche sind zwar lästig, aber das Ganze dauert nur ein paar Sekunden. Wenn ich die Angst davor überwinde, bekämpfe ich meine beginnende Störung. Neuerdings gibt es aber auch so etwas wie eine Impfphobie. Sie ist häufig anders gelagert: Es geht um grundsätzliche Vorbehalte.

Die da wären? 

Betroffene glauben, irreparable Schäden am eigenen Erbmaterial hervorzurufen. Menschen in Krise neigen dazu, immer einfacheren Botschaften zu glauben. Das heißt: Je erschöpfter ein menschliches Gehirn ist, desto eher sieht es nur mehr schwarz oder weiß und keine Farben. Nach eineinhalb Jahren Corona haben viele Menschen diesen hintergründigen Erschöpfungszustand erreicht. Sie wollen – ähnlich wie auf politischer Ebene knapp vor dem Zweiten Weltkrieg – ganz einfache Lösung. Die Nazis und Kommunisten hatten damals leichtes Spiel. So ist das Phänomen zu erklären, das wir jetzt erleben: Viele Leute sagen: Ich mach da nicht mehr mit, ich steige aus, weil ich das Recht dazu habe. Umgekehrt erbost sich jetzt die Mehrheit darüber, dass sich eine Minderheit nicht gut genug schützt und damit die Gesundheit aller riskiert. 

Wie soll das Umfeld auf solche Menschen reagieren?

Auch auf Dialog setzen. Der Verhandlungsweg ist immer jener, der auch gewählt werden muss. Ich habe den Eindruck, dass man mit einem Bevölkerungsteil konfrontiert ist, der des Argumentierens müde ist und sich ausklinkt. Ähnlich wie die Aussteiger, die sagen, sie sind nicht mehr Staats-, sondern Weltbürger, die in den Wald ziehen und ihre Kinder selbst unterrichten. Dies ist zwar eine verständliche, aber eine absolut verkürzte, unkluge Lösung. Gewissermaßen eine Kurzschlussreaktion. 

Wie überzeugt man diese Menschen?

Wir werden nicht umhinkommen, strenge Regeln einzuführen: Es darf nur jenen Bewegungsfreiheit erlaubt werden, die geimpft oder genesen sind. Denn das ist die Regel der Vernunft. Jene Menschen, die diese Vernunft nicht akzeptieren wollen, muss man zwar nachsichtig begegnen, aber in der Regel unerbittlich sein. Das ist das Gebot der Stunde. Das heißt: Wir sollten zwar versuchen, Grabenkämpfe zu vermeiden und diese Menschen nicht zur Gänze ausgrenzen. Umgekehrt sollte die Regel sein, dass die Bewegungsfreiheit derjenigen, die sich nicht impfen lassen, stark eingeschränkt wird. Diese müssen dann entscheiden: Will ich mich dieser Einengung fügen oder brauche ich mehr Freiheit und riskiere ich die Impfung. 

Es sind Personen zu Impfgegnern geworden, von denen es niemand erwartet hätte…

Es kann jedem Menschen passieren, wenn er erschöpft genug ist. Wir wissen jetzt nicht, was der Einzelne durch die Krise erleidet oder erlitten hat – wie sehr die Person psychisch oder sozial mitgenommen wurde, wie sehr sie unter der Isolation oder der wirtschaftlichen Beeinträchtigung gelitten hat und leidet. Das sieht man dem Einzelnen nicht an, es sind unsichtbare Wunden, die wir im Einzelfall nicht berücksichtigen können. Diese Menschen reagieren abwehrend und verweigernd, sie wollen mit dem Ganzen nichts mehr zu tun haben. Ich bin überzeugt, dass rund ein Drittel der Impfgegner eigentlich keine Impfgegner sind, sondern nur Verweigerer des Wahrnehmens der ernsten Gefahr. Sie tun einfach so, als gäbe es keine Gefahr. Dieses Drittel können wir im richtigen Moment und mit einer günstigen, einladenden Haltung dann doch gewinnen. Den ideologischen Grabenkämpfern müssen wir zwar ihren Willen lassen, jedoch auf Kosten der Bewegungsfreiheit. 

Das Umfeld ist mit solch einem Sinneswandel überfordert, Freund- und Partnerschaften gehen zu Bruch, weil diese Menschen für jegliche Argumentation unzugänglich sind…

Das Schwierige dieser Minderheit ist, dass sie sich in der Lage befindet, wie Südtirol zu Optionszeiten. Damals mussten sich die Südtiroler entscheiden. Zwischen zwei Übeln das kleinere zu wählen, ist eine sehr schwierige Entscheidung. Rational betrachtet ist die Impfung die viel klügere Entscheidung, aber wenn Leute intensive Vorbehalte gegen die Impfung haben, wissen sie nicht, was sie tun sollen. Dann tun sie eines: Sie suchen den Kontakt zu Gleichgesinnten. Dann bilden sich nicht mehr Diskussionsgruppen, sondern Lager. Wenn sich Menschen zu Gruppen zusammenrotten, wird es schwierig. Sie bleiben bei ihrer Meinung und wollen nichts anderes mehr hören. In der Demokratie können wir das nicht verhindern. In Ländern wie China oder Russland ist so etwas kein Problem, da wird der Staatsbürger einfach vergewaltigt. Nur im Extremfall werden bei uns die Pflichtimpfungen vorgeschrieben. Im Augenblick überlegen sich aber gerade Demokratien, diesen Weg einzuschlagen und dessen Gefahr sind sich die Impfgegner bewusst. Sie fühlen sich bereits vorvergewaltigt und rotten sich intensiver zusammen, um sich besser in der Gemeinschaft wehren zu können. Ich würde dafür plädieren, die Angst, die dahinter steckt, zu suchen. Diese Angst ist ein Symptom, ein Zeichen der Schwierigkeit, der Erschöpfung, bei manchen auch ein Krankheitszeichen. 

Wie soll das Umfeld mit dieser ihr fremd gewordenen Person umgehen?  

Foto: Sabes/ 123RF.com

Die Person ist ja trotzdem mein Freund, mein Partner. Ich muss ihre Fähigkeiten und Rollen weiterhin akzeptieren und bestärken. Sie denkt in dieser Sache anders und ich habe dies zu akzeptieren. Sie hat zu akzeptieren, dass sie in Zukunft deutlich weniger Freiheiten haben wird als ich. 

Diese Personen sind für jegliche Argumentation unzugänglich. Mehr noch: Sie beschimpfen die Impfwilligen als unwissend, als Trottel, die die ganze Lage nicht durchblicken…

Erschöpfte Gehirne sind vergleichbar mit Menschen mit verminderter Intelligenz: Schwer gestresste Menschen reagieren wie Personen unter Drogen, akzeptieren nur mehr vereinfachte Muster. Wir müssen sie im richtigen Moment auf die richtige Weise animieren, die Impfung dennoch zu „riskieren“. Das Umfeld soll weiter argumentieren, aber ruhig, verständnisvoll und nachsichtig. Solange es keine Pflichtimpfung gibt, haben sie das Recht, sie zu verweigern. Die Toleranz ist wesentlich. 

Brauchen diese erschöpften Hirne schon eine Therapie? 

Kaum jemand wird sich aufgrund seiner Impfgegnerschaft in eine psychologische oder psychiatrische Therapie begeben. Ich habe aber Patienten, die diese Unsicherheit doppelt und dreifach verstärkt erleben. Und genau bei solchen Menschen, die mir vertrauen, ist es möglich, Vorbehalte auszuräumen und sie zu einer Impfung zu bewegen.  

Corona hat viele Menschen psychisch krank gemacht? 

Corona hat ganz sicher viele Menschen psychisch krank gemacht, und psychisch Kranke tendenziell kranker. 

Interview: Erna Egger

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (85)

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  • unglaublich

    Die Psychiatrisierung Andersdenkender hat Geschichte. Was für eine Zeit!

  • andreas

    Zu Recht ist Pycha einer der Besten in diesem Bereich und das nicht nur in Südtirol.

    Impfgegner arumentieren, sofern sie das überhaupt machen, irrational, auf konkrete Fragen geben sie selten Antwort und in letzter Zeit kommt oft der Vergleich mit dem National.sozialismus, da sie ihre Kritik bzw. Empörung immer weiter steigern wollen/müssen, da sie nicht wirklich ernst genommen werden.

    Gern verwenden sie auch Zitate oder Bildchen, welche auf rechten Seiten oder Telegram zirkulieren.
    Auch sagen sie gerne man soll „nachdenken“, auf die Nachfrage über was, tun sie geheimnisvoll, so als wären sie die Erleuchteten, wobei sie wenigsten wortgewandt sind und eher selten als große Denker auffallen.

  • unglaublich

    Und noch etwas. Systemtreue haben immer schon mehr Schäden angerichtet als Systemkritiker.

    • steve

      Wollen wir an den Beginn des letzten Jahrhunderts (20er Anfang 30er Jahre) zurückdenken waren es die Systemkritiker die das System die Weimarer Republik zum Einsturz brachten.
      Und siehe da da kam ein Mann mit einfachen Antworten, einer wie man sie auch heute in den sozialen Medien zuhauf antrifft und übernahm die Macht. Der Mann hiess Adolf Hitler und den Rest kennt man ja.
      Von wegen Systemkritiker richten keine Schäden an…

  • leser

    Es wäre interessant zu wissen gewussen, was pycha dazu sagt, warum ärzte oder impfgeber vorher due unterschrift verlangen, wenn das impfen doch nicht so dramatisch ist
    Aber mit der option ist ein guter vergleich
    Nur konnte hier auch pycha nicht vermitteln was der bessere entscheid ist wenn man zwischen erschiessen und hängen entscheiden kann
    Ein zwang bleibt doch ein zwang oder pycha?
    Und und eine supspendierung vom arbeitsplatz ist eine missachtung im grundgesetz das besagt es besteht ein bedingungsloses recht auf arbeit

  • honsi

    Als psychisch gesund gilt heute derjenige, der sich 30 mal am Tag desinfiziert, im Freien und ganz allein mit Maske und Latexhandschuhe spazieren geht und keine Gelegenheit auslässt sich zu Hause freiweillig einzusperren.

  • nochasupergscheiter

    Der geimpfte kann corona ebenso verbreiten wie der ungeimpfte…
    Ich sehe mich jetzt einem impfzwang gegenüber obwohl ich es fast sicher schon zweimal gehabt habe…
    Irgendwie fürchte ich mich nicht so sehr vor dem dritten mal muss ich leider sagen, obwohl die ganzen geimpften, die auf nichts mehr achtgeben wohl eher eine Gefahr für mich sind… Andererseits sitzen die drinnen wo wenig Platz ist und ich steh draußen, verkehrte Welt…
    Was mich aber ärgert ist dass sich die Lieben Politiker in dieser Zeit mal hübsch ihre 600 Euro abholen, und nie keine Rede davon die angehäufte Nachzahlung mal für einen guten Zweck zu spenden…
    Letztendlich ist nicht die Partei, aber kölle doch besser als ihr alle liebe Politiker…
    Wenn ihr anfängt die Kinder zu zwingen weil die Lehrer nicht wollen, dann ists auch bei mir vorbei mit der Ruhe…. Das garantiere ich

  • joe

    Da man seit gut einem Jahr von der Politik , mehr oder weniger nur noch belogen wird und die Mainstreammedien auch nur noch einseitige Berichte bringen . Möchte ich von den Impfbefürwortern schon mal gern wissen , warum man gleich als Aluhutträger , Verschwörungsfan usw. betitelt wird ? Nur weil man der ganzen Sache kritisch gegenüber steht ?
    Daß seit spätestens letzten Herbst nicht mehr alles ganz nachvollziehbar abläuft , wird wohl auch dem “ fanatischtem “ Befürworter aufgefallen sein . Dazu reicht der normale Hausverstand .

  • waldhexe

    Nur weil ein Psychiater mir rät ,ich sollte die Impfung „riskieren“ werde ich mich nicht impfen lassen.Ich werde mich impfen lassen,sobald es die Erfordernisse zulassen.

  • leser

    Pycha ist südtirols führender psychologe, wie man aus der presse immerwieder entnehmen kann
    Aber lieber pycha, da du ja mediziner bist und nachdem auch du einen eid abgelegt hast, nehm ich an, dass du dein erlerntes wissen für die allgemeinheit einsetzt nach bestem wissen und gewissen
    So scheint es bei diesem interview wohl doch ein wenig danach zu riechen, dass du dich teils von der presse und der politik vir den karren spannen lässt die gesellschaft in zwei klassen zu teilen
    Eine spezialisierye korephäe, wie pycha immer definiert wird kann dich zumindest einen parteilisen und neutralen standpunkt aussenden
    Wenn ich von einer impfung bewertet unter fakten und einschätzung nicht ü erzeugt bin, dann heisst das wohl noch lange nicht dass ich im kopf müde bin und tendentiell ein militanter impfgegner bin
    Zumindest kann man eine solche aussage eines anerkannten berufsexperten in der psychiatrie kritisch bewerten
    Uch gkaube dass due presse und die politik schon fest genug im sattel sitzt und das volk in zwei klassen zerlegt, dafür muss ein pycha nicht auch nich herhalten
    Wenn er das gern tut sollte er in die politik gehen dann ist sein standpunkt eindeutiger

  • tirolersepp

    Auch ich muss lernen mit Impfgegnern behutsamer umzugehen !!!

  • snoopy

    Der Herr Pycha, Gott in weiß, weiß natürlich über jedes Zeitgeschehen bescheid. Welch genialer Kopf. Komisch, dass es in seiner Familie so viele Scheidungen gibt. Kehren Sie zuerst vor ihrer eigenen Tür, Herr Pycha, bevor sie über andere urteilen. Der Mann geht mir schon lange auf die Nerven. Es wäre besser, er hielt sich aus allem heraus.

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