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Sehnsucht nach Conte

Meinhard Durnwalder, Dieter Steger und Julia Unterberger (Foto: Samantha Zucchi Insidefoto)

Warum es den SVP-Parlamentariern in Rom so schwer fällt, bei Neo-Premier Mario Draghi Gehör zu finden. Und: Wer sich Giuseppe Conte als Regierungschef zurückwünscht.

Von Matthias Kofler

Am 17. Februar – also vor knapp zwei Monaten – ist Mario Draghi sein neues Amt als Ministerpräsident Italiens angetreten. Seitdem regiert der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank mit einer breiten Mehrheit in beiden Parlamentskammern. Doch die anfängliche Euphorie für den „Retter der Nation“ ist längst verflogen. Die erhoffte Wende im Corona-Krisenmanagement ist nicht eingetreten. Im Gegenteil: Die Zahl der Neuinfektionen, Krankenhauspatienten und Todesfälle hat in Italien zu Frühlingsbeginn neue Höchstwerte erreicht. Die Regierung hat den Lockdown vorerst bis Ende April verlängert – und dies ohne die Einbindung von Kammer und Senat. Noch immer warten viele Betriebe sehnlichst darauf, wieder aufsperren zu können. Doch einen Termin für die Lockerungen bleibt Draghi den Unternehmern bislang schuldig. Auch die Auszahlung der so dringend notwendigen Hilfsgelder kommt nicht in die Gänge. Und die versprochene Impfoffensive mit 500.000 Vakzinationen am Tag steht derzeit nur auf dem Papier. „Unsere erste Herausforderung besteht darin, die Impfdosen schnell und effizient zu verteilen, sobald wir eine ausreichende Menge zur Verfügung haben“, erklärte der Ministerpräsident bei seinem Amtsantritt im Februar. Die europäischen Impfstoffengpässe auf der einen Seite und das Unvermögen der Regionen bei der Verteilung der Dosen auf der anderen haben jedoch dazu geführt, dass Italien – anders als Großbritannien, die USA oder Israel – impftechnisch seit Wochen auf der Stelle tritt.

Die SVP-Parlamentarier in Rom müssen derzeit am eigenen Leib erfahren, wie schwer es ist, sich in einer „Regierung der nationalen Einheit“ Gehör zu verschaffen. „Die breiten Mehrheiten sind sicher kein Vorteil“, bekennt Senator Meinhard Durnwalder. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Pusterer mit der linken Vorgängerregierung unter Giuseppe Conte die größten Berührungsschwierigkeiten hatte. Zentralistische Tendenzen in Rom, wie sie Landeshauptmann Arno Kompatscher kürzlich beklagte, habe es vorher – also unter den 5-Sterne-geführten Regierungen – auch schon gegeben, betont Durnwalder und verweist auf entsprechende Gesetzesinitiativen zur Suprematieklausel des Zentralstaats gegenüber den Sonderautonomien.

Bislang gab es in den Gesetzgebungskommissionen im Senat nur breit getragene Maßnahmen. Die SVP-Politiker haben sich mit eigenen, südtirolspezifischen Forderungen weitestgehend zurückgehalten. „Enge Mehrheiten waren immer gut für Südtirol“, erklärt Durnwalder. Wenn es jetzt inhaltlich umkämpfter werde, etwa beim „decreto sostegno“, müsse man sehen, inwieweit man eigene Erfolge einfahren könne. „Jetzt heißt es: Mit allen reden. Das haben wir ja vorher auch schon gemacht“, gibt der Pusterer SVP-Mandatar die Stoßrichtung vor.

Dieter Steger zeichnet ein ähnliches Stimmungsbild: „Natürlich ist es bei so breiten Mehrheiten für uns kleinen Gruppierungen viel schwieriger, die eigenen Forderungen im Parlament durchzusetzen“, sagt der Senator und erklärt, inwiefern sich die jetzige Regierung von der Vorgängerregierung Conte unterscheidet: „Damals waren unsere Stimmen oftmals dafür entscheidend, ob ein Antrag im Senat eine Mehrheit bekam. Jetzt bei den bulgarischen Mehrheiten spielt das keine Rolle mehr. Sicherlich ist unsere Vertragskraft derzeit viel, viel schwächer.“

Dennoch sieht Steger keinen Grund, Trübsal zu blasen: Man wisse, in welcher Situation sich der Staat befinde und in den vergangenen Monaten gewesen sei. Daher halte er in der jetzigen Notstandssituation die Regierung Draghi nach wie vor für die „bestmögliche“, um die großen Probleme – von der Pandemiebekämpfung bis zur Überwindung der drohenden Wirtschaftskrise – lösen zu können. „Da haben wir mit Mario Draghi einen Mann an der Spitze, der weiß, wovon er redet. Das ist in einer solchen Phase ganz, ganz wichtig“, betont der SVP-Senator.

Was die zentralistischen Tendenzen betrifft, sieht Steger keinen Bruch zu den beiden Conte-Mehrheiten (zuerst M5s mit Lega, danach mit Mittelinks): Diese habe er in der vorhergehenden Regierungsphase genauso gespürt wie in der derzeitigen. Die neue Regionenministerin Mariastella Gelimini (Forza Italia) sei aber sehr darum bemüht, die Interessen der autonomen Regionen zu berücksichtigen. „Die Zusammenarbeit mit ihrem Vorgänger (dem PD-Politiker Francesco Boccia, A.d.R.) war überhaupt nicht leicht für uns“, führt Steger die zahlreichen Schwierigkeiten in der Sechser- und Zwölferkommission noch einmal in Erinnerung. Trotzdem könne man nicht bestreiten, dass es auch unter der Regierung Draghi zentralistische Bestrebungen gebe. „Das hängt vor allem damit zusammen, dass in der Pandemiebekämpfung die unterschiedliche Effizienz der Sanitätsbetriebe in den einzelnen Regionen dazu führen, dass gewisse Politiker glauben, alles in Rom zentralisieren zu müssen, um die Probleme lösen zu können. Das ist aber keineswegs der Fall! Wir wissen, dass Probleme nicht zentral gelöst werden, sondern die Koordination in Rom funktionieren muss. Die Verantwortung muss dann aber bei den Territorialkörperschaften liegen, um die Probleme wirklich lösen zu können“, ist der Bozner SVP-Parlamentarier überzeugt.

Julia Unterberger, die Chefin der Autonomiegruppe, geht mit der aktuellen Vielparteien-Regierung am härtesten ins Gericht: Es handle sich um eine „Zwangsehe zwischen rechten und linken Kräften“. Auch Draghi koche nur mit Wasser. Die Stimmen der Südtiroler brauche niemand mehr – daher habe die SVP auch „kein Verhandlungspotential“ mehr. Und Unterberger verrät, dass „viele Parlamentarier der Mehrheit Conte vermissen.“

Tageszeitung: Frau Unterberger, woran merken Sie in Ihrer täglichen Arbeit im Parlament, dass seit knapp zwei Monaten eine neue Mehrheit das Sagen hat?

Julia Unterberger: Es ist wahrlich eine Zwangsehe zwischen rechten und linken Kräften. Man liebt sich keineswegs, muss aber trotzdem irgendwie miteinander auskommen. Dementsprechend hart und langwierig sind die Diskussionen in den Mehrheitssitzungen. Wenn dann ein Kompromiss gefunden wurde, hat diese breite Mehrheit natürlich kein Problem mehr, etwas weiterzubringen. Besonders evident werden die unterschiedlichen Ausrichtungen innerhalb der Regierung, wenn es um Maßnahmen wie die sogenannte „legge Zan“ geht. Mit ihr sollen die Bestimmungen der „legge Mancino“ über den Rassenhass auf Frauen und Homosexuelle ausgedehnt werden. Unter der Regierung Conte wurde es in der Kammer verabschiedet und müsste nun im Senat behandelt werden. Die Lega wehrt sich dagegen, dass es überhaupt behandelt wird. Über diese Frage wird stundenlang gestritten!

Ist es für Sie als Vertreterin einer kleinen Minderheitenpartei schwieriger geworden, Forderungen durchzusetzen?

Die Stimmen von uns Südtirolern braucht niemand mehr, daher haben wir auch kein Verhandlungspotential mehr. Wir können zwar unsere guten Beziehungen zu einzelnen Ministern nutzen, aber Gewicht haben wir keines mehr.

Vermisst der eine oder andere Mandatar schon Ex-Regierungschef Giuseppe Conte?

Conte vermissen viele in der Mehrheit. Er war sehr empathisch und hat ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl geschaffen. Das hat motiviert. Die jetzige Regierung ist ohne Seele, auch wenn mir Draghi und sein prägnanter, essenzieller Stil sehr gut gefällt. Und sein Regierungsprogramm hätte das einer Mittelinks-Regierung sein können. Wie sich zeigt, kocht jedoch auch er nur mit Wasser, die meisten Maßnahmen, die behandelt werde, rühren noch von der Regierung Conte her. Und die großen Kritiker gegenüber Conte sind gegenüber Draghi plötzlich verstummt. Unter Conte hat Renzi zum Beispiel täglich den ESF verlangt. Unter Draghi hört man nichts mehr davon. Es ging ihm also ganz offenkundig nur darum, einen lästigen Konkurrenten zu eliminieren. Trotzdem hat Conte immer noch sehr hohe Umfragewerte.

Der LH hat kürzlich „zentralistische Tendenzen“ in Rom beklagt. Hat er recht?

Ja, man spürt einen zentralistischen Wind. Das hat auch damit zu tun, dass die meisten Regionen in der Bewältigung der Pandemie nicht gerade glänzen. Viele haben beispielsweise alle möglichen Kategorien statt die älteren Menschen geimpft. Sizilien hat die Daten gefälscht, um eine gelbe Einstufung zu bekommen, das Desaster in der Lombardei haben wir alle miterlebt. Daher wird die Forderung, die Sanität wieder in staatliche Kompetenz zu bringen, von sehr vielen erhoben. Das ist zwar nicht unmittelbar gegen uns gerichtet, aber natürlich spüren wir diese zentralistischen Tendenzen auch.

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