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Schatten und Licht

Ein schwieriges erstes Halbjahr, eine paradoxe Situation am Arbeitsmarkt und bestimmte Bedingungen für Hilfsgeld-Empfänger: AFI-Direktor Stefan Perini im Interview.

Tageszeitung: Herr Perini, Südtirol ist wieder im Lockdown, der Tourismus steht seit Herbst still und auch der Handel leidet. Worauf muss sich Südtirols Wirtschaft für die Zukunft einstellen?

Stefan Perini (Direktor Arbeitsförderungsinstitut): Auf jeden Fall muss sie sich noch auf ein schwieriges erstes und zweites Quartal 2021 einstellen. Erst mit steigender Durchimpfungsrate der Bevölkerung und mit der Rücknahme der Einschränkungen ist die Erholung gefestigt. Die Hoffnung ist, dass die Situation auch mit Rückkehr der warmen Monate wieder soweit unter Kontrolle ist, dass die Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte durchstarten kann.

Der für Südtirol so wichtige Tourismus hatte jahrelang einen Höhenflug und stürzte plötzlich gänzlich ab. Wie realistisch ist es, dass das Gastgewerbe mittelfristig wieder so viel Personal einstellen wird wie vor Corona?

Es stellt sich grundsätzlich die Frage, ob das wünschenswert ist. Natürlich ist der Tourismus ein wichtiger Motor für Südtirols Wirtschaft und seit langem Treiber der Konjunktur. In den letzten Jahren ist aber verstärkt die Kritik eines Overtourismus aufgekommen, also die Frage: Wo führt das hin, wenn es in diesem Rhythmus weitergeht? Zuwachsraten wie in den letzten Jahren sind wahrscheinlich gar nicht von der Bevölkerung gewünscht, wie auch die jüngste Studie der Eurac belegt: Die Bevölkerung erkennt demnach zwar die Rolle des Tourismus an, wünscht sich aber gleichzeitig, dass der Tourismus nachhaltiger wird und sogar ein bisschen zurückgefahren wird. Die Erfahrung des ersten Lockdowns hat jedenfalls gezeigt, dass Südtirols Wirtschaft recht schnell wieder auf 100 Prozent hochfährt, sobald die pandemische Lage entspannt ist. Aber es besteht die allgemeine gesellschaftliche Diskussion, ob man das touristische Wachstum fortsetzen will. Ich bin auch gegen ein unendliches Wachstum des Tourismus – auch weil er immer mehr Flächen verbraucht und touristische Anlagen verstärkt in Konkurrenz mit dem heimischen Wohnungsmarkt treten. Die hohen Immobilienpreise in Südtirol sind verbunden mit der starken touristischen Entwicklung und dem knappen Angebot an Baugrund für Wohnzwecke.

Gibt es für die Arbeitnehmer, die eventuell keinen Job mehr im Tourismus finden, alternatives Arbeitsplatz-Potenzial?

Wir haben momentan eine paradoxe Situation. Einige Sektoren stehen sehr stark unter Druck und haben Personalmangel. Ich denke an die Sanität, aber auch an Bereiche wie die Landesverwaltung. Auf der anderen Seite haben wir Menschen, die in die Arbeitslosenlisten eingetragen und eigentlich dazu verdammt sind, nichts zu tun. Da muss man sich schon etwas überlegen, wie man aus dieser gegensätzlichen Situation mit teilweiser Arbeitsüberlastung und teilweiser Arbeitslosigkeit herauskommt.

Mit welcher Arbeitslosenquote rechnen Sie mittelfristig, sprich wenn das Entlassungsverbot fällt?

Man kann positiv hervorheben, dass der Entlassungsstopp verlängert wird. Mario Draghi ist gewillt, dieses Verbot bis Ende Juni fortzuschreiben. Das ist auf jeden Fall notwendig, denn es wäre fatal, den Stopp jetzt in der vollen Krise aufzuheben. Dann hätten wir ein noch größeres Übel an Massenarbeitslosigkeit. Es kostet zwar sehr viel öffentliches Geld, aber durch den Stopp und die weitere zeitliche Streckung der Lohnausgleichskasse werden schwerwiegendere Folgen vermieden. Südtirol hat die positive Perspektive, dass die lokale Wirtschaft bis zum 30. Juni soweit gefestigt ist, um auch bei Wegfall von Entlassungsstopp und Lohnausgleich keine dramatischen Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit zu haben. Deshalb hoffe ich, dass die Arbeitslosenrate auf einem Niveau bleiben wird, das fünf Prozent nicht überschreitet.

Was muss im Hilfspaket des Landes enthalten sein?

Es muss natürlich die kritischen Situationen auf der Arbeitnehmer- und auf der Unternehmensseite abfedern. Wichtig ist, dass die Hilfsmaßnahmen im Unterschied zu früher gezielter sind. Also weg von der Gießkanne hin zu treffsicheren Maßnahmen. Während man beim ersten Lockdown nicht genau wusste, wer die besonders betroffenen Kategorien sein werden, ist heute hinreichend bekannt, welche Branchen die Leidtragenden sind. Deshalb sollte das Hilfspaket auf der Unternehmensseite gezielt auf diese Sektoren zugehen. Zudem sollte die Landesregierung am Prinzip des Fixkosten-Zuschusses anstelle des Umsatzersatzes festhalten. Was die Arbeitnehmer anbelangt, bewegen wir uns immer stärker einem zweigeteilten Arbeitsmarkt zu. Auf der einen Seite sind die geschützten Kategorien, also Arbeitnehmer mit Fixverträgen, die weiterhin unkündbar sind. Einige werden zwar in den Lohnausgleich geschickt, aber sie kriegen immerhin eine Zahlung aus der entsprechenden Kasse. Für Arbeitnehmer mit Fixanstellung braucht es somit keine Unterstützung. Die Hilfsgelder müssen hingegen dort eingesetzt werden, wo es Notsituationen gibt.

Und zwar?

Bei den Saisonarbeitskräften, denen der befristete Arbeitsvertrag ausgelaufen ist und die nicht wieder angestellt worden sind. Auf die Menschen, die arbeitslos sind und keine Perspektive haben, einen Arbeitsplatz zu finden, soll gezielt geschaut werden. Was ich da persönlich noch einwerfe: Man sollte sich überlegen, ob man die Auszahlung dieser Gelder an eine Bedingung koppelt, um nicht jemandem Geld für monatelanges Nichtstun zu geben. Die Landesregierung könnte durchaus einfordern, dass die Empfänger der Hilfsgelder Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen in Anspruch nehmen müssen.

Interview: Heinrich Schwarz

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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