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„Kann Verunsicherung nachvollziehen“

Die Diskussionen um den AstraZeneca-Impfstoff sorgen für Verunsicherung. Was Gynäkologie-Primar Martin Steinkasserer den Frauen rät und wie sich Sinusvenenthrombosen von normalen Thrombosen unterscheiden.

Tageszeitung: Herr Primar, die Unsicherheit gegenüber dem AstraZeneca-Impfstoff ist momentan groß. Zuerst war der Impfstoff nur für jüngere Menschen zugelassen, jetzt soll er nur noch an ältere verimpft werden. Können Sie die Unsicherheit in der Bevölkerung nach diesem Hin und Her nachvollziehen?

Martin Steinkasserer: Ich kann diese Verunsicherung absolut nachvollziehen. Normalerweise hat man klare Informationen, die nach einer langen Erprobung eines Medikaments oder eines Impfstoffes kommuniziert werden. Und jetzt ist es einfach so, dass auch aufgrund dieses massiven Drucks – der ja angesichts der aktuellen Pandemie auch verständlich ist – Impfstoffe zugelassen wurden, die diesen Weg nicht in diesem Ausmaß durchgemacht haben, wie andere Impfstoffe. Und deswegen gibt es jetzt Erkenntnisse, die erst auf dem Weg der therapeutischen Anwendung aufkommen und kommuniziert werden müssen – und das ist für die Leute einfach schwer nachvollziehbar.

Bereits im März war der Impfstoff zeitweise ausgesetzt. Jetzt erklärt die EMA, dass ein möglicher Zusammenhang zwischen dem Wirkstoff und Thrombosen festgestellt worden sei, der Nutzen des Vakzins aber mögliche Risiken übertreffe.

Statistisch auffällig sind diese Sinusvenenthrombosen erst in Deutschland geworden, obwohl in Großbritannien zuvor bereits zig Millionen Impfdosen verimpft worden waren, ohne dass es dort entsprechende Meldungen gab. Warum ist ein bisschen schwer zu sagen: Es kann am Meldesystem liegen, es kann aber auch sein, dass effektiv irgendwelche Veränderung in der Bevölkerung insgesamt vorliegen, die diese Thrombosen erleichtern. Es geht ja nicht nur um diese Hirnvenenthrombosen, sondern es sind ja auch sonst Thrombosen aufgetreten. Fakt ist, dass diese Thrombosen aufgetreten sind und dass richtigerweise nachgeforscht und alles transparent kommuniziert wurde. Es wurde nichts unter den Tisch gekehrt.

Warum treffen diese Thrombosen jüngere Menschen und vor allem Frauen?

Das kann mit genetischen Faktoren zusammenhängen, es kann aber auch damit zusammenhängen, dass diese betroffenen Menschen gewisse Risikofaktoren hatten oder dass andere Medikamente mit eingenommen wurden. All diese Elemente müssen aber erst noch genau überprüft werden.

Herr Primar, welche Gefahr geht von diesem Impfstoff für Frauen aus?

Diese Nebenwirkungen sind wirklich extrem selten. Man ist jetzt einfach mal extrem vorsichtig und empfiehlt die Impfung für Frauen, bzw. insgesamt für Menschen unter 60 Jahren nicht mehr. Über 60 sollte man aber definitiv weiterimpfen, weil das Risiko eines schweren Covid-Verlaufs für diese Menschen höher ist als jenes der Nebenwirkungen.

Viele Frauen, z.B. Lehrerinnen oder Kindergärtnerinnen, wurden auch in Südtirol bereits mit AstraZeneca geimpft und müssten sich nun ein zweites Mal impfen lassen. Viele haben jetzt aber Bedenken und einige überlegen auch, ob sie besser abwarten und lieber später einen anderen Impfstoff nachimpfen sollten…

Man kann diese Lage nur vom aktuellen Wissensstand aus kommentieren und zum jetzigen Zeitpunkt gibt es meines Wissens kein zusätzliches Risiko, wenn man diesen Impfstoff einmal erhalten hat und nun ein zweites Mal geimpft bekommt. Das heißt, zur Zeit würde ich sagen: Ja, ich würde die Zweitimpfung mit AstraZeneca machen. Man muss ja auch dazusagen, dass wir wirklich immer von einzelnen Fällen auf Millionen von Impfungen sprechen. Nebenwirkungen oder auch das Thromboserisiko ist bei anderen Medikamenten deutlich höher.

Also können sich Frauen unter 60 Jahren, die bereits eine erste AstraZeneca-Impfung erhalten haben, jetzt bedenkenlos ein zweites Mal impfen lassen?

Wenn die erste Impfung ohne größere Nebenwirkungen vonstatten gegangen ist, würde man aus medizinischer Sicht sagen, dass man die zweite Impfung auch mit AstraZeneca durchführen lassen kann.

Herr Primar, wie unterschieden sich eigentlich diese Sinusvenenthrombosen von normalen Thrombosen?

Eine venöse Thrombose ist eine Verklumpung von Blutbestandteilen in einem Venenabschnitt, meistens in den Beinen. Diese Thrombosen führen dazu, dass die Beine aufschwellen und können dann über die Venen auch in Richtung Herz transportiert werden, was zum Problem werden kann. Diese Sinusvenenthrombosen treten hingegen im Bereich des Gehirns auf und wenn man sich vorstellt, dass der Blutabfluss im Bereich des Hirns erschwert wird, mit einer entsprechenden Schwellung des Hirngewebe, dann kann man sich auch vorstellen, dass dieses klinische Bild viel schwerwiegender ist als bei einer normalen Thrombose.

Wie erkennt man eine Sinusvenenthrombose?

Strake Kopfschmerzen, die innerhalb von wenigen Tagen nach der Impfung auftreten, könnten sicher ein Hinweis auf eine solche Thrombose sein. Und sollte man effektiv strake Kopfschmerzen spüren, sollte man das auch abklären lassen, weil es auch entsprechende Therapien gibt. Das heißt, auch wenn man eine Sinusvenenthrombose hat, kann man diese therapeutisch behandeln. Man sollte aber auch bei starker Übelkeit, Sehschwierigkeiten oder starkem Schwindel einen Arzt konsultieren.

Herr Primar, wie muss es mit den Impfungen weitergehen?

Ich bin nach wie vor ein starker Befürworter der Corona-Impfungen, weil man einfach in absehbarer Zeit aus dieser Situation herauskommen muss. Mit großer Wahrscheinlichkeit könnte man auch AstraZeneca einfach weiterimpfen, weil die Häufigkeiten dieser Komplikationen wirklich extrem gering ist, aber ich finde es auch vernünftig, wenn man hier übervorsichtig handelt.

Interview: Lisi Lang

 

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