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„plaerrn kannt`i!“

N. C. Kaser: Muss sein Werk auf ein paar Gedichte reduziert und er selbst zum Säufer degradiert werden, damit das weibliche Schreiben aus der Unsichtbarkeit auftauchen kann?

Wenn maskilistische Kampflaute und populistisch geschulte Strategien zum Einsatz kommen, um weiblicher Autorschaft zur Sichtbarkeit zu verhelfen, wird die Debatte selbst toxisch und zum Teil des Problems, das sie aufzeigen will. Überlegungen von Heidi Hintner und Christine Vescoli zur Diskussion um den Kaser-Sager von Maxi Obexer.

 „Ich finde den Hype auf N.C. Kaser, der ein paar Gedichte verfasst hat und sich dann im Suff ertränkt hat, reichlich überzogen und frage mich ernsthaft, womit das zu tun hat. Literarisch hat er für mich keine Rolle gespielt, und ich frage mich, für wen er das hat.“

Man könnte die Aussage von Maxi Obexer, getätigt in einem Gespräch mit Sabine Gruber zu 40 Jahren SAAV („Salto“ am 21.02.21) als Provokation und Keulenschlag auch so stehen lassen. Man könnte die Statements, die, sie unterstützend, darauf folgen, ihrer losschnellenden Dynamik überlassen. Ein paar Richtigstellungen im Sinne einer ernsthaften Debattenkultur sind jedoch notwendig, ebenso wie die Beleuchtung der Rhetorik und Strategien, die Obexer sowie Claudia Vezzaro und Barbara Plagg auf „Salto“ und „Barfuß“ verfolgen, um Öffentlichkeit zu bespielen.

Erstens: Obexers Aussage startet mit einer falschen Behauptung. N.C. Kaser hat nicht „ein paar Gedichte verfasst“, sondern ist Autor eines Werks, das durch eine Werkausgabe, durch Editionen, Aufnahme in Anthologien, einen nach ihm benannten Lyrikpreis u.a.m. Eingang in die deutsche Literaturgeschichte und -wissenschaft gefunden hat. Dass die Aussage im Kontext eines Gesprächs über die unterrepräsentierte weibliche Autorschaft gefallen ist, macht sie weder weniger falsch noch mehr richtig.

Zweitens: Die Formulierung, dass er „ein paar Gedichte verfasst hat und sich dann im Suff ertränkt hat“, ist eine Herabwürdigung und Verachtung eines Menschen. Daran gibt es wenig zu rütteln. Aus dem Mund einer Präsidentin eines AutorInnenvereins über einen Schriftstellerkollegen ist sie einmalig und erschreckt.

Drittens: Dass Kaser für Obexer „literarisch keine Rolle gespielt hat“, tut seinem Werk keinen Abbruch und ist auch nicht weiter schlimm. Dass er für sehr viele und weit über die Literaturszene hinaus eine Rolle gespielt hat, kann Obexer auch unter Inanspruchnahme verwegener Deutungshoheit nicht aus der Geschichte räumen.

Zwei falsche Behauptungen und eine Herabwürdigung in einem Satz ist eine Leistung, die im medialen Hupkonzert mehr oder weniger auffallen mag. Fraglich ist jedoch, ob mit solchen Instrumenten etwas zur Sichtbarkeit der weiblichen Literatur beigetragen ist oder ob damit nicht genau der maskilistische Diskurs fortgesetzt wird, den die Autorin vorgibt zu bekämpfen. Muss Kasers Werk auf ein paar Gedichte reduziert und er selbst zum Säufer degradiert werden, damit das weibliche Schreiben aus der Unsichtbarkeit auftauchen kann? Oder wird ein „Kaser Hype“ als Feind installiert, der die Literatur von Frauen klein hält? In diesem Fall hätte man es mit einer Feindverwirrung zu tun, die sich an einem Konstrukt aufbaut anstatt Ursachen und Zusammenhänge besonnen zu belegen.

Obexer hat ihre Meinung über Kaser deutlich genug geäußert. Sie hat damit Aufsehen erregt, was in einer freien Meinungsgesellschaft möglich ist. Was aber hält sie selbst von einer liberalen Debattenkultur, die Widerspruch duldet? Wie pflegen Obexer und ihre Verteidigerinnen einen öffentlichen Diskurs und ein auf Argumenten vertrauendes Verhalten?

Als eine kritische Gegenstimme auf Obexers Aussage zu Kaser publiziert wird, unterstellen sie dieser eine persönliche Abrechnung, „toxische Medien als Gebräu böser Gefühle“, die kritische Reaktion wird mehrfach als „Skandal und Diffamierung“ ausgewiesen, die eigentlich eine gerichtliche Anklage zur Folge haben müsste, persönliche Daten werden ins Feld geführt, Alter und Biografie werden wie die Enthüllung und Überführung eines Delinquenten vorgeführt und der Inhalt als „Versuch der Ausblendung“ erkannt, der Kaser nur vorschiebe, um vielmehr zu richten und sich jede Widerrede zu verbieten. Wie und wo der Zeitungsartikel, in einer demokratischen Gesellschaft immerhin Form der freien Meinungsäußerung, denn einen Richterspruch verhänge und ein Redeverbot erteile, wird nicht erklärt, aber ausführlich und autoritär behauptet. Damit ist eine Botschaft schon mal in der Welt, nicht ohne Mittel der Emotionalisierung, die zunächst auf Provokation gesetzt hat und im Handumdrehen die Opferrolle bemüht. Man werde wie viele andere Frauen „belehrt, herabgewürdigt, auf den Platz verwiesen, niedergeredet“ und zum Schweigen gebracht von einem „bekannten Mechanismus“ und dessen Tätern, die man ohne Wimpernzucken mit der AfD vergleicht. Wo das alles in dem kurzen Zeitungsartikel enthalten sei, bleibt man der Leserin schuldig.

Dann geschieht noch einmal Sonderliches. Die Solidarisierung durch die Opferrolle zieht plötzlich auch jenen auf ihre Seite, den man zunächst untergriffig attackiert: Kaser, dem gerade erst die Wertschätzung abgesprochen und stattdessen der Suff attestiert wurde, wird plötzlich zum besten Freund erklärt und gegen jene verteidigt, die ihn für ihre Polemik und angeblich persönliche Abrechnung missbrauchen. Feind und Freund werden austauschbar, wichtig bleibt das Feindbild.

Die kalkulierte Ambivalenz, den eigenen Aussagen von einem zum anderen Mal willkürlich zu widersprechen, zielt darauf ab, die Basis einer kritischen Streitkultur zu erschüttern, die sich in der Dynamik der Argumentation auf Aussagen verlässt, um darauf argumentativ zu reagieren. Was antworten auf eine, die sich von den eigenen Äußerungen jederzeit in deren Gegenteil katapultieren kann und so jeden vernünftigen Dialog sprengt? Wie kontern auf den machomäßigen Stil der Schreiberinnen, die mit ideologischen Schlagwörtern in einem Duktus der Überlegenheit anklagen? Das hat mit feministischem Blick wenig zu tun und viel mit einem depolitisierenden Autofokus. „plaerrn kannt`i!“ heißt es im Gedicht „Stegener Markt“ von n.c. kaser.

Obexer spricht „von mutigem Vorstoß ins Reale und ins Experiment“, von „bahnbrechenden neuen Erzählungen“, um neue Narrative der Literatur zu generieren. Das tut sie, nicht ohne diese Leistung implizit sich selbst zuzuschreiben, samt der Position der Marginalisierten, „deren Anspruch auf die gleichen Rechte verweigert“ werden. Abgesehen vom Ton selbsternannten Heldinnen: Hat Kaser nicht genau das vor 50 Jahren unternommen, die Existenz der Randfigur, auch der saufenden, reflektiert und in eine herausragende literarische Substanz gegossen? Der Einzige, dem es in der Debatte ganz und gar um Kaser geht und der den ernsthaften Versuch unternimmt, sein Werk neu zu lesen, ist Elmar Locher. Obexer und ihre Mitstreiterinnen unterschlagen und ignorieren seinen Beitrag.

Attacken, Unterstellungen, Falschbehauptungen und Verdrehungen sind ebenso populistische Machtstrategien wie emotionale Mobilisierung, pathetische Selbstinszenierung, Ignorieren von argumentativen Einwänden sowie die Sortierung in Opfer und Täter. Auch militärische und kämpferische Begriffe kommen nicht zu kurz und die Vorliebe für polarisierende starke Wertungen. Sie dienen dazu, brachial Herrschaft zu beanspruchen und den Raum für Differenzierung und Diskurs zu minimieren.

Erschreckt stellen wir fest, dass diese Methoden auch in hiesigen literarischen und Geschlechterdiskursen hoffähig werden. Damit werden einer Gesprächskultur die analytischen Werkzeuge entzogen, die eine kritische Öffentlichkeit garantieren.

Sie sollten einer zivilen Gesellschaft erhalten bleiben, auch und gerade im Sinne einer Sichtbarmachung weiblicher Literatur.

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